: Optimistisch zwischen Rezession und Inflation

von Jan-Ole Kraksdorf
30.12.2022 | 17:42 Uhr
Selten waren Experten so optimistisch wie für das Börsenjahr 2022. Und selten haben sie so grandios daneben gelegen. Trotzdem überwiegt für 2023 erneut die Zuversicht.
Die deutsche Wirtschaft sieht schwarz. 30 von knapp 50 Wirtschaftsverbänden rechnen für das Jahr 2023 mit schlechteren Geschäften als 2022. Das hat eine Umfrage des Forschungsinstituts IW in Köln ergeben. Vor allem die stark gestiegenen Energiepreise lassen am Erfolg zweifeln.
An den Finanzmärkten herrscht ein völlig anderes Bild vor. Es wird fast durchgehend mit deutlich steigenden Aktienmärkten gerechnet. Ein Grund:
Eine moderate Rezession ist in vielen Aktien bereits weitgehend eingepreist.
Karen Ward, Anlagestrategin bei JP Morgan
Moderat soll die Rezession also ausfallen. Dabei hatte vor fast einem Jahr der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine Wirtschaft und Börsen auf dem völlig falschen Fuß erwischt, wähnte man sich doch mitten in einer starken Erholung von den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Inzwischen hat sich die lange grassierende Panik gelegt. Die Gasspeicher sind gut gefüllt; es drohen keine Engpässe. Parallelen zu anderen Finanzkrisen, wie 2008, sieht man bei JP Morgan jedenfalls nicht.

Inflation bleibt ein Problem

Staatliche Maßnahmen, wie Gas- und Strompreisdeckel dürften zwar nach allgemeiner Einschätzung den allgemeinen Preisdruck etwas abmildern, doch generell dürften die hohen Preise Wirtschaft und privaten Haushalten weiter zu schaffen machen. Die Bundesbank prognostiziert einen Rückgang der Inflationsrate von 8,6 Prozent in diesem Jahr auf immerhin noch 7,2 Prozent 2023. "Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben", fasst Ulrich Stephan, Chefanlagestratege der Deutschen Bank, zusammen.
Für Aktien muss das gar nicht mal schlecht sein. Viele Werte haben im Jahr 2022 Federn lassen müssen, doch für die Unternehmen haben sich die Rahmenbedingungen verbessert. China lockert seine Null-Covid-Strategie, Lieferketten entspannen sich. "Für das Jahr 2023 rechne ich mit realen Unternehmensgewinnen auf dem Niveau vom Vorjahr", sagt Stephan. Da viele Unternehmen ihre Prognosen drastisch zurückgefahren haben, scheint das als Überraschungspotential auszureichen.

Zinspapiere mit Möglichkeiten

Vieles wird davon abhängen, welchen Kurs die Notenbanken einschlagen werden. Nach den heftigen Zinserhöhungen der vergangenen Monate zeigte man sich an den Aktienmärkten beeindruckt. Steigende Zinsen gelten als Gift für Aktien, doch angesichts der Inflation eben auch als probates Mittel, die Teuerung in den Griff zu bekommen.
Es ist zu erwarten, dass die EZB noch das eine oder andere Mal an der Zinsschraube drehen dürfte.
Max Herbst, FMH Finanzberatung
Die direkte Folge sei, dass auch die Tagesgeld- und Festgeldzinsen steigen.
So werden auch vorsichtige Sparerinnen und Sparer wieder Zinsen erhalten. Das ist ungewöhnlich, wenn die beiden konkurrierenden Anlageklassen Aktien und Anleihen gleichermaßen Aufmerksamkeit erfahren. Hinzu kommen die großen Unbekannten und dabei vor allem der Krieg und die Sorgen um eine Rezession. Ulrich Stephan prognostiziert Gewinne an den Börsen, ist aber auch sicher: "Das sind keine Voraussetzungen für ein 'großes' Aktienjahr 2023."

