: McLaren frustiert vom Anti-Doping-Kampf

von dpa, sid
26.04.2017 | 17:00 Uhr
Richard McLaren beklagt mangelnde Fortschritte im Anti-Doping-Kampf. Im Bundestagssportausschuss forderte er, es müssten endlich Konsequenzen aus den von ihm vorgelegten Berichten zu mutmaßlich systematischem Doping in Russland gezogen werden.

Am Samstag im aktuellen sportstudio

„Ich würde jetzt endlich gerne Ergebnisse sehen", sagte der Kanadier im Dienste der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA im ZDF. Richard McLaren, der am Samstag, 23:30 Uhr, zu Gast im aktuellen sportstudio sein wird, hatte im vergangenen Juli und Dezember Beweise präsentiert, dass Russland von 2011 bis 2015 ein staatlich gedecktes Betrugssystem aufgezogen haben soll. Im Sportausschuss kamen in der Anhörung auch Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), der WADA, der Nationalen Anti-Doping-Agentur, des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB sowie der Journalist Hajo Seppelt zu Wort. Seppelt hatte für die ARD über die russischen Praktiken zuerst berichtet. Tenor war, dass der Anti-Doping-Kampf nicht ausreichend finanziert ist und die Kontrollen nicht unabhängig genug sind.

Ernüchternde Bilanz

McLaren hatte in seiner Untersuchung im vergangenen Jahr ein institutionelles Dopingsystem in Russland bewiesen, doch zehn Monate vor den Winterspielen in Pyeongchang ist der WADA-Sonderermittler angesichts der weiterhin ausbleibenden Konsequenzen mehr als ernüchtert. Es könnte allerdings noch schlimmer kommen: Weil die IOC-Untersuchungen weiter andauern, drohe sogar ein zweites Rio. "Es müssen konkrete Schritte eingeleitet werden, um das Problem an der Wurzel zu packen", sagte der kanadische Hochschullehrer und Anwalt. "Nach meinem zweiten Bericht bin ich etwas entmutigt worden, weil IOC, WADA und der internationale Sport meiner Meinung nach halbherzig gehandelt haben", sagte er: "Ich frage mich manchmal, ob überhaupt Reformwille besteht."
Richard McLaren und Alfons HörmannQuelle: dpa
Das IOC hatte nach dem ersten McLaren-Bericht zwei Kommissionen eingesetzt, die derzeit die Hinweise auswerten. Wann diese Ermittlungen abgeschlossen werden, ist noch offen. Darüber hinaus hat das IOC unter anderem im Zusammenhang mit den Manipulationen in Sotschi 28 Ermittlungsverfahren gegen russische Sportler eingeleitet. In der Stellungnahme für den Sportausschuss erklärte das IOC: "Derzeit kann aufgrund der notwendigen weiteren umfangreichen Untersuchungen kein Zeitpunkt für den Abschluss der Sanktionsverfahren des IOC verlässlich vorhergesagt werden." Ziel sei es allerdings, so das IOC, "rechtzeitig" vor den Winterspielen in Pyeongchang (9. bis 25. Februar 2018) zu Entscheidungen zu kommen.
Wir können nur fordern, dass die bestehenden Systeme durchbrochen werden.
Alfons Hörmann

DOSB-Präsident Alfons Hörmann unterstützte McLaren. "Ich sage ausdrücklich: Dieser Unzufriedenheit schließen wir uns aus Sicht des deutschen Sports an", sagte Hörmann: "Wir können nur fordern, dass die bestehenden Systeme durchbrochen werden."

Anti-Doping: Ermittlungsberichte und ihre Folgen

Erster WADA-Ermittlungsbericht (9. November 2015)

Ergebnisse:

  • Bestechung und Korruption bis hin in die höchsten Führungszirkel der internationalen Leichtathletik.
  • Ein weit verbreitetes Doping- und Korruptionssystem in Russland, das offenbar durch staatliche Stellen bis hin zum Sportminister Witali Mutko gestützt wurde.

Folgen

Quelle: ap
10. November 2015:

  • Die WADA entzieht dem Doping-Kontrolllabor in Moskau vorläufig die Akkreditierung.
  • Das Internationale Olympische Komitee suspendiert sein Ehrenmitglied Lamine Diack.

13. November 2015:

  • Die IAAF suspendiert den russischen Leichtathletik-Verband ARAF. Das heißt, die Sportler erhalten ein Startverbot bei internationalen Wettbewerben.

18. November 2015:

  • Die WADA suspendiert Russlands Anti-Doping-Agentur RUSADA.

7. Januar 2016:

  • Die Ethikkommission der IAAF sperrt den Sohn von Ex-Präsident Diack, Papa Massata Diack, den ehemaligen IAAF-Schatzmeister Walentin Balachnitschjow und Russlands Ex-Cheftrainer Alexej Melnikow lebenslang. Der frühere IAAF-Anti-Doping-Chef Gabriel Dollé wird für fünf Jahre gesperrt.

Zweiter WADA-Ermittlungsbericht (14. Januar 2016)

Quelle: ZDF
Ergebnisse:

  • Die IAAF hat im Kampf gegen Doping und Korruption komplett versagt.
  • Als Hauptverantwortlicher für die Organisation und Vertuschung wird der frühere IAAF-Präsident Lamine Diack ermittelt.

Folgen

Quelle: ZDF
12. Mai 2016:

  • Die US-Justiz, das IOC und die WADA nehmen Ermittlungen auf. Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors, Grigori Rodschenkow, hatte zuvor in der "New York Times" behauptet, dass er in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten zusammen mit der RUSADA sowie dem Geheimdienst auf Anordnung vom Staat vertuscht habe.

17. Mai 2016:

  • Die WADA setzt eine Untersuchungskommission wegen der Sotschi-Vorwürfe ein.

17. Juni 2016:

  • Einstimmig bestätigt das Council der IAAF die Sperre für die russischen Leichtathleten. Damit dürfen sie bei den Olympischen Spielen in Rio nicht starten. Einzelne Athleten können jedoch unter neutraler Flagge teilnehmen, sofern sie nicht im russischen Doping-System involviert sind.

Erster McLaren-Report (18. Juli 2016)

Quelle: ZDF
WADA-Chefermittler Richard McLaren

Ergebnisse:

  • Systematisches und von höchsten politischen Kreisen gedecktes Doping-System in Russland während der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi.

Folgen

Quelle: reuters
7. August 2016:

  • Das russische Team besteht bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro aus 278 Sportlern. Die russischen Sportler dürfen nur nach einer Freigabe durch die internationalen Fachverbände ihrer Sportarten teilnehmen. Außerdem entscheidet der Internationale Sportgerichtshof CAS, dass Sportlern auf Grundlage einer früheren Dopingsperre nicht die Teilnahme an den Spielen verwehrt werden darf.
  • Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) schließt die russischen Behindertensportler wegen massiver Doping-Verstöße komplett von den Paralympics in Rio aus.

Zweiter McLaren-Report (9. Dezember 2016)

Quelle: dpa
Ergebnisse:

  • Ein über Jahre dauerndes, staatlich gestütztes Dopingsystem.
  • Mehrere Großereignisse sind betroffen, darunter die Olympischen Spiele 2012 in London und die Winterspiele in Sotschi 2014 sowie die Leichtathletik-WM 2013.
  • Insgesamt sollen mehr als 1000 russische Sportler von der Vertuschung profitiert haben. Mehr als zwei Dutzend Medaillengewinner von London und Sotschi sind betroffen.

Folgen

9. Dezember 2016:

  • Das IOC kündigt an, alle eingelagerten Dopingproben russischer Athleten der Olympischen Spiele 2012 in London nachzutesten.

11. Dezember 2016:

  • Die Internationale Eislauf Union (ISU) vergibt vorerst keine Großereignisse mehr nach Russland.

13. Dezember 2016:

  • Der Internationale Bob & Skeleton Verband (IBSF) entzieht Sotschi die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2017.

22. Dezember 2016:

  • Der Eisschnelllauf-Weltverband entzieht den Russen das Weltcup-Finale der Eisschnellläufer in Tscheljabinsk im März 2017.
  • Der Russische Biathlon-Verband RBU gibt den Weltcup in Tjumen und die Junioren-WM in Ostrow im Februar zurück.

23. Dezember 2016:

  • Russlands nordischer Ski-Verband verzichtet auf die geplante Gastgeber-Rolle beim Weltcup-Finale der Langläufer (16.-19. März) in Tjumen.

Die Erkenntnisse des ersten McLaren-Reports hatten vor den Spielen in Rio zu großen Diskussionen geführt. Das IOC hatte sich letztlich gegen einen Komplett-Ausschluss des russischen Teams entschieden. Unter großem Zeitdruck mussten die einzelnen Sportverbände über die Zulassung der russischen Sportler entscheiden. Ein verwirrendes Hin und Her - ohne einheitliche Regeln. Am Ende starteten rund 270 russische Sportler.
Pyeongchang darf kein zweites Rio werden.
Alfons Hörmann
Ein ähnliches Wirrwarr vor den Winterspielen 2018 sieht Hörmann als unzumutbar an. "Das, was dort passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Pyeongchang darf kein zweites Rio werden", sagte Hörmann: "Deshalb ist bei allen Kommissionen der Zeitfaktor zu berücksichtigen, andernfalls droht ein ähnliches Szenario wie in Rio." Hörmann betonte, die Zustände in Russland seien nicht zu akzeptieren. "Wenn weder Schuldbewusstsein erkennbar ist, noch irgendein Umdenken erfolgt, dann sehen wir klare und harte Sanktionen als dringend erforderlich", sagte Hörmann: "Für uns war es unvorstellbar, in welcher Mannschaftsstärke Russland in Rio angetreten ist."
IOC-Generaldirektor Christophe de Kepper rechnet damit, dass es nach Abschluss der Ermittlungen weitere Sanktionen geben werde. "Ich kann keine Einschätzungen geben, welche Möglichkeiten es da geben wird, das wird vor allem von der Beweislast abhängen", sagte de Kepper: "Es ist aber vorauszusehen, dass es im Rahmen der beiden Verfahren weitere Sanktionen geben wird."