Interview

: Warum milde Strafen gut möglich sind

10.01.2023 | 05:02 Uhr
Strafrichter Patrick Burow beobachtet den Prozess um den Dresdner Juwelenraub im Grünen Gewölbe. Im Interview erklärt er, wieso die Angeklagten glimpflich davonkommen könnten.
Seit etwa einem Jahr läuft in Dresden der Prozess gegen sechs Tatverdächtige wegen schweren Bandendiebstahls, Brandstiftung und besonders schwerer Brandstiftung. Die Angeklagten sollen am 25. November 2019 innerhalb weniger Minuten aus der sächsischen Schatzkammer im Residenzschloss 21 einzigartige Schmuckstücke gestohlen haben. Die Beute wurde auf einen Wert von 113 Millionen Euro taxiert.
Der Dessauer Strafrichter Patrick Burow beobachtet den Prozess und schreibt sogar einen Roman darüber. Im Gespräch mit ZDFheute analysiert er die Taktik der Verteidigung und erklärt, unter welchen Umständen die Angeklagten glimpflich davonkommen könnten.
ZDFheute: Herr Burow, bis Mitte 2022 zeigten sich die Angeklagten im Dresdner Juwelenraub-Prozess schweigsam: Warum?
Patrick Burow: Das liegt an der Prozessstrategie. Viele Verteidiger raten erst mal zum Schweigen. Man schaut, was die Staatsanwaltschaft so vorbringt an Beweismitteln. Die Verteidiger beobachten auch genau, wie das Gericht darauf reagiert. Es ist wichtig, die Prozessstimmung zu erspüren. Und irgendwann sieht man das Gericht auf Verurteilungskurs. Und dann schlägt die Stimmung um und es heißt dann plötzlich: Mein Mandant will jetzt doch was sagen.
ZDFheute: Was gab in Dresden den Ausschlag dafür?
Burow: Ich glaube, die DNA-Nachweise vor Ort dürften den Angeklagten das Genick gebrochen haben. Strafjuristen sehen sie als überzeugende Beweise. Es gilt nun als sicher: Die Angeklagten waren vor Ort …
ZDFheute: … und raubten einen Schatz von unermesslicher kunsthistorischer Bedeutung? Bis jetzt ist offenbar kein einziges Stück aus dem Raub auf dem internationalen Markt aufgetaucht.
Wenn jetzt Teile der Beute zurückgegeben werden konnten, dann womöglich ja auch, weil sie nicht verkauft werden konnten. Das zeigt, dass die Täter sich vorher keine großen Gedanken gemacht haben, was sie damit anfangen sollen.
Patrick Burow
ZDFheute: Was macht die Beute so schwer verkäuflich?
Burow: Die Juwelen und ihre Zusammenstellung sind so einmalig, sie würden sofort erkannt. Und der Materialwert der Diamanten selbst ist nicht so groß. Zudem würden sie bei einer Bearbeitung drastisch an Masse verlieren. Man müsste sie ja so erheblich umschleifen, dass sie nicht als die Diamanten aus Dresden erkennbar sind. Da muss man erst mal jemanden finden, der das kann. Und der sich dazu auch hergibt.
ZDFheute: Man begeht also einen der spektakulärsten Einbrüche der Geschichte und macht Beute, die sich als unverkäuflich erweist?
Die mutmaßlichen Täter haben den kulturellen und materiellen Wert überhaupt nicht erfasst, die haben es gemacht, weil sie es konnten.
Patrick Burow, Strafrichter

