: Brand-Gedenken in Duisburg: War es Rassismus?

von Katja Belousova
26.08.2024 | 13:48 Uhr
Vor 40 Jahren brennt ein Haus in Duisburg, sieben Menschen mit Migrationshintergrund sterben. Später schließen Behörden Rassismus als Motiv aus. Das wirft bis heute Fragen auf.
Gedenkfeier anlässlich des Brandanschlags in Duisburg-Wanheimerort im Jahr 2023Quelle: imago
In der Nacht, die ihr Leben verändern wird, muss die 13-jährige Duisburgerin Aynur Satir dringend auf Toilette. Es ist die Nacht vom 26. auf den 27. August 1984 und Satir huscht durch den dunklen Flur des Mehrfamilienhauses im Stadtteil Wanheimerort, in dem sie gemeinsam mit ihrer Familie lebt. Das Gebäude hat noch Gemeinschaftstoiletten auf den Etagen.
Kurz später, als sie wieder im Bett liegt, steht eben jener Flur in Flammen. "Meine Schwester hatte das Feuer entdeckt und schrie: 'Mama, es brennt'. Daraufhin rannte meine Mutter aus dem Bett und versuchte sich und uns zu retten", erinnert sich Satir im Gespräch mit ZDFheute.
Sie selbst sprang mehrere Meter in die Tiefe aus dem Fenster - und überlebte schwer verletzt. Doch sieben Familienmitglieder starben. Darunter Satirs Mutter, vier Geschwister, ihr Schwager und ihr Neffe - ein Säugling.

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Warum schloss die Polizei ein rassistisches Motiv aus?

"Den Schmerz trage ich bis heute in mir", erklärt die heute 53-Jährige und macht dafür auch die mangelnde Aufarbeitung der Ereignisse verantwortlich.
Am Montag jährt sich der Brandanschlag in Duisburg-Wanheimerort zum 40. Mal und bis heute steht eine Frage im Raum: Warum schloss die Polizei Rassismus als Motiv aus? Obwohl alle Toten Migrationshintergrund hatten? Und die Frau, die sich zu der Tat bekannt hatte, Jahre später Feuer in einem Asylbewerberheim legte?
1996 wurde die geständige Evelin D. am Landgericht Duisburg für die Tat verurteilt - sie musste sich zuvor schon für andere Brandstiftungen verantworten. "Ein rechtsradikaler Hintergrund ist überhaupt nicht zu vermuten", sagte der Anwalt von Evelin D. rund 40 Jahre später dem WDR. Dieser Argumentation folgte auch das Gericht - und sah am Ende kein rassistisches Motiv für die Tat.

Kritik der Angehörigen aus Duisburg

"Für mich ist das bis heute unverständlich", sagt Aynur Satir, die gemeinsam mit ihrer Schwester Nebenklägerin war. "Schon im Prozess 1996 hatten wir nicht die Möglichkeit, von dem Hakenkreuz an unserer Hauswand zu berichten. Wir haben nicht die Möglichkeit bekommen, dies vor Gericht als Zeugen zu erwähnen."
"Ich hatte das Gefühl, dass die Behörden mich nicht ernst genommen haben. Dass meine Schilderungen keine Rolle spielten", erinnert sie sich.
Wir überlebenden Angehörigen wurden einfach ignoriert.
Aynur Satir, Überlebende des Brandanschlags von Duisburg

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Duisburg: "Politische Motive der Tat unzureichend untersucht"

Nachdem der Brandanschlag lange Zeit kaum Beachtung fand, hat sich in den vergangenen Jahren etwas bewegt. Seit 2023 erinnert eine Gedenktafel am betroffenen Haus in der Wanheimer Straße an die Toten; dazu schrieb die Stadt Duisburg in einer Mitteilung:
"Obwohl der Brandanschlag auf ein vor allem von Migrant*innen aus der Türkei und aus dem ehemaligen Jugoslawien bewohntes Haus erfolgte, wurden mögliche rassistische und/oder politische Motive der Tat unzureichend untersucht und von Polizei und Staatsanwaltschaft schnell verworfen."
Das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt überprüft den Brandanschlag derweil erneut mit Blick auf ein mögliches rassistisches Motiv im Rahmen des Projektes "ToreG NRW" (Todesopfer rechter Gewalt NRW).
Aynur Satir, Überlebende des Anschlags (M.), bei der Gedenkfeier anlässlich des Brandanschlags im vergangenen Jahr.Quelle: imago

Gedenken 40 Jahre nach der Tat

Solche Entwicklungen sind Lichtblicke für Aynur Satir - gleichzeitig ist sie enttäuscht, dass bisher niemand vom LKA Kontakt mit ihr aufgenommen oder sie noch einmal befragt habe. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen erklärte in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD: "Die Perspektive der Hinterbliebenen bzw. Überlebenden ist kein Bestandteil des Projektauftrages ToreG NRW."
Dieses Vorgehen kritisiert die Opferberatung Rheinland, eine Organisation, die Betroffene rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer menschenfeindlicher Gewalt unterstützt. Das LKA missachte die "derzeit geltenden Kriterien für die Bewertung politisch motivierter Kriminalität", denen zufolge "bei der Würdigung der Umstände der Tat neben anderen Aspekten auch die Sicht der/des Betroffenen mit einzubeziehen" sei.
Zumindest am Montag soll die Sicht der Betroffenen aber wieder im Fokus stehen: Bei der Gedenkveranstaltung 40 Jahre nach dem Anschlag wird auch Aynur Satir dabei sein. Ausklingen wird sie in der Tarık-Turhan-Galerie - benannt nach Satirs Neffen, der als Säugling bei dem Brand ums Leben gekommen ist.

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Quelle: ZDF
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