: Wenn die Befreier von früher Krieg bringen

von Astrid Benölken
27.01.2023 | 21:19 Uhr
Überlebende, Politiker und Geistliche erinnern während der Gedenkfeier zur Auschwitz-Befreiung an die mehr als eine Millionen Todesopfer. Und blicken mit Sorge in die Ukraine.
Als der Viehwaggon endlich hielt, stieß Zdzisława Włodarczyks Vater einen Schrei der Verzweiflung aus. Als Włodarczyk seinem Blick nach draußen folgte, las sie auf einem Schild in schwarzen Lettern das Wort "Auschwitz". Dass dieser Name heute für sie mit schrecklichen Erinnerungen verbunden ist, konnte Włodarczyk damals noch nicht ahnen. Als Auschwitz-Überlebende erzählt sie bei der Gedenkfeier zum 78. Jahrestag der Befreiung der Vernichtungsstätte von ihren Erlebnissen im KZ.
Das Lager Auschwitz wurde am 27. Januar 1945 von Soldaten der Roten Armee befreit. Sie stießen auf Kinder, Alte und Kranke, die die Deutschen bei der Auflösung des Todescamps zurückgelassen hatten. Etwa 1,1 Millionen Menschen starben im Vernichtungslager, ermordet in den Gaskammern oder getötet durch ein System aus Zwangsarbeit, Misshandlungen und Hunger.

Sorge um Entwicklung in der Ukraine

Bei der Gedenkfeier ziehen die Überlebenden und der Direktor der Gedenkstätte direkte Verbindungen in die Gegenwart und zu Russlands Angriff auf die Ukraine.
Es ist schwer für uns, hier zu stehen, schwerer als in vergangenen Jahren. Als erstes verletzt ein Krieg Verträge, dann Grenzen, und schließlich: Menschen.
Piotr Cywiński, Leiter der Gedenkstätte
Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP hat Cywiński im Vorfeld der Gedenkveranstaltung zum ersten Mal keine Einladung für die Feier in Richtung Moskau ausgesprochen. "Während ich hier in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau stehe, höre ich mit Entsetzen die Nachrichten aus dem Osten, dass dort ein Krieg herrscht", sagt die Auschwitz-Überlebende Włodarczyk.
Die russischen Truppen, die uns hier befreit haben, führen dort in der Ukraine einen Krieg. Warum?
Zdzisława Włodarczyk, Auschwitz-Überlebende
Die Veranstaltung stand unter dem Ausspruch des Überlebenden Marian Turski: "Auschwitz fiel nicht vom Himmel". Er erinnert daran, dass es Architekten gab, Planer, Gutachter, dass das System Auschwitz sich erst schrittweise zu einer Todesmaschinerie weiterentwickelte. "Bislang bin ich hier als Zeuge gekommen, aber seit einem Jahr seid Ihr die Zeugen, ihr jungen Menschen, seit der Zeit des Verbrechens in Butscha", sagt Turski gegenüber dem ZDF.

Überlebende traumatisiert und einsam

Dass Auschwitz mit der Befreiung durch die Soldaten der Roten Armee nicht zu Ende ging, sondern tiefe Wunden riss, macht vor allem die Überlebende Eva Umlauf mit den Erzählungen über ihre Mutter deutlich. Umlauf und ihre Mutter überlebten, weil sie mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz gebracht wurden. Bei ihrer Ankunft hatten die Nationalsozialisten die Gaskammern bereits gesprengt, um ihre Spuren zu verwischen.

Eva Umlauf wurde 1944 mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte das Vernichtungslager nur knapp. Heute berichtet sie als Zeitzeugin an Schulen, um ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen.

27.01.2023 | 01:49 min
Obwohl sie glücklich darüber sei, überlebt zu haben, sei das Weiterleben eine Last gewesen, berichtet sie: "Wir haben keine Verwandten. Keine. Keine Onkel, keine Tanten, keine Großeltern, keine Cousinen und Cousins." Alle waren durch die Deutschen ermordet worden.
Umlauf, ihre Mutter und die nach der Befreiung geborene Schwester mussten damit klarkommen, dass sie sich als traumatisierte Jüdinnen in einer Gesellschaft wiederfanden, die "nach dem Prinzip: 'Es muss auch mal Schluss sein' zur Normalität übergehen wollte".

Erinnerungen kommen immer wieder hoch

Eva Umlauf berichtet, ihre Mutter habe sich stets beschäftigt gehalten. Aber als die Lehrerin dann in Pension ging, brach auch die Struktur ihres Arbeitslebens weg, die bis dahin die verstörenden Erinnerungen in ihr in Zaum gehalten hatte. Sie fiel in eine tiefe Depression und verfiel zunehmend.
Wer es selbst erlebt hat, weiß, dass die durch Verfolgung, Gewalt, Freiheitsberaubung im Arbeitslager und später auch im Todeslager Auschwitz geschlagenen Wunden nicht einfach heilen können.
Eva Umlauf, Auschwitz-Überlebende
Und Umlauf resümiert: "Auschwitz-Verwundete wissen, dass sie das Erlebte für immer in sich tragen, egal wie viel Zeit vergeht."

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