Hintergrund: Grünes Gewölbe

Quelle: dpa
  • Das Historische Grüne Gewölbe im Dresdner Residenzschloss ist das barocke Schatzkammermuseum der sächsischen Kurfürsten und Könige. In zehn prachtvoll ausgestatteten Räumen beherbergt es rund 3.000 Schmuckstücke und andere Meisterwerke aus Gold, Silber, Edelsteinen, Elfenbein und anderen wertvollen Materialien aus mehreren Jahrhunderten.
  • Das 1723 bis 1729 eingerichtete Prunkstück der Kunstsammlung des legendären Kurfürst-Königs August der Starke (1670-1733) gilt als eine der reichsten Schatzkammern und eines der ältesten Museen Europas.
  • Drei der acht Räume aus dem 18. Jahrhundert fielen den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg 1945 zum Opfer. Die Rote Armee beschlagnahmte die ausgelagerten Kostbarkeiten und brachte sie nach Moskau, 13 Jahre später wurde die Sammlung zurückgegeben. Wegen Platzmangels konnte bis in die 90er Jahre aber nur ein geringer Teil davon gezeigt werden.
  • In die Rekonstruktion der barocken Räume - vom Bernsteinzimmer über den Pretiosensaal bis zum Juwelenzimmer - investierte Sachsen 45 Millionen Euro. Seinen Namen verdankt das Museum malachitgrünen Abfärbungen einzelner Bauteile darin.
  • Seit ihrer Wiedereröffnung im September 2006 gehört die Schatzkammer zu den Besuchermagneten der Kulturstadt.
  • Bei dem Einbruch am 25. November 2019 wurden einige der kostbarsten Stücke der Juwelensammlung des 18. Jahrhunderts gestohlen. Dabei handelt es sich um prominente Kunstwerke der Diamantrosen- und Brillantgarnitur sowie des Brillantschmucks der Königinnen, etwa die Große Brustschleife, eine Kette aus sächsischen Perlen, eine Epaulette (Schulterstück) und ein mit über 770 Diamanten besetzter Degen.
Quelle: dpa
ZDFheute: In diesem Fall also stehlen Einbrecher einen Schatz, den sie nicht verkaufen können, und bekommen nun einen Strafnachlass, weil sie ihn zurückgeben. Läuft es darauf hinaus?
Burow: Ich denke, es wird eine Verständigung geben: Rückgabe der Beute gegen eine ganz erhebliche Strafmilderung.
ZDFheute: Wie finden Sie das?
Burow: In diesem Fall gibt es keine Alternative. Ohne die Verständigung hätte das Grüne Gewölbe die Juwelen nie wieder bekommen. Man hat ja in Berlin auch nach Dutzenden Razzien die Juwelen nicht gefunden.
ZDFheute: Ist so ein Deal nicht dennoch etwas anrüchig?
Burow: Die ersten inoffiziellen Verständigungen gab es schon Ende der 1970er. Der Gesetzgeber hat den "Deal" später auch in Gesetzesform gegossen und von Deal in "Verständigung" umbenannt, weil die Justiz wegen ihrer Überlastung ohne Verständigungen gar nicht mehr auskam.

Gestohlener Schmuck des Grünen Gewölbes

Große Brustschleife aus der Sammlung der Schatzkammer des Grünen Gewölbes.

Quelle: dpa

ZDFheute: Auf Kosten harter Urteile?
Burow: Ja, meistens kommt beim Deal dann beim Urteil erheblich weniger raus, als sich der Staatsanwalt vorgestellt hat. Der Vorteil ist, dass man das Verfahren endgültig abschließen kann, denn es gehört auch zum guten Ton, dass die Verteidiger dann kein Rechtsmittel mehr einlegen. Sie können also Rechtsfrieden herstellen.
ZDFheute: Das klingt einleuchtend und effektiv.
Burow: Ja, aber es entwertet auch ein Stück weit den Rechtsstaat, weil der Staat seinen Strafanspruch verkauft. Das Urteil wird im Hinterzimmer praktisch wie auf einem Basar ausgehandelt. Dadurch wird auch der Öffentlichkeitsgrundsatz verletzt, weil eigentlich ein Urteil in einer öffentlichen Verhandlung zustande kommen soll.
Und drittens verletzen die Gerichte ihre Aufklärungspflicht, denn ihnen genügt meistens ein einfaches Geständnis. Es wird nicht weiter nachgeforscht. Da gibts auch Missbrauchsmöglichkeiten. Kriminelle Banden könnten zum Beispiel einen Unschuldigen aus der dritten oder vierten Reihe opfern und das Gericht würde das nicht herausfinden, weil es das Geständnis nicht weiter prüft.
ZDFheute: Die gelieferten Stücke sind offenbar stark beschädigt. Was kann das für den Deal bedeuten?
Burow: Noch ist diese Verständigung ja nicht verkündet und protokolliert, erst dann gilt sie. Und das Gericht kann bei neuen Tatsachen auch von der Verständigung zurücktreten. Es fehlen ja auch noch Diamanten, der sogenannte "sächsische Weiße" zum Beispiel.
ZDFheute: Glauben Sie die Gesellschaft würde lieber Verbrecher hinter Gittern sehen, oder den "sächsischen Weißen" wieder in der Vitrine?
Burow: Man könnte natürlich weiter Großrazzien in Berlin durchführen und Wohnungen von Verdächtigen auf den Kopf stellen. Vielleicht würden Sie die Juwelen finden, aber vielleicht auch nicht.
Ich glaube trotzdem, dass die Gesellschaft diesen Deal ablehnen und lieber ein hartes Durchgreifen des Staats erwarten würde.
Patrick Burow
ZDFheute: Und Sie persönlich?
Burow: Ich würde mir eine Justiz wünschen, die aus einer Position der Stärke heraus auf solche Deals nicht angewiesen ist. Dass man sagen könnte: Nein, wir machen ganz einfach ein ordentliches Urteil.
Das Interview führte Thomas Bärsch aus dem ZDF-Landesstudio Dresden.

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