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: Bessere Chancen für Diesel-Kläger

von Birgit Franke und Jan Henrich
21.03.2023 | 11:30 Uhr
Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt: Dieselkäufer können auf Entschädigung hoffen, wenn Autobauer unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut haben. Fragen und Antworten dazu.
In einem Grundsatzurteil zu sogenannten "Thermofenstern" bei der Abgasreinigung hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute entschieden, dass Dieselkäufer möglicherweise Schadensersatzansprüche gegen Fahrzeughersteller haben. Die Entschädigung wegen unzulässiger Abschalteinrichtung muss demnach auch gezahlt werden, wenn dem Autobauer kein vorsätzlich sittenwidriges Handeln nachgewiesen werden kann.
Millionen Diesel-Fahrzeuge verschiedener Hersteller könnten betroffen sein. Allerdings haben die Richter in Luxemburg offen gelassen, wie hoch mögliche Ansprüche für Kunden sind.

Was ist das Thermofenster?

Das Thermofenster ist eine Software, die die Abgasreinigung in Dieselfahrzeugen abhängig von der Außentemperatur drosselt oder sogar deaktiviert. Sie wird von fast allen Herstellern bei Dieselautos mit der Abgasnorm Euro 5, Euro 6 b und 6c eingesetzt, so die Deutsche Umwelthilfe.
Wir haben über 3.000 Überprüfungen auf der Straße vorgenommen und haben kein Fahrzeug gefunden, dass bei typischen Temperaturen im Winterhalbjahr sauber war, das heißt, in dem nicht eine systematische Abschalteinrichtung tätig war."
Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe
Die Software ist so programmiert, dass die Einhaltung von Grenzwerten nur im Bereich bestimmter Temperaturen gewährleistet ist. Autos stoßen dadurch mehr giftige und gesundheitsschädliche Stickoxide aus als gesetzlich erlaubt. Die Autobauer argumentieren, Thermofenster seien notwendig, um den Motor zu schützen.

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13.10.2019 | 28:10 min

Warum der EuGH über Abschalteinrichtungen in Diesel-Fahrzeugen entscheidet

Dagegen hatte der EuGH in seiner Entscheidung aus Juli 2022 erneut klar gemacht, dass das Abschalten nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen, in Notsituationen für eine kurze Zeit, zulässig ist. Nämlich nur dann, wenn es den Fahrer vor einer konkreten Gefahr durch plötzliche und unvorhersehbare Motorschäden schützt.
Ein allgemeiner Verschleiß- und Motorschutz reiche nicht aus. Auch könnten SCR-Katalysatoren mit Harnstofflösung eingebaut werden, um die Grenzwerte auch bei niedrigeren Temperaturen einzuhalten. Thermofenster, die schon unter 15 Grad die Abgasreinigung drosseln, seien unzulässig.

Wie haben Gerichte bisher über Abschalt-Software entschieden?

Geklagt hatte vor dem Landgericht Ravensburg ein Dieselfahrer, der einen gebrauchten Mercedes C 220 CDI erworben hatte. Er verlangt vom Hersteller Schadensersatz, da dieser ein Thermofenster eingebaut hatte. Das Landgericht Ravensburg legte die Sache dem EuGH vor.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in vergleichbaren Fällen bisher argumentiert, dass es sich beim Einbau von Thermofenstern um keine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung handeln würde, sondern höchstens Fahrlässigkeit vorliege. Das reiche aber nicht aus für einen Schadensersatzanspruch nach deutschem Recht. Der EuGH sieht dies nun anders.

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08.02.2018 | 29:41 min

Schadenersatz ja - Höhe bleibt unklar

Die Luxemburger Richter haben in ihrem Urteil klar gemacht, dass die Autobauer auch für Fahrlässigkeit haften. Denn das einschlägige Unionsrecht über Diesel-Emissionen schützen auch die Interessen von jedem einzelnen Käufer. Der Hersteller trägt auch gegenüber den Kunden die Verantwortung dafür, dass die maßgeblichen Rechtsvorschriften eingehalten sind.
Allerdings müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten die Höhe des Schadensersatz im Einzelfall bestimmen. Dabei können auch die gefahrenen Kilometer, der Nutzungsvorteil, angerechnet werden -allerdings nicht so weit, dass ein möglicher Anspruch ins Leere läuft. Auch die Frage, ob überhaupt eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, muss im Einzelnen geklärt werden.

Wie geht es nach dem EuGH-Entscheid weiter?

Die Entscheidung des EuGH, dass Hersteller auch bei Fahrlässigkeit haften, hat Auswirkungen auf Schadensersatzklagen in Deutschland. Viele deutsche Gerichte, aber auch der Bundesgerichtshof, hatten auf das Urteil aus Luxemburg gewartet.
Der BGH will am 8. Mai einen ähnlichen Fall verhandeln und in seiner Entscheidung den deutschen Gerichten weitere Leitlinien an die Hand geben. Anwaltskanzleien, die sich auf die Dieselproblematik spezialisiert haben, gehen davon aus, dass eine neue Klagewelle anrollt.
Birgit Franke und Jan Henrich sind Redakteure in der Redaktion Recht und Justiz

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