: Sterbehilfe: "Alles hat seine Zeit"

21.04.2021 | 16:32 Uhr
Die Regierung wollte organisierte Hilfe beim Suizid verbieten. Doch das Bundesverfassungsgericht kassierte das Gesetz. Nun debattierte der Bundestag über eine Neuregelung.
Der Bundestag muss eine Lösung für die Neuregelung der Sterbehilfe finden. Quelle: picture alliance / Bildagentur-online/Joko
Die Orientierungsdebatte über ein mögliches neues Sterbehilfe-Gesetz verlief dem Thema angemessen: Würdevoll und ruhig, obwohl die Positionen der Redner teils weit auseinander lagen.

Castellucci will Schranken im Strafrecht

Lars Castellucci (SPD) sprach sich für eine erneute Regelung der Sterbehilfe im Strafrecht aus. Ein Satz, der oft im Zusammenhang mit dem Tod falle, sei: "Alles hat seine Zeit." Die Wahrheit sei aber: "Niemand hat Zeit."
Er befürchtet daher, dass Hilfe bei der Selbsttötung zu einem "Modell" werden könnte. Es müsse aber garantiert werden, dass die Entscheidung dazu wirklich freiwillig getroffen wird. Andernfalls drohe, dass Menschen die Frage stellten, ob sich eine Operation noch lohne - oder die Finanzierung der Pflege eines Angehörigen. Er betonte:
Niemand in diesem Land soll sich überflüssig fühlen.
Lars Castellucci, SPD

Spahn: Keine tödlichen Medikamente vom Staat

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, die Hürden zum assistierten Suizid müssten "sehr, sehr hoch" bleiben. Es dürfe unter keinen Umständen sanften Druck für Angebote zur Selbsttötung geben. "Eine solche Entwicklung wäre für unsere Gesellschaft fatal", sagte er.
Spahn betonte außerdem, dass es keine Verpflichtung des Staates geben dürfe, Medikamente für den Suizid zur Verfügung zu stellen. Dies müsse eine individuelle Entscheidung zwischen Arzt und Patient sein, sagte Spahn, der als Abgeordneter im Bundestag sprach.

Heveling: Besonderer Schutzauftrag des Gesetzgebers

Ansgar Heveling (CDU) hält es für richtig, die Beihilfe zum Suizid zu verbieten. Denn der Gesetzgeber müsse seinem Schutzauftrag nachkommen – im Falle der Sterbehilfe mit besonders großer Sorgfalt.
Am Ende bleibt: Unsere Verfassung ist ein Grundgesetz für das Leben und nicht für das Sterben.
Ansgar Heveling, CDU

Von Storch: Hilfe beim Sterben

Beatrix von Storch (AfD) ist der Meinung, dass die Suizidbeihilfe die Büchse der Pandora öffnet. Sie befürchtet, dass jeder rechenschaftspflichtig werden könnte, der sein Leben weiterführen wolle, "wenn das Weiterleben nur eine von zwei Optionen ist".
Sie stellte klar: "Die Sterbenskranken brauchen Hilfe beim Sterben".

Helling-Plahr: Keine Bevormundung von Betroffenen

Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (FDP) warb für ihren liberalen Vorschlag:
Wir sollten uns als Gesetzgeber an die Seite der Menschen stellen, die selbstbestimmt sterben wollen.
Katrin Helling-Plahr, FDP
Das Recht auf einen selbstbestimmten Tod, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert habe, dürfe nicht nur auf dem Papier stehen, sagte Helling-Plahr. Dazu brauche es ein "bevormundungsfreies Beratungsangebot" für Sterbewillige und für Ärzte die Erlaubnis, ihnen zu helfen.
Dann müssten die Menschen nicht länger ins Ausland gehen oder schmerzhafte Methoden wählen, sagte sie.

Sitte: Sterbehilfe als Lebenshilfe

Die Linken-Politikerin Petra Sitte erklärte, "Sterbehilfe ist auch Lebenshilfe". Denn das Sterben werde weniger bedrohlich, wenn Menschen mitbestimmen könnten, wie sie sterben wollen. Insofern solle niemand an einer selbstbestimmten Entscheidung gehindert werden, sagte Sitte.

Neues Sterbehilfe-Gesetz bis Sommerpause fraglich

Ob es noch in dieser Wahlperiode ein neues Gesetz geben wird, ist unter anderem wegen der kurzen Zeit bis zur Sommerpause fraglich. Es liegen drei Vorschläge vor, zwei wollen die Suizidassistenz tendenziell liberalisieren, einer will einen erneuten Versuch zur Einschränkung dieser Form der Sterbehilfe im Strafrecht unternehmen.

Antrag I

Eine Gruppe um den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und seine FDP-Kollegin Katrin Helling-Plahr hat den Entwurf für ein "Gesetz zur Regelung der Suizidhilfe" vorgelegt. Dieser formuliert:

  • "Voraussetzungen, damit sich Menschen zukünftig einer Begleitung bis zum Lebensende sicher sein können und auch Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung erhalten", wie es im Text heißt.
  • Grundvoraussetzung ist ein "autonom gebildeter, freier Wille" des Sterbewilligen. Der Entschluss zur Selbsttötung muss ohne unzulässige Einflussnahme oder Druck gebildet worden sein.
  • Ein suizidwilliger Mensch muss beraten und dabei auch über Handlungsalternativen aufgeklärt werden.
  • Die Länder müssen ein ausreichend plurales Angebot an wohnortnahen Beratungsstellen sicherstellen.
  • Ein Arzt darf bei Erfüllung der Voraussetzungen ein Arzneimittel zum Zwecke der Selbsttötung verschreiben. Er ist verpflichtet, den Betroffenen mündlich und in verständlicher Form über sämtliche Umstände einschließlich Behandlungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Palliativmedizin aufzuklären.

Antrag II

Eine Gruppe um den Abgeordneten Ansgar Heveling und den früheren Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (beide CDU) will festlegen, dass...

  • die geschäftsmäßige Suizidhilfe grundsätzlich strafbar sein soll, um die Autonomie der Entscheidung über die Beendigung des eigenen Lebens vor inneren und äußeren Einwirkungen wirksam zu schützen.
  • Nur unter sehr speziellen Voraussetzungen soll sie nicht unrechtmäßig sein. Dies sei notwendig, um die Umsetzung einer freiverantwortlichen Suizidentscheidung und die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter nicht faktisch unmöglich zu machen.
  • Um festzustellen, ob ein Suizidentschluss wirklich in freier Verantwortung getroffen wurde, sollen grundsätzlich mindestens zwei Untersuchungen mit hinreichendem Abstand durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie Vorschrift sein.
  • Auch eine Beratung, die individuelle Hilfeangebote eröffnet, soll es geben.
  • Eine Suizidhilfe für Minderjährige soll ausgeschlossen sein.

Antrag III

Die Grünen-Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul legten einen Entwurf für ein "Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben" vor. Er sieht vor...

  • den Betroffenen einen klaren Zugang zu Betäubungsmitteln zu eröffnen, die zur Verwirklichung ihres Suizidwunsches nötig sind.
  • Dabei wird unterschieden, ob diese ihren Tod wegen einer schweren Krankheit oder aus anderen Gründen anstreben. Im ersteren Fall soll den Ärzten eine entscheidende Rolle bei der Prüfung zukommen, ob das Hilfsmittel zur Verfügung gestellt wird. Im letzteren Fall soll es höhere Anforderungen geben, etwa eine Dokumentation der Dauerhaftigkeit eines selbstbestimmten Entschlusses zum Suizid. Der Ärzteschaft hat hier keine zentrale Rolle.
  • Sterbewillige sollen ihren Sterbewunsch in einer schriftlichen Erklärung bekunden.
  • Der Suizid muss vom Sterbewilligen selbst vollzogen werden. Er kann sich dabei von Ärzten oder Ärztinnen sowie von Dritten begleiten und unterstützen zu lassen.
  • Sterbewillige müssen sich von einer zugelassenen privaten unabhängigen Stelle mindesten zwei Mal beraten lassen. Das Beratungsgespräch soll das Ziel verfolgen, dass den Sterbewilligen alle Umstände und Hilfsangebote bekannt werden, die ihre Entscheidung ändern könnten.

Quelle: dpa

Quelle: epd

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