: Womit die Wirtschaftspolitik zu kämpfen hat

von Frank A. Buchwald
03.01.2023 | 14:55 Uhr
Weniger Bürokratie, mehr Fachkräfte: Die Herausforderungen, die das Jahr für die deutsche Wirtschaft bereithält, haben es in sich. Was steht 2023 im Aufgabenheft der Wirtschaft?
Leicht wird es nicht. Auch wenn die Prognosen vieler Ökonomen nicht mehr ganz so entmutigend klingen wie noch vor ein paar Monaten. Was schreiben die DGB-Chefin, ein renommierter Wirtschaftswissenschaftler und die Deutsche Industrie- und Handelskammer der Politik für 2023 ins Aufgabenheft?

Investition in den Ausbau von Wind und Sonne

Zentraler Punkt: stabile Versorgung mit bezahlbarer Energie. Den Wandel zu erneuerbaren Energien habe Deutschland jahrelang verschlafen, kritisiert Professor Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
2023 müssten Politik und Wirtschaft deshalb massiv in den Ausbau von Wind und Sonne investieren. Das sieht auch Yasmin Fahimi so, die neue Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Es wird aber auch darum gehen, wie wir die Industrie in diesem Land halten können, um eben einen klimaneutralen Umbau überhaupt bewältigen zu können", gibt Fahimi zu bedenken.
Und das heißt, wir brauchen wettbewerbsfähige Industriestrompreise.
Yasmin Fahimi, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Verlässliche Energie: "Das war lange ein Vorteil des Standortes Deutschland. Den haben wir jetzt im letzten Jahr verloren", konstatiert Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der deutschen Industrie- und Handelskammer. Mit Wind- und Sonnenenergie allein werde sich das nicht ändern.
Dercks appelliert deshalb an die Politik: "Wir brauchen eben auch eine klare Strategie, um die Industrie rund um die Uhr am Laufen zu halten." Da spiele Wasserstoff eine große Rolle.
Darüber hinaus gilt es auch noch einmal zu diskutieren, ob nicht Atomstrom in Deutschland für die nächsten Jahre übergangsweise ein Teil der Lösung sein kann. Und wir haben auch Schiefergasvorkommen in Deutschland.
Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der deutschen Industrie- und Handelskammer
Wenn es um Versorgungssicherheit gehe und um Unabhängigkeit, so Dercks, "brauchen wir eine ideologiefreie Debatte". 

Demographische Herausforderung für Unternehmen

Das gilt auch für das Riesenthema Fachkräftemangel, das sich mittelfristig wohl nur über Zuwanderung bewältigen lässt. Wenn in den nächsten fünf Jahren die sogenannten "Baby-Boomer" in Rente gehen, reißt das nicht nur Lücken in die Belegschaften, mit jedem Werkmeister und jeder Ingenieurin verlassen auch Erfahrung und Knowhow die Unternehmen.
Eine demographische Herausforderung, die viele Unternehmen schwer belastet, durch zunehmende Arbeitsverdichtung, aber auch viele Arbeitnehmer.
Deutschland brauche deshalb "ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, das seinem Namen auch gerecht wird", verlangt Fahimi. Und Dercks ergänzt, nicht nur die Visavergabe in den deutschen Botschaften müsse erleichtert werden, auch im Inland müssten Ausländerbehörden und Arbeitsagenturen sich besser vernetzen, "damit es nicht Monate oder gar Jahre dauert, bis diese Fachkräfte nach Deutschland kommen."
Zusätzlich, so Fahimi, müsse Deutschland die eigenen Potenziale heben. "Es gibt immer noch zu viele junge Menschen ohne Berufsabschluss. Und wir werden digitalisieren und automatisieren müssen. Auch in Bereichen, in denen das vielleicht viele gar nicht so sehr damit verbinden - wenn ich jetzt mal an das Gesundheits- oder Pflegesystem denke."

Weniger Bürokratie, effizienteres Arbeiten

Dabei, so Professor Fratzscher, gehe es darum, dass "der deutsche Staat effizienter wird, dass er dereguliert, dass er Genehmigungsverfahren schneller macht, dass er weniger bürokratisch ist". Hürden, die den Menschen und vor allem auch den Unternehmen im Wege stünden, müsse er ausräumen oder zumindest reduzieren. Das gelte nicht nur bei beschleunigten Genehmigungsverfahren für marode Brücken, Straßen und Schienen:
Bessere Infrastruktur, ein besseres Bildungssystem, bessere Verkehrsinfrastruktur: auch das gehört zu guten Rahmenbedingungen, so dass die deutsche Wirtschaft sich erholen kann und dass der Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auch langfristig bewahrt werden können.
Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
Auf Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung drängt auch DIHK-Mann Dercks: Politik müsse heute vorsorgen für den Wohlstand von morgen: "Nach der Krisenpolitik des Jahres 2022 geht es darum, Wirtschaft und Gesellschaft für die Zukunft fit zu machen." Weil das alles viel Geld kostet, bräuchten die Unternehmen finanzielle Entlastungen, schon um sehr weitreichend Investitionen möglich zu machen:
Um hier neue Anreize zu setzen, brauchen wir insbesondere investitionsfördernde Reformen. Dazu gehört zum Beispiel die Verlängerung der degressiven Abschreibung. Aber auch eine Diskussion über die perspektivische Absenkung bei den Körperschaftsteuersätzen gehört auf die politische Agenda.
Achim Dercks, deutsche Industrie- und Handelskammer

Mehr Gerechtigkeit in der Verteilungspolitik

Fahimi dringt auf eine Entlastung auch der Arbeitnehmer: Tariferhöhungen dürften nicht von Inflation und kalter Progression weggefressen werden: "Aber die eigentliche große Verteilungsfrage ist, wie wir die großen Vermögen, die eben nicht für das Gemeinwohl eingesetzt werden, stärker an den großen Herausforderungen beteiligen."
Mehr Gerechtigkeit in der Verteilungspolitik fordert auch Fratzscher: Berlin habe den Menschen zwar mit zweihundert Milliarden großzügig durch die Krise geholfen, müsse diese Hilfen nun jedoch "sozial besser fokussieren auf Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen"; sie seien im Jahr 2022 zu kurz gekommen. Außerdem müsse die Bundesregierung auch in Europa mehr Verantwortung übernehmen, mahnt Fratzscher:
Diese Krise und die Herausforderungen werden wir alleine nicht bewältigen. Da ist es wichtig, dass Deutschland und Frankreich einen Weg zeigen und Europa letztlich stärken.
Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung

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