: Rufe aus den Trümmern - und hilflose Helfer

07.02.2023 | 21:11 Uhr
In Trümmerbergen suchen Helfer in der Türkei und Syrien nach Überlebenden der Erdbeben. Die Zeit läuft ihnen davon. In der Türkei mischt sich unter die Verzweiflung auch die Wut.

In Nordsyrien werden noch immer Verschüttete aus den Erdbebentrümmern geborgen, aber die Zahl der Todesopfer steigt weiter an. Wir geben einen Überblick aus mehreren betroffenen Orten.

08.02.2023 | 02:28 min
Selbst das Gebäude der Retter ist nur noch ein Schutthaufen. Der Sitz der Katastrophenschutzbehörde Afad im südtürkischen Hatay ist eingestürzt und zum Sinnbild für die große Zerstörung im Land geworden. Erste-Hilfe-Taschen ragen aus den Trümmern, wie auf Bildern in den Medien zu sehen ist.
Nach einem der schwersten Erdbeben der letzten Jahrzehnte in der Türkei und Syrien wird das Ausmaß der Katastrophe immer deutlicher: Eingestürzte Gebäude, Tausende Tote, zahllose noch immer unter den Trümmern Verschüttete. 13,5 Millionen Menschen sind allein in der Türkei von der Katastrophe betroffen.

Türkische Regierung gerät in die Kritik

Die Menschen sind verzweifelt, aus abgelegenen Regionen kommen Rufe nach mehr Hilfe, teilweise fehlen Strom und Wasser, Zufahrtswege sind zerstört oder verschneit, es ist bitterkalt. In den sozialen Medien teilen Menschen verzweifelt die mutmaßlichen Standorte ihrer Liebsten.
Serkan Eren berichtet aus dem türkischen Hatay:
In der Türkei scheint jeder jemanden zu kennen, der unter den Trümmern begraben ist. Mehr als 50.000 Retter sind im Einsatz - aber ihnen läuft die Zeit davon.
Bei vielen wächst aber auch die Wut: Wenn noch nicht mal die Gebäude der Helfer sicher sind, welche sind es dann? Fragen werden in der Türkei laut, wie es zu der großen Zerstörung kommen konnte - und ob die Regierung ausreichend vorbereitet war.

Wissenschaftler: Niemand hat auf uns gehört

Für Experten war das Beben zwischen der Anatolischen und der Arabischen Erdplatte keine Überraschung. An dieser sogenannten Ostanatolische Verwerfungszone sei ein großes Beben überfällig gewesen, sagt Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam. Der türkische Geowissenschaftler Naci Görür sagt lokalen Medien:
Wir haben gerufen, wir haben geschrien und mit den örtlichen Behörden gesprochen.
Naci Görür, Geowissenschaftler
Niemand habe auf die Wissenschaftler gehört. Als er von dem Beben erfahren habe, habe er erst mal geweint.

"Profitgier" der Verantwortlichen

Die Behörden hätten versäumt, alte Häuser erdbebensicher zu sanieren, kritisiert Nusret Suna von der Istanbuler Bauingenieurskammer. Selbst Gebäude, die nach dem Jahr 1999 - also nach dem verheerenden Beben in der Nähe Istanbuls mit mehr als 17.000 Toten - gebaut wurden, seien nicht sicher.
Architekten, Bauunternehmen und andere Verantwortliche ignorierten "ethische Prinzipien und moralische Werte" und agierten oft nach "Profitgier".
ZDF-Reporterin Anne Brühl berichtet aus dem türkischen Erdbebengebiet:

Bewohner in Göskun: "Regiert man so ein Land?"

In Göskun in der Provinz Kahramanmaras harrt ein Ehepaar mit dem Sohn in seiner Schneiderei aus. Helfer haben sie noch nicht erreicht. Sie ernähren sich von salzigen Keksen und einem Fladen Weißbrot.
Ihr Haus ist völlig zerstört, sie können es nie wieder betreten, das sei klar. "In diesem Land hat niemand irgendwelche Rechte", das werde in der Katastrophe einmal mehr deutlich, sagt der Vater. Keiner kümmere sich um die Armen. "Regiert man so ein Land?", schimpft der Vater und meint den Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
In Adiyaman, nahe der syrischen Grenze, fehle es an allem, sagt der Abgeordnete der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Kemal Bülbül. Anwohner hörten Stimmen unter den Trümmern, könnten die Verschütteten aber nicht erreichen. Es fehle an schwerem Gerät, mit dem die Trümmer angehoben werden könnten.

Weißhelme: Ausrüstung fehlt

Den Rettern in Syrien mache wie auch in der Türkei neben den Temperaturen unter dem Gefrierpunkt auch das Ausmaß der Zerstörung zu schaffen, heißt es von den Weißhelmen. Ihnen fehle zudem Ausrüstung. Die Rettungsorganisation, die in den von Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens aktiv ist, vermutet, dass noch immer Hunderte in den Trümmern eingeschlossen sind.
Fee Baumann von der Hilfsorganisation "Kurdischer Roter Halbmond" über die Lage in Syrien:

07.02.2023 | 03:17 min

Helfer nahe Aleppo: "Wir hören Stimmen"

Der Tag der Beben sei der schwerste Tag in seinem Leben gewesen, sagt Ahmed Hanura. "Ich habe all die Tage des Krieges in der Stadt Aleppo miterlebt", so der 52-Jährige. Die Stadt wurde bei heftigen Kämpfen stark zerstört und gilt als Sinnbild des Bürgerkrieges. Am Montag aber sei Hanuras Angst noch größer gewesen als damals. Viele seiner Nachbarn seien in ihren eingestürzten Häusern umgekommen.
Ein Mitarbeiter des Zivilschutzes, dessen Team in der Nähe von Aleppo im Einsatz ist, berichtet über die schwierigen Rettungsarbeiten:
Wir hören Stimmen unter den Trümmern, aber können den Menschen nicht helfen.
Mitarbeiter des Zivilschutzes

ZDFspezial zur Lage in den Erdbebengebieten einen Tag nach der Katastrophe.

07.02.2023 | 12:08 min
Quelle: M. Schmitt, L. Say, W. Hamzah und C. Riechau, dpa

Zum Erdbeben in der Türkei und Syrien