Interview
: Schaffen Stahl, Zement & Co. die Klimawende?
18.09.2022 | 15:33 Uhr
Noch ist die deutsche Industrie nicht auf dem Pfad zur Klimaneutralität, sagt Volkswirtin Katja Schumacher. Nur mit neuer Technik und "großen Umbrüchen" könne das noch klappen. 
Noch ist er gewaltig, der Ausstoß von Klimagasen bei Stahl, Zement und Co. Und dennoch soll möglichst auch die Schwerindustrie in Rekordzeit grün werden. Wie kann das gelingen?
18.09.2022 | 28:34 minZDFheute: Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein. Das gilt auch für die deutsche Industrie. Wie weit ist sie auf diesem Weg?
Katja Schumacher: Die Industrie ist bisher auf einem guten Weg und hat das Treibhausgasminderungsziel für das Jahr 2021 erreicht. Aber bis zum Jahr 2030 muss noch viel passieren. Es müssen weitere 30 Prozent gemindert werden. Und die offiziellen Projektionen der Bundesregierung zeigen eher, dass diese Ziele bis 2030 nicht erreicht werden können, ohne dass jetzt deutliche weitere Anstrengungen unternommen werden.
Dr. Katja Schumacher …
… ist Volkswirtin und stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie und Klimaschutz am Öko-Institut in Berlin. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Analyse und der Beratung zu Strategien der Energie- und Klimapolitik.
ZDFheute: Was muss sich denn ändern?
Schumacher: Bisher lag der Schwerpunkt in der Industrie darauf, durch Materialeffizienz Emissionen einzusparen. Das war auch ein guter Weg. Aber für die Zukunft brauchen wir deutliche Umbrüche. Also neue, innovative und klimafreundliche Technologien, die die Industrie installieren und nutzen muss.
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Die gute Nachricht dabei: Alle 50 bis 70 Jahre müssen in der Industrie große Investitionen unternommen werden. Es gibt Studien, die gezeigt haben, dass in den nächsten acht Jahren eben solche Investitionen anstehen. Und wenn wir die geschickt nutzen und in klimafreundliche Technologien auch jetzt investieren, dann können die Ziele auch erreicht werden. Aber das muss in der großen Breite passieren und nicht nur in einzelnen Anlagen.
ZDFheute: Welche Rolle spielen dabei die Stahl-, Zement- und Chemieindustrie?
Schumacher: Sie gehören zu den Grundstoffindustrien und gerade die haben sehr hohe Emissionen. Die Stahlindustrie trägt rund 30 Prozent zu den gesamten Industrie-Emissionen bei, Chemie 20 Prozent, Zement zehn Prozent.
Wenn die Umbrüche in diesen drei Industriezweigen nicht stattfinden, dann werden wir die Ziele nicht erreichen können.
ZDFheute: Wie wichtig ist es dabei, klimafreundliche Brennstoffe zu verwenden?
Schumacher: Gerade im Stahlbereich sind viele Anstrengungen auf dem Weg, Kohle und Koks zu ersetzen, insbesondere durch Wasserstoff. Dafür braucht man aber neue Technologie. Man kann nicht die klassische konventionelle Hochofen-Route weiterverwenden, sondern muss umstellen.
Mittelfristig sollte dann auch Erdgas durch Wasserstoff ersetzt werden. Wichtig ist, dass dieser Wasserstoff dann auch grün ist, also ohne CO2-Emissionen. Ein sehr großes Problem ist, dass wir den Wasserstoff derzeit weder inländisch herstellen noch importieren können. Und die Perspektive ist unsicher.
ZDFheute: Brennstoffe und Energie sind das eine. Treibhausgase entstehen aber auch bei der Herstellung durch chemische Prozesse.
Schumacher: Diese sogenannten Prozessemissionen sind deutlich schwieriger zu mindern. Im Zement-Bereich zum Beispiel entsteht das CO2 aus dem Kalkstein heraus als chemische Reaktion. Da kann man erst mal nicht viel ändern. Da gibt es eher Ansätze, weniger Beton oder Zement zu verwenden oder das CO2 abzuscheiden und zu speichern.
Klassischerweise wird Stahlbeton zum Beispiel im Brückenbau, aber auch im Hochbau eingesetzt. Stahlmatten werden quasi eingelegt und mit Beton gegossen, weil Stahl eben sehr rostanfällig ist. Man muss relativ viel Beton nehmen, um das gut abzudecken. Das ist anders mit Carbon-basiertem Beton. Man braucht viel weniger Beton, dementsprechend wird weniger emittiert.
ZDFheute: Welchen Einfluss hat der Ukraine-Krieg auf die Klimaschutzambitionen der Industrie?
Schumacher: Der Ukraine-Krieg hat die Situation natürlich akut verschärft. Die Energiepreise sind so hoch, dass die Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren kann. Es ist aber wichtig, Investitionen in klimafreundliche Technologien jetzt schnell anzugehen und durchzuführen, um sich unabhängiger von Preisschwankungen zu machen.
Aber Unternehmen gleichzeitig dazu zu bringen, ihre akute Wettbewerbskrise zu lösen, und zu investieren, ist eine Herausforderung, die so nicht absehbar war.
Und ich glaube, das ist jetzt auch das Problem für viele Unternehmen, dass sie lieber wieder auf Öl oder andere fossile Brennstoffe umsteigen würden und die Emissionen dadurch in die Höhe treiben könnten.
Das Interview führte Marilena Schulte