Interview

: Experte: "Geschichtspolitische Provokation"

08.05.2023 | 19:59 Uhr
Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald, Jens-Christian Wagner, kritisiert, dass Björn Höcke (AfD) heute in Weimar spricht. Höcke lege die Axt an die Erinnerungskultur.
Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, will heute in Weimar sprechen. Quelle: dpa
In Weimar sind nach Polizeiangaben rund 500 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Rechts und einen Auftritt des umstrittenen Thüringer AfD-Landespartei- und Fraktionschefs Björn Höcke zu demonstrieren. Bei einer Kundgebung mit Höcke als Gastredner kamen laut Polizei ebenfalls rund 500 Menschen in Weimars Zentrum zusammen. 
Der Leiter der Stiftung "Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora", Jens-Christian Wagner, kritisiert, dass Höcke ausgerechnet am Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus öffentlich spricht. Im Vorfeld der Demonstrationen hat ZDFheute mit Wagner gesprochen.
ZDFheute: Heute, am Gedenktag an die Befreiung vom Nationalsozialismus, wird Thüringens AfD-Chef Björn Höcke als Redner vor einem sogenannten Montagsspaziergang in Weimar erwartet. Wie bewerten Sie das?
Jens-Christian Wagner: Weimar ist nicht irgendeine Stadt. Es ist die Stadt, aus der die erste deutsche Demokratie kam. 1919 hat die Nationalversammlung die Weimarer Republik im Weimarer Theater verabschiedet und ausgerechnet in dem Theater, vor dem Höcke heute Abend sprechen möchte.
Man darf nicht vergessen, dass zu Weimar untrennbar auch das KZ Buchenwald gehört, eines der schrecklichsten Konzentrationslager der Nationalsozialisten, wo 56.000 Menschen um ihr Leben gebracht wurden.
Und wenn jemand, der bekanntermaßen eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur fordert, an einem solchen Tag ausgerechnet in Weimar auftritt, dann ist das eine geschichtspolitische Provokation.
Jens-Christian Wagner

Jens-Christian Wagner...

Quelle: dpa
... ist ein deutscher Historiker. Er leitet die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Weimar. Zuvor war er Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten.
ZDFheute: Das ehemalige NS-Konzentrationslager Buchenwald ist nur wenige Kilometer von Weimar entfernt. Was denken Sie, will Björn Höcke mit diesem Auftritt bezwecken?
Wagner: Die Erinnerungskultur ist Höcke ein Dorn im Auge. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist ihm ein Dorn im Auge und zwar aus gutem Grund.
Höcke fordert im Grunde, alle Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus zu überwinden und eine der ganz zentralen Lehren aