: Wie jüdische Musik die NS-Zeit überlebte

von Christhard Läpple
11.04.2024 | 19:00 Uhr
Die Nazis wollten jüdische Musik auslöschen, doch sie lebt weiter. Forscher entdeckten verschollene Schallplatten. Davon erzählt die Dokumentation "I dance but my heart is crying".

Seit der Reichspogromnacht galten viele Lieder jüdischer Künstler als vernichtet. Der Film "I Dance, But My Heart is Crying" belebt sie wieder und zeigt das Schicksal der Künstler.

10.04.2024 | 02:33 min
"Ich tanz, aber mein Herz weint" oder "Die Welt ist klein geworden" - populäre Schlagersongs aus den Dreißigern. Die neue Kino-Doku "I dance but my heart is crying" in der Regie von Christoph Weinert erweckt diese alten Lieder zu neuem Leben.
Nicht nur die Comedian Harmonists, sondern viele jüdische Künstler prägten den Sound der 1920er und 1930er Jahre. Welthits wie "Irgendwo auf der Welt" oder Willy Rosens Gassenhauer "Im Gasthof zur Goldenen Schnecke, da steht ein Klavier in der Ecke" waren äußerst populär.

Reichsprogromnacht zerstörte jüdische Musikfirmen

Der berührende Film erzählt die vergessene Geschichte von zwei jüdischen Schallplattenfirmen aus den Dreißigern: Die Firma Lukra in der Berliner Friedrichstraße 208 und das Label Semer von Hirsch Levin im Scheunenviertel. Semer ist hebräisch und bedeutet Gesang. Die beiden jüdischen Tonstudios produzierten Konzerte, Mitschnitte, Lieder und Schlagerhits.
Im Zuge der sogenannten Reichspogromnacht 1938 wurden die Studios verboten, das Inventar zerstört. SA-Horden brannten in Hirsch Lewins Samer-Studio 4.500 Schallplatten und 250 Matrizen nieder. Lewin konnte sich nach KZ-Haft in einer abenteuerlichen Flucht aus Deutschland nach Palästina retten. Dort gründete er wieder ein Musiklabel und führte es bis zu seinem Tod 1958.

Die Zeit des Nationalsozialismus. Wie die Nazis die Jahre von 1936 bis 1938 nutzen, um Juden zu verfolgen und den nächsten Krieg vorzubereiten.

18.10.2020 | 44:26 min

Verschollene Platten in Israel gefunden

Die Aufnahmen der Schallplattenstudios galten über siebzig Jahre lang als verschollen. Nach intensiver Suche gelang dem Bonner Musikhistoriker Rainer Lotz mit seinem israelischen Partner Ejal Jakob Eisler ein Coup. In einem Abrisshaus bei Tel Aviv fanden sie in einem Keller einen wahren Schatz.
Original Schellack-Schallplatten aus Berlin. "Ich wollte meinen Augen nicht trauen", sagt Jakob Eisler. Von der Rettung erzählt der Film "I dance". Mit einem internationalen Ensemble hat Regisseur Christoph Weinert die alte Musik neu interpretieren lassen.

Nach einem sensationellen Fund kann heute jüdische Musik, die durch die Nationalsozialisten zerstört schien, wieder von den Bühnen aus erklingen. Davon erzählt der Dokumentarfilm "I dance but my heart is crying". | Trailer

10.04.2024 | 01:25 min

Jüdische Musik erklingt erneut

Im Film erklingen wieder die Lieder der damals berühmten Dora Gerson. Ihre beiden wunderschönen Balladen "Die Welt ist klein geworden" und "Vorbei" hat Sasha Lurje aus Riga neu eingesungen: "Dora Gerson war in den Dreißigern ein Star. Sie konnte singen wie keine andere." US-Musiker Alan Bern vom Samer-Ensemble ergänzt: "Das waren Lieder in der Tradition von Kurt Tucholsky. Sie fingen harmlos an, hatten aber politischen Tiefgang. Das war keine jüdische Musik. Das war Musik in bester deutscher Kultur-Tradition."
Es sind berührende Momente im Film, wenn Gersons Hit nach über achtzig Jahren wieder erklingt: "Vorbei, vorbei. Ein letzter Blick, ein letzter Kuss zum Abschied, dann ist alles vorbei." Dora Gerson wurde in Auschwitz ermordet.

In Berlin hat eine Ausstellung eröffnet, die rund 600 Zeichnungen, Grafiken und Drucke zeigt, die von den Nazis zur Vernichtung bestimmt waren.

01.02.2024 | 01:35 min

Lotz: Den Nazis ein "Schnippchen geschlagen"

"Wenn ich den Text nicht weiter kann, sing ich lala lala", komponierte Hitproduzent Willy Rosen. Der Musiker wurde im September 1944 nach Theresienstadt deportiert. Wenig später starb auch er in Auschwitz. Viele jüdische Komponisten und Interpreten verloren in der Shoah ihr Leben. Aber ihre Musik bleibt. Nun heißt es wieder: "Ich tanz, aber mein Herz weint." Oder das eheliche Versöhnungslied: "Lasst uns Frieden schließen."
Bob Dylan sagte einmal, Musiker hätten häufig ein tragisches Schicksal. Man solle sie lieber feiern und hochleben lassen. Der Film erzählt, wie eine für immer geglaubte verlorene Musik auf wundersame Weise wieder aufersteht.
Wir haben den Nazis gleich in mehrfacher Hinsicht ein Schnippchen geschlagen.
Rainer Lotz, Musikhistoriker
Ein Lied oder ein Instrument kannst du immer mitnehmen, sagt zum Schluss ein Musiker. Das mache jüdische Kultur aus: eine gute Geschichte und Musik, die das Herz berührt.
Christhard Läpple ist Redakteur im Landesstudio Berlin.

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