Interview
: Wie nachhaltig reisen wir, Herr Strasdas?
von Marcel Burkhardt
27.07.2022 | 18:21 UhrZDFheute: Inwiefern haben die Corona-Pandemie und die Debatte um umweltverträglicheres Reisen Veränderungen in der Tourismusbranche angestoßen oder verstärkt?
Wolfgang Strasdas: Die Corona-Krise hat zunächst die Verhaltensmuster von Reisenden und etablierte Unternehmensstrategien der Reiseanbieter erschüttert. Ob sich dadurch tiefgreifende Veränderungen in der Tourismusbranche ergeben, lässt sich aber noch nicht abschließend sagen. Dafür ist das Bild zu ambivalent.
Wolfgang Strasdas…
… leitet das Zentrum für Nachhaltigen Tourismus an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Zu den Arbeitsschwerpunkten des Professors gehören Themen wie Tourismus und Klimawandel, Natur- und Ökotourismus.
ZDFheute: Inwiefern?
Strasdas: Es gibt zwei widersprüchliche Tendenzen: Einerseits haben wir in der Corona-Zeit tatsächlich eine Entwicklung zu - wenn man so will - nachhaltigerem Reisen erlebt. Das heißt: Die Leute sind für kürzere Reisen eher im Inland geblieben und haben auf Fernreisen verzichtet. Aber das ist durch den Zwang der äußeren Umstände entstanden, die vielfältigen Reisebeschränkungen etwa, und lässt sich zudem auch mit dem Unsicherheitsgefühl vieler Menschen erklären.
Andererseits sehen wir aktuell, wie stark die alten Konsummuster sind und wie sich die Massen wieder zu Flugreisen aufmachen.
Ich sehe sowohl bei den Reisenden als auch bei der Tourismusbranche ein ganz klar opportunistisches Verhalten.
ZDFheute: Was meinen Sie damit?
Strasdas: Man macht all das, was gerade geht! So nach dem Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann? Da sind dann auch die Wochenendtrips in ohnehin schon überfüllte Städte wie Barcelona oder London wieder angesagt.
Bei vielen Reiseanbietern ist es so, dass sie versuchen, mit altbewährtem Programm die Verluste auszugleichen, die sie in den letzten zwei Jahren erlitten haben. Das hat da jetzt Priorität.
Eine Tendenz zu mehr Nachhaltigkeit ist aber zumindest bei jenen Unternehmen zu beobachten, denen das Thema schon vor der Corona-Krise wichtig war.
Der Ukraine-Krieg verstärkt diesen Trend mit Sicherheit noch.
ZDFheute: Weshalb?
Strasdas: Das Einsparen von Energie ist jetzt nicht mehr nur ein moralischer Appell und eine Maßnahme für den Klimaschutz, sondern hat plötzlich eine große wirtschaftliche und auch geopolitische Bedeutung. Deshalb wird auch in der Tourismusbranche sehr viel mehr in Richtung Energieeinsparen und Umstieg auf erneuerbare Energien passieren.

Die Urlaubsangebote sind heute unendlich. Doch ein Kurztrip nach Malle, Skiurlaub oder Fliegen passen schlecht zu einem klimafreundlichen Lebensstil. Dabei geht Reisen auch nachhaltig.
28.07.2022 | 29:45 minZDFheute: Wie ist es um den "Nachhaltigkeitsgedanken" bei den Reisenden bestellt?
Strasdas: Studien zeigen, dass es bei den Deutschen eigentlich seit vielen Jahren ein ziemlich hohes Nachhaltigkeitsbewusstsein gibt, das sich in der Corona-Krise noch verstärkt hat: Es schlägt sich aber nicht wirklich im Reiseverhalten oder sonstigen Konsumverhalten nieder. Dabei gibt es auch für die Mittelstrecke, also Reisen innerhalb Europas, komfortable und umweltverträgliche Möglichkeiten.
Können wir uns noch erlauben, in den Urlaub zu fliegen?
22.06.2022 | 16:08 minZDFheute: Sie meinen Zugreisen? Immerhin haben einige europäische Zugverkehrsgesellschaften ihre Angebote für Urlaubsreisende in letzter Zeit ausgeweitet.
Strasdas: Ja, man kann zum Beispiel mit einem Interrail-Ticket sämtliche Länder Europas bequem bereisen.
Vielen Leuten ist auch gar nicht bewusst, dass sie an einem Tag etwa von Berlin mit dem Zug nach Marseille reisen können, nach London oder nach Stockholm.
Das geht alles schon jetzt, aber man muss auch sagen, dass sich das Angebot weiter verbessern muss, vor allem mit Blick auf grenzüberschreitende Zugreisen, wenn die Anbieter Auto und Flugzeug stärkere Konkurrenz machen wollen.
Das Interview führte Marcel Burkhardt.