Interview

: Beucher: "Neutrale Flagge ist Augenwischerei"

26.04.2023 | 04:04 Uhr
Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Behindertensportverbands, kritisiert die IOC-Empfehlung zur Wiederzulassung russischer Sportler und berichtet von intensiver Lobbyarbeit.
"Die neutrale Flagge ist mit Blut beschmiert": Protest gegen die Teilnahme russischer und belarussicher Sportler an Olympia 2024.Quelle: Reuters
Geht es nach dem Willen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sollen Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus als neutrale Athleten wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürfen. Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS), hält das für eine fatale Botschaft.
ZDFheute: Herr Beucher, im olympischen Sport wird die vom IOC empfohlene Rückkehr russischer und belarussicher Athletinnen und Athleten aktuell heftig diskutiert. Wie ist der Stand im paralympischen Sport?
Friedhelm Julius Beucher: Wir haben im vergangenen November in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des Internationalen Paralympischen Komitees mit einer deutlichen Mehrheit den kompletten Ausschluss russischer und weißrussischer Sportlerinnen und Sportler und die Aberkennung aller Rechte der Nationalen Olympischen Komitees der beiden Länder beschlossen. Bis zur nächsten Generalkonferenz Ende September hat das seine Gültigkeit.

Friedhelm Julius Beucher

Quelle: dpa
Friedhelm Julius Beucher ist seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS).

ZDFheute: Wird der Ausschluss in der Para-Sport-Weltgemeinde ähnlich kontrovers diskutiert wie im olympischen Sport?
Beucher: Nein. Einige afrikanische, asiatische und südamerikanische Verbände sahen und sehen das anders, aber die deutliche Mehrheit ist für den Ausschluss. Es wird täglich gemordet in der Ukraine.
Da ist es nicht vorstellbar, dass russische und ukrainische Sportler in friedlichem Wettstreit gegeneinander antreten. Das zu fordern und damit zu begründen, dass ansonsten eine Diskriminierung russischer Sportler vorläge, ist fast schon zynisch.
Wir beim Deutschen Behindertensportverband sind uns einig, dass sich am Grund des Ausschlusses nichts geändert hat.
Friedhelm Julius Beucher
ZDFheute: Die olympische Idee wird sowohl von den Rückkehr-Gegnern als auch den Befürwortern als Argument herangezogen. Sie werde verraten, wenn russische und weißrussische Athleten trotz des Krieges mitmachen dürfen, sagen die einen. Sie werde verraten, wenn Athleten für die Handlungen ihrer Regierungen abgestraft werden, sagen die anderen.
Beucher: Aber ein Großteil der russischen Sportler billigt diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nicht nur, sondern unterstützt ihn aktiv. Das ist sowohl im olympischen als auch im paralympischen Lager der Fall und durch eindeutige Aussagen und Posts bewiesen.
Der größte Teil der russischen Athleten gehört ja sogar dem Militär an. Da ist doch die neutrale Flagge reine Augenwischerei, die kann nicht mal den Anschein von Neutralität erwecken.
Friedhelm Julius Beucher
ZDFheute: Genau diese Athleten sollen nach dem Willen des IOC aber nicht dabei sein.
Beucher: Also fangen wir jetzt an, die persönlichen Äußerungen jedes einzelnen Athleten zu untersuchen? Diese Differenzierung halte ich für unpraktikabel. Wie soll das denn ablaufen? Das Nationale Paralympische Komitee Russlands bemüht sich aktuell intensiv, Verbände in aller Welt auf seine Seite zu ziehen.
Da wird ein Positionspapier verschickt und um Konsultationen gebeten, man versucht, möglichst viele von dem Ausschluss abzubringen. Aber dabei wird ja auch vergessen, dass es im Moment in Russland und Weißrussland gar keine Dopingüberprüfungen gibt, die dem Regelwerk entsprechen.
ZDFheute: IOC-Präsident Thomas Bach argumentiert mit einer weltweiten Mehrheit im olympischen Sport, die sich eine Rückkehr der russischen und weißrussischen Athleten gewünscht habe. Muss man das nicht akzeptieren? Oder liegt die Athletenvertretung Athleten Deutschland richtig, wenn sie sagt, es gehe nicht um Mehrheiten, sondern um Rechte?
Beucher: Es geht hier um Werte - und um Rechte von Athleten. Dass eine Mehrheit von internationalen Fachverbänden und Nationalen Olympischen Komitees für die Rückkehr ist, halte ich zunächst für durch nichts bewiesen als durch die Behauptung.
ZDFheute: Thomas Bach spricht von intensiven Gesprächen, in denen sich diese Mehrheit gezeigt habe.
Beucher: Es hat keine Abstimmung gegeben. Das sind Empfindungen. Aber das ist letztlich eine Sache des olympischen Sports. Wir sind da beim IPC in einer anderen Situation, wir haben den Komplettausschluss auf der Grundlage eines gemeinsamen Mehrheitsbeschlusses.
Wenn dieser über die nächste Sitzung im September hinaus Bestand hat, werden russische und weißrussische Para-Sportler nicht an den Paralympics in Paris 2024 teilnehmen.
Das Interview führte Susanne Rohlfing
Quelle: ZDF

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