: Die Luft ist raus beim DHB-Team

von Erik Eggers
26.01.2023 | 09:27 Uhr
Die hohe Niederlage der deutschen Handballer im WM-Viertelfinale dokumentiert, wie weit der Weg an die Weltspitze noch ist. Vor allem im Rückraum fehlt es.
Deutschland verliert im Viertelfinale der Handball-WM 2023 mit 28:35 gegen Frankreich. Jetzt geht es für das DHB-Team noch um die Olympia-Qualifikation.Quelle: dpa
Sie hatten, wie der junge Spielmacher Juri Knorr, geträumt vom Sieg im "wichtigsten Spiel meiner Karriere". Tatsächlich schnupperten die deutschen Handballer im Viertelfinale der Handball-WM gegen Olympiasieger Frankreich lange an einer Sensation. Noch in der 47. Minute lagen sie, da Torwart Andreas Wolff erneut stark parierte, beim Ballbesitz nur zwei Treffer zurück. Doch dann ging, wie Bundestrainer Alfred Gislason anmerkte, "bei uns im Angriff die Luft aus".

Zu wenig für ein WM-Halbfinale

In der Folge scheiterten sie immer wieder am französischen Torwart Remi Desbonnet. Daraufhin brachen französische Angriffswellen über den Außenseiter hinweg, mit Kontern entschieden Nikola Karabatic & Co. das WM-Viertelfinale. Am Ende stand eine klare 28:35 (16:16)-Niederlage. Und eine bittere Erkenntnis. "Wir haben den nächsten Schritt gemacht", befand Kapitän Johannes Golla.
Aber man sieht, dass es zur Weltspitze noch ein weiter Weg ist.
Kapitän Johannes Golla
Es ehrt den Kreisläufer aus Flensburg, dass er gar nicht erst versuchte, die komplizierte Lage vor der Heim-EM im kommenden Januar zu beschönigen. Diese Situation ist zwar nun deutlich besser als noch vor der WM, da insbesondere Knorr auf Rückraum Mitte sein enormes Potenzial andeutete. Aber Knorr und Golla sind eben die einzigen deutschen Angreifer, die auf Weltklasseniveau spielen können. Das reicht nicht für ein Halbfinale.

Fehlende Wucht auf den Halbpositionen

Auch gegen Frankreich hatte Knorr stark begonnen, wie überhaupt das gesamte Team. Zudem brillierte Wolff im Tor mit teils spektakulären Paraden. "Das Spiel läuft Bombe", jubelte ZDF-Experte Markus Baur. Doch schon der 0:4-Lauf, mit dem Frankreich innerhalb von zwei Minuten vor der Pause auf Remis stellte, ließ Böses erahnen.

Frankreich - Deutschland 35:28, Viertelfinale, Zusammenfassung

25.01.2023 | 07:00 min
Die deutschen Handballer ließen sich in den letzten 20 Minuten nicht gehen, im Gegenteil. Die Last ihres Angriffsspiels lag jedoch zu sehr auf dem erst 22-jährigen Knorr. Das größte Manko der deutschen Offensive besteht in der fehlenden Wucht auf den Halbpositionen. Man habe da einfach nicht die erforderliche Wurfkraft, klagte Bundestrainer Gislason. Vor allem der Magdeburger Philipp Weber enttäuschte über das gesamte Turnier hinweg. Auch Rückraum-Linkshänder Kai Häfner ist über seinen Zenit hinweg.

Nur zwei Deutsche auf Weltklasse-Niveau

Positiv überraschte hingegen auf Halbrechts der Erlanger Christoph Steinert. Dennoch stellt er nicht annähernd die gleiche Kategorie dar wie der Ausnahmespieler Dika Mem, der mit dem FC Barcelona um den Titel in der Champions League spielt, oder der ähnlich starke Individualist Nedim Remili aus Paris.

Der ehemalige Vizepräsident des DHB analysiert die Probleme, welche das Team von der absoluten Weltspitze trennen und spricht über die Zukunft der Deutschen bei der Heim-EM.

26.01.2023 | 03:01 min
Der aktuell einzige deutsche Rückraumspieler, der neben Knorr das Zeug zur Weltklasse hat, ist der Gummersbacher Julian Köster. Der 22-Jährige ist jetzt schon ein grandioser Verteidiger, ob nun im Mittelblock oder als vorgezogener Verteidiger im offensiven 3:2:1-System. Nur fehlt Köster noch die Substanz für sieben Spiele in 13 Tagen, da er noch nicht einmal 20 Bundesliga-Einsätze hinter sich hat.
Köster hat nicht mehr die Kraft gehabt für den Angriff.
Bundestrainer Alfred Gislason

Jetzt geht es um die Olympia-Qualifikation

Die nachlassende Energie bei den Schlüsselspielern sorgte in den letzten Minuten für den Kollaps. Sie erklärt die Masse an Ballverlusten im deutschen Angriff, die eine ungewöhnliche Statistik produzierte: Während die Franzosen 62 Mal (Erfolgsquote: 56 Prozent) aufs deutsche Tor warfen, kamen die Deutschen nur auf 44 Versuche (64 Prozent). So lässt sich kein WM-Viertelfinale gewinnen.

Schweden - Ägypten 26:22, Viertelfinale, Zusammenfassung

25.01.2023 | 04:48 min
Die starke Belastung müssen Knorr & Co. nun ignorieren. Das DHB-Team kämpft am Freitag gegen Afrikameister (15.30 Uhr, live in der ARD) und einem weiteren Platzierungsspiel am Sonntag schließlich noch um Platz 5. Das sei ein lohnenswertes Ziel, findet Golla. Tatsächlich würde der WM-Rang 5 dem DHB das Recht bescheren, im kommenden Frühjahr eines der drei Qualifikationsturniere für Olympia 2024 zu veranstalten.