: Immer mehr Kliniken in der Schieflage

Volle Notaufnahmen, Fachkräftemangel und zusätzlich steigende Energiekosten – wie soll es nun weitergehen? Rund 96 Prozent der Kliniken können die aktuellen Kostensteigerungen nicht selbst finanzieren.
12.09.2022 | 02:03 minIm Keller der München Klinik Bogenhausen liegt sein Reich. Das von Michael Bobinger, dem technischen Leiter der Klinik. Der 36-Jährige ist verantwortlich für die Haustechnik, für Wasser, Strom, Gas, Fernwärme und Dampf. In Zeiten der Energiekrise ein wichtiger Mann. Die explodierenden Preise beobachtet er mit großer Sorge, schon jetzt belaufen sich die Energiekosten auf bis zu vier Millionen Euro pro Jahr.
Sparen? Klar. Nur wo und wie?
Die Lüftung abschalten? Nicht nur aus Hygienegründen fatal für die Chirurgen, so Bobinger: "Dann müssten die ihre Operationen oder Eingriffe beenden mit den Patienten, die auf dem Tisch liegen, und die weiteren Patienten könnten nicht mehr behandelt werden."
Doch wo gäbe es mögliche Einsparpotenziale? Schwierig, sagt Bobinger. Natürlich werden sie je nach Gesetzesänderungen die Heizung in der Verwaltung auf 19 Grad anpassen. Doch dies sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
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Die Energiefresser in den Krankenhäusern sind überlebenswichtig für die Patienten. Wie etwa der aus Erdgas erzeugte Dampf, der das OP-Besteck sterilisiert. Aber was dann? "Entweder wir schalten es komplett ab und können mit den Folgen leben - oder eben nicht", so die Feststellung des technischen Leiters. Doch nicht wirklich praktikabel.
Inflation und steigende Ausgaben fordern Kliniken heraus
Nur: Wie die steigenden Ausgaben finanzieren? Nach den Belastungen durch die Pandemie trifft diese Entwicklung die Häuser nun mit voller Wucht. Hinzu kommt, dass fast alle für ein Krankenhaus relevanten Waren und Dienstleistungen sich spürbar verteuert haben.
So kosteten etwa manche Skalpelle bisher etwa drei Euro, jetzt bereits zehn Euro und mehr. Von den hohen Kosten für Personal und für Corona-Schutzmaßnahmen ganz zu schweigen.
Steigende Kosten versus sinkende Einnahmen
Während Corona wurden OPs verschoben, wichtige Einnahmequellen versiegten, Rücklagen konnten kaum gebildet werden. Axel Fischer ist Geschäftsführer der München Klinik, einem Verbund von fünf Häusern mit rund 3.000 Betten.
Die Situation, sagt er, sei alarmierend: "Inflation, Energie, Lebensmittel, alles steigt, die Schere zwischen Kosten und Erlösen klafft so weit auseinander mittlerweile, dass wir angewiesen sind auf die Politik. Ich komme mir schon vor wie ein Bettler."
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Ruf nach Hilfe der Ampel-Koalition
Kein Einzelfall. Laut einer Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) bei über 270 Kliniken können 96 Prozent die aktuellen Kostensteigerungen nicht selbst finanzieren. Während Unternehmen im freien Markt ihre Mehrkosten über höhere Preise refinanzieren können oder notfalls Teilproduktionen einstellen, sind den Krankenhäusern die Hände gebunden.
Es brauche dringend finanzielle Hilfen seitens der Bundesregierung, sagt auch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU): "Die Berliner Ampel hat die Kliniken beim Entlastungspaket schlichtweg ignoriert. Dabei waren die Warnrufe deutlich und eindringlich." Er spricht von einer Katastrophe, denn:
Wenn nichts geschieht, werden wir auf Dauer ein Kliniksterben erleben, weil viele jetzt schon auf Kante genäht sind.
Hauptleidtragende: die Patienten
Die Versorgung ist vielerorts jetzt schon gefährdet, selbst in den Notaufnahmen. Immer häufiger melden sich Ambulanzen ab. "Da ist keine Luft mehr, wir können nicht mehr sparen", sagt Christoph Dodt, Chefarzt des Notfallzentrums der München Klinik Bogenhausen:
Wir sind seit Jahren überfordert, wir brauchen Hilfe.
Und eine Reform des Gesundheitswesens, die endlich angegangen werden muss, bevor das ganze System kippt.
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Kliniken rechnen mit Millionen Mehrkosten wegen Energiekrise
Bobinger rechnet mit über 28 Millionen Euro Mehrkosten an Energie im nächsten Jahr. Er hofft nur eines, "dass wir diese Preissteigerungen nicht an Klinikpersonal, nicht an der Versorgung der Patienten, nicht an den Kliniken selbst auslassen müssen, sondern dass wir das als Gemeinschaft, als Gesellschaft tragen."
Alarmstufe Rot also in den Krankenhäusern. Nur ein rascher Eingriff kann jetzt noch retten.