Ein verkorkstes Börsenjahr - so lief 2022:

Dax unter 14.000 Punkten

Krieg und Inflation setzten den Aktienmärkten kräftig zu. Der Deutsche Aktienindex (Dax) verlor im Jahresverlauf 13 Prozent auf 13.924 Punkte. Es war das schwächste Jahr seit vier Jahren und doch sind Anlegerinnen und Anleger noch glimpflich davongekommen. Im vergangenen September war der Dax sogar unter die Marke von 12.000 Punkten gefallen, nachdem er das Jahr fast mit einem Allzeithoch begonnen hatte.

Für Zuversicht in Richtung Jahresende sorgte vor allem die schwindende Gefahr einer tiefen Rezession. Aktuell ist zudem ausreichend Gas vorhanden. Lieferketten entspannen sich. Die Abkehr Chinas von der strengen Null-Covid-Politik lässt hoffen.

Inflation auf Rekord

Schon 2021 ist die Teuerung angezogen und in Deutschland erstmals seit der Wiedervereinigung wieder über fünf Prozent gestiegen. Doch der völkerrechtswidrige Einmarsch Russlands in die Ukraine ließ die Energiepreise explodieren. Die Inflationsrate erreichte in der Folge im Oktober mit 10,4 Prozent einen vorläufigen Höchststand.

Als Preistreiber neben der Energie entpuppten sich vor allem Lebensmittel, weil Produktion und Lagerhaltung teurer wurden. Zwar sind die Raten in der Folge zurückgegangen, doch rechnen Expertinnen und Experten damit, dass die Teuerung ein Problem bleiben wird.

Der Zinshammer

Es war keine Überraschung, dass die Zinsen im Jahr 2022 steigen würden. Schon Mitte bis Ende des Vorjahres hatten die führenden Notenbanken ein Ende der ultralockeren Geldpolitik angekündigt. Anstelle einer sanften Zinswende folgte allerdings wegen der stark steigenden Preise ein Zinshammer: In sieben Schritten hievte die US-Notenbank den Leitzins auf 4,5 Prozent. Der Schlüsselzins im Euroraum liegt nach vier Schritten bei 2,5 Prozent.

An den Finanzmärkten schlugen sich Ankündigung und Anhebung unmittelbar nieder. In Deutschland haben sich die Bauzinsen binnen Jahresfrist vervierfacht. Auch auf der Guthabenseite tat sich ein wenig: Auf den meisten Tagesgeldkonten gibt es wieder Zinsen. Wer sein Geld längerfristig parkt, kann schon Raten über zwei Prozent erzielen.

Dax-Verlierer und -Gewinner

Als erstes treffen steigende Zinsen die Wohnungswirtschaft: Aktien der Vonovia gehören zu den größten Verlierern im Dax. Ebenfalls halbiert haben sich die Kurse von Adidas und Zalando. Adidas gehört zu den Verlierern der Null-Covid-Politik Chinas. Die Lockdowns ganzer Regionen schadeten dem Geschäft, da die Läden in den betroffenen Gebieten geschlossen waren. Das Online-Kaufhaus Zalando hatte zu den Profiteuren der Corona-Pandemie gehört. Im laufenden Jahr hatte das Unternehmen - ebenso wie Adidas - mehrfach die eigenen Ertragsprognosen kassiert.

Papiere der Telekom zogen um 20 Prozent an und damit etwas mehr als Beiersdorf und Münchner Rück. Die Börse setzte verstärkt auf sogenannte "defensive", also wenig konjunkturabhängige Werte.

Börsenstar Porsche

In einem ansonsten an Börsengängen armen Jahr brachte Porsche ein wenig Glamour aufs Parkett: In Form symbolträchtiger 911 Millionen Aktien löste der Volkswagen-Konzern seine Sportwagentochter aus dem Konzern heraus und erlöste Ende Oktober 2022 mit einem Teil der Papiere über neun Milliarden Euro. Der Börsengang soll den Stuttgartern mehr Beinfreiheit verschaffen. Doch nach wie vor werden sowohl Porsche als auch VW mit Oliver Blume von einer Person geführt.

Aus Börsensicht ist die Geschichte bislang ein Erfolg. Der Kurs entwickelte sich positiv, nur wenige Woche nach dem Debüt gelang Porsche der Aufstieg in den Deutschen Aktienindex. Das Unternehmen schickte den Sportartikelhersteller Puma in die zweite Börsenliga.

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