FAQ

: Deutlich mehr Krankmeldungen 2022 - Warum?

von Katja Belousova
26.10.2022 | 14:20 Uhr
Aktuell melden sich deutlich mehr Erwerbstätige krank als in der Corona- und Vor-Corona-Zeit. Ein Hauptgrund dafür sind Atemwegsinfekte. Warum sie gerade jetzt so stark grassieren.
Zur Zeit sind deutlich mehr Menschen in Deutschland wegen Schnupfen, Husten oder Bronchitis krankgeschrieben als gewöhnlich.Quelle: Colourbox.de
Halsschmerzen, Husten, Schnupfen: Herbst bedeutet Erkältungszeit. Und die ist in diesem Jahr nicht nur gefühlt früher gestartet als sonst: Deutschlandweit berichten Krankenkassen, dass der Krankenstand unter Beschäftigten in den vergangenen Wochen höher war als sonst. Der Hauptgrund: ein ungewöhnlich hohes Niveau der normalen Atemwegserkrankungen.
Ausschlaggebend für diesen starken Anstieg sind vor allem Krankschreibungen aufgrund von Krankheiten des Atmungssystems (Grippe, Erkältungen etc.).
Techniker Krankenkasse
Warum sind aktuell mehr Menschen wegen Atemwegsinfekten krankgeschrieben als in den Vorjahren? Was hat das Ende der Maskenpflicht damit zu tun? Und wie bewerten Ärzt*innen die Lage? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was berichten die gesetzlichen Krankenkassen?

ZDFheute hat mehrere gesetzliche Krankenkassen angefragt. Das Ergebnis: Im dritten Quartal 2022 - also von Juli bis September - liegt der Krankenstand bei versicherten Erwerbstätigen höher als in den Corona- und Vor-Corona-Jahren. "Es zeigt sich, dass der Krankenstand der bei der TK versicherten Erwerbstätigen im dritten Quartal 2022 im Verhältnis zu den Vorjahren schon jetzt außergewöhnlich hoch ist", schreibt die Techniker Krankenkasse auf Anfrage.
ZDFheute Infografik
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Die Kaufmännische Krankenkasse KKH schreibt mit Blick auf das laufende Jahr: "Nie war die Zahl der Krankschreibungen seit Beginn der KKH-Erhebung im Jahr 2015 auch nur annähernd so hoch." Sie hat für ZDFheute die Daten aus dem September und der ersten Oktober-Hälfte im Vergleich zu den Vorjahren ausgewertet.
ZDFheute Infografik
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Als Grund für den Anstieg sehen KKH und TK in erster Linie normale Atemwegerkrankungen - und nicht explizit das Coronavirus.
Hauptursache für die Rekordzahl an Krankschreibungen sind vor allem Erkrankungen der oberen Atemwege wie grippale Infekte, Halsentzündungen und Schnupfen.
Kaufmännische Krankenkasse
Auch AOK, DAK, IKK und die Barmer berichten von gestiegenen Krankmeldungen in den vergangenen Monaten sowie im gesamten Jahr 2022 infolge von Atemwegsinfekten. Laut AOK hätten sich im laufenden Jahr die Fehltage wegen Atemwegserkrankungen im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht. Und die IKK wagt folgende Prognose:
Für die kommenden Herbstmonate erwarten wir eine Fortsetzung dieses unerfreulichen Trends, so dass das Krankheitsgeschehen für das Gesamtjahr 2022 wohl zu einem neuen Rekordstand von rund sieben Prozent führen wird.
Innungskrankenkasse

Wie ist die Lage in den Praxen?

Hausarztpraxen können die Berichte der Krankenkassen bestätigen.
"Aktuell suchen vermehrt Patientinnen und Patienten unsere Praxen aufgrund von Atemwegserkrankungen auf", erklärt Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Auch erste Grippefälle seien in diesem Jahr sehr früh aufgetreten.
Das bedeutet: Die Personaldecke in den Betrieben wird insgesamt dünner - unter anderem in Kliniken. "Auch bei uns im Krankenhaus merken wir aktuell, dass Beschäftigte zunehmend mit Atemwegsbeschwerden ausfallen", erklärt Stefan Kluge, Pneumologe und Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Warum melden sich so viele wegen Atemwegsinfekten krank?

"Die größtenteils aufgehobene Maskenpflicht, wieder mehr Begegnungen auf engerem Raum bei der Arbeit und bei Veranstaltungen haben das Infektionsgeschehen im ersten Halbjahr 2022 wieder in Gang gesetzt", erklärt die KKH.
Das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes war effektiv im Kampf gegen Corona und sorgte in den vergangenen Jahren gleichzeitig dafür, dass unser Immunsystem weitgehend auch von Erkältungs-Viren verschont blieb - daher ist manch einer seit Ende der Maskenpflicht für diese Erreger besonders anfällig.
"Durch die im Rahmen der Corona-Pandemie notwendigen Kontaktbeschränkungen fehlt unserem Immunsystem das natürliche Training, dass es braucht, um eine Immunität aufbauen zu können", erklärt Markus Rose, Experte für Kinder-Pneumolgie am Klinikum Stuttgart. Denn durch leichte Infekte, die man zum Teil nicht einmal bemerkt, bauen wir eine Immunität gegen saisonale Erreger auf. "Diese Infektionen fanden durch Lockdowns und Maskenpflicht weniger statt, daher werden diese Infekte jetzt nachgeholt", sagt sein Kollege Stefan Kluge.
Doch auch andere Gründe könnten eine Rolle spielen - etwa dass Menschen sich seit der Corona-Pandemie bei Atemwegsinfekten eher krankschreiben lassen als früher. "Seit der Pandemie scheint das Bewusstsein vieler dafür gestiegen zu sein, wieder mehr auf seinen Körper zu hören, Erkrankungen auszukurieren und andere vor Ansteckung zu schützen", erklärt Markus Beier.
Aus ärztlicher Sicht gehört man mit einem Infekt ins Bett und nicht ins Büro. Umso schneller ist man wieder fit und umso sicherer ist das Umfeld. Ganz unabhängig von Corona.
Markus Beier, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes
Mitarbeit: Beate Seck