: Feminismus: Wo stehen wir heute?

von Susanne Seidl
27.04.2024 | 20:40 Uhr
Schon vor 175 Jahren gründete die Schriftstellerin Louise Otto-Peters die erste Frauenzeitschrift. Sie war eine frühe Kämpferin für Frauenrechte. Was hat sich seitdem getan?
Was echte Gleichberrechtigung angeht, da stehen die Geschlechter auch 2024 nicht auf einer Ebene. Quelle: Imago
Louise Otto-Peters wurde als Frauenrechtlerin diffamiert und polizeilich verhört. Ihre Frauenzeitung, die vor 175 Jahren das erste Mal erschienen ist, wurde recht schnell durch das sächsische Presserecht zensiert und vorerst eingestellt. Otto-Peters kämpfte weiter für die Gleichberechtigung und nach ihr viele andere Frauen und auch Männer. Seitdem hat sich zwar viel im Sinne Otto-Peters getan, echte Gleichberechtigung wurde aber noch immer nicht erreicht.
Schwestern, vereinigt euch mit mir!
Louise Otto-Peters, Frauenrechtlerin

Von echter Gleichberechtigung heute noch weit entfernt

Die Gleichstellung der Geschlechter stockt, so die Analyse des Weltwirtschaftsforums, das alljährlich die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen anhand von 14 Indikatoren untersucht. Deutschland landet aktuell mit 81,5 Punkten von 100 möglichen immerhin auf Platz sechs von 146 Ländern weltweit. Das bedeutet, die Lücke bis zur absoluten Gleichberechtigung liegt bei etwa 18,5 Prozent.
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Einkommensungleichheit: Gravierende Folgen für Altersvorsorge

Während die Chancengleichheit beim Erreichen von Bildung hier mit 98,9 Prozent sehr hoch liegt, gibt es große Ungleichheiten bei der wirtschaftlichen Teilhabe und Möglichkeiten (66,5 Prozent). So verdienen Frauen im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer, das besagen Daten des Statistischen Bundesamts von 2023.

International sind Frauen überproportional von Armut betroffen. Und auch wirtschaftlich geht es ihnen deutlich schlechter als Männern. Ein Blick auf die (Un-) Gleichberechtigung.

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Die Folge: Sie können sich auch 175 Jahre nach Erscheinen der ersten Frauenzeitschrift weniger im Alltag leisten und zahlen weniger in die staatliche sowie private Altersvorsorge ein als ihre männlichen Kollegen. Mit gravierenden Konsequenzen für die eigene Altersabsicherung.
So fiel laut Statistischem Bundesamt die Armutsgefährdungsquote bei Frauen ab 65 Jahren im Jahr 2021 mit 20,9 Prozent höher aus als bei den gleichaltrigen Männern mit 17,5 Prozent.
Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters gründete 1849 die erste Frauenzeitschrift Deutschlands und 1865 den "Allgemeinen deutschen Frauenverein".Quelle: dpa

Familiengründung verstärkt wirtschaftliche Nachteile

Miriam Beblo, Professorin an der Universität Hamburg für VWL und Geschlechtergleichheit beobachtet, dass die Sorgearbeit meist noch Frauensache ist. "Faktisch sind es häufiger die Frauen, die in Elternzeit gehen beziehungsweise eine längere Auszeit nehmen und danach häufiger in Teilzeit zurückkehren", so Beblo. Das verringere ihre langfristigen Einkünfte und wirtschaftliche Teilhabe.

Meilensteine für Frauenrechte

Wahlrecht für Frauen

Seit 1919 dürfen Frauen ihre Stimme bei Wahlen abgeben. 1949 steht sowohl in der DDR-Verfassung als auch im Grundgesetz der Bundesrepublik: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Während die Frauen in Ostdeutschland wirtschaftlich tatsächlich unabhängig sind, wird ihren verheirateten westdeutschen Schwestern erst mit dem Gleichberechtigungsgesetz von 1957 im Bürgerlichen Gesetzbuch der Weg in die finanzielle Unabhängigkeit vom Mann geebnet.

Westen hinkte Osten hinterher

1977 wird im Westen die Hausfrauenehe abgeschafft. Erst dann durften Ehefrauen ohne Einverständnis des Ehemannes arbeiten und eigene Konten eröffnen. Auch beim Lohn für gleiche Arbeit gab es im Westen große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Lohnlücke gab es auch im Osten, wenn auch deutlich milder. Erst 1996 verpflichtet sich der Staat in Artikel 3, Absatz 2 Grundgesetz zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
Frauen verwenden durchschnittlich täglich 44,3 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer. So verbringen Männer laut Studien pro Woche knapp 21 Stunden und Frauen knapp 30 Stunden mit unbezahlter Sorgearbeit.

Expertin: Besteuerung von Paaren braucht Reform

Die Bundesregierung versucht mit besserer Kinderbetreuung und Elterngeld, die alten Muster vor allem bei der Sorgearbeit wie Kinder, Haushalt und Pflege zu durchbrechen und die Frauen mehr in die Erwerbsarbeit zu bringen. Doch nach Einschätzung von Expertin Beblo muss vor allem die Besteuerung von Paaren reformiert werden.
Das deutsche Steuer- und Transfersystem ist eher darauf ausgelegt, die traditionelle Arbeitsteilung zu verstärken.
Miriam Beblo, Universität Hamburg

Der 30. November 1918 markiert einen Meilenstein im Kampf um die Gleichberechtigung in Deutschland. Damals trat das Frauenwahlrecht in Kraft.

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Sie rät Paaren, sich vor der Familiengründung Gedanken zu machen, wie sie künftig ihre Arbeitsteilung wählen. "Und wenn sich eine Person für die Sorgearbeit entscheidet, sollte ein Ausgleich der verringerten Einkünfte und verringerten Aufstiegs- oder Selbstverwirklichungsmöglichkeiten vereinbart werden."
Bisher ist es leider so, dass eine Person diese privaten Risiken allein trägt, obwohl sich das Paar für die Familiengründung entschieden hat.
Miriam Beblo, Universität Hamburg
Auch Louise Otto-Peters und ihre Mitstreiterinnen im "Allgemeinen deutschen Frauenverein", den sie 1865 gründete, kämpften für das Recht auf eine existenzsichernde Erwerbsarbeit für Frauen. Eine Forderung, die bis heute auch in Deutschland noch nicht vollumfänglich erfüllt ist.
Susanne Seidl ist Reporterin im ZDF-Landesstudio Mecklenburg-Vorpommern.

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