Interview

: Warum 2023 ein Neubau-Einbruch erwartet wird

15.11.2022 | 12:36 Uhr
Steigende Baupreise und höhere Zinsen - die Baubranche hat viele Probleme. Was das für den Wohnungsbau bedeutet, erklärt Expertin Ingeborg Esser.
ZDFheute: Frau Esser, wie steht es um den Wohnungsbau in Deutschland?
Ingeborg Esser: Die massiv gestiegenen Baupreise aufgrund von Lieferkettenproblemen, aber auch die wahnsinnig gestiegenen Zinsen wirken sich ganz schwerwiegend auf den Wohnungsneubau aus. Unsere Mitgliedsunternehmen sind ja normalerweise sehr stark engagiert im sozialen Mietwohnungsbau, auch im gedämpften Wohnungsbau. Aber sie haben sehr viele Neubauprojekte zurückgestellt.
Es wird jetzt noch das fertig gebaut, was begonnen ist, damit keine Bauruinen stehen. Aber mit neuen Bauvorhaben zu beginnen, ist extrem schwierig, weil man einfach nicht auf die notwendigen Zielmieten kommt, die erreicht werden müssen.

Ingeborg Esser ...

Quelle: GdW, Urban Ruths
... ist Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.
ZDFheute: Das heißt, die Wohnungen würden zu teuer werden?
Esser: Genau so kann man das sagen. Die Wohnungen würden zu teuer werden und man würde quasi an der Klientel, für die man baut, vorbei bauen. Wir bauen im sozialen Wohnungsbau und wir bauen natürlich auch im bezahlbaren Segment.
Das heißt, wir brauchen Herstellungskosten, die bei einer Kalkulation auch tatsächlich bei den Mieten rauslaufen, die wir erreichen müssen, entweder im sozialen Wohnungsbau oder die sich die Mieterinnen und Mieter leisten können. Und da kommen wir jetzt natürlich mit den massiv gestiegenen Baukosten wie auch den massiv gestiegenen Zinsen einfach an eine magische Schwelle.
ZDFheute: Die Bundesregierung will 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen, 100.000 davon Sozialwohnungen. Ist dieses Ziel haltbar?
Esser: Für 2022 liegen die Zahlen ja noch nicht vor. 2021 sind knapp unter 300.000 Wohnungen fertiggestellt worden. Wir gehen davon aus, dass es dieses Jahr weniger sein werden, vielleicht 20.000 Wohnungen weniger.
Der richtige Einbruch bei den Fertigstellungszahlen, der wird wahrscheinlich 2023 und 2024 kommen. Die 400.000 werden jetzt in der mittleren Frist nicht erreichbar sein.
Ingeborg Esser
ZDFheute: Der Bund will den sozialen Wohnungsbau bis 2026 mit 14,5 Milliarden Euro fördern. Reicht das?
Esser: Es ist ein sehr gutes Signal, dass die Mittel für die soziale Wohnraumförderung so stark angehoben wurden. Aber man muss natürlich sehen, dass sie durch die gestiegenen Baupreise aufgefressen werden. Das heißt, es muss wesentlich mehr Fördergeld pro Wohnung investiert werden.
Insoweit erscheinen die geplanten Zahlen von 100.000 Sozialwohnungen unerreichbar. Wir haben im letzten Jahr knapp 30.000 Sozialwohnungen fertiggestellt. Ich gehe davon aus, dass im Bereich des sozialen Wohnungsbaus im Jahr 2022 noch kein Einbruch feststellbar ist.
Da gab es vom Bund noch die Klima-Milliarde, die die Ausfälle der KfW-Förderung ein bisschen ausgeglichen hat. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in 2022 knapp 30.000 Sozialwohnungen, vielleicht auch ein paar mehr, schaffen werden. Die Frage ist dann, wie es 2023 aussieht. Und da gehe ich nicht davon aus, dass wir einen Anstieg haben werden, sondern bestenfalls eine Stagnation.
ZDFheute: Was erwarten Sie für die Zukunft?
Esser: Wir müssen jetzt schauen, wie sich die Preise weiterentwickeln.
Wir sind, was die Baupreise anbelangt, bei einem Allzeithoch. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie eine vernünftige Rohstoffpolitik ermöglicht. Denn es ist natürlich keine Alternative, dauerhaft mit diesen Preisen umzugehen.
Ingeborg Esser
Das heißt, wir brauchen Alternativen, wo wir die Baustoffe herbekommen. Wir brauchen eine Strategie, wie wir mit dem Fachkräftemangel umgehen. Und dann hoffen wir, dass sich die Preise 2024, 2025 auch wieder so stabilisieren, dass wir dann wieder normal in den Neubau einsteigen können.
Das Interview führte Claudia Oberst.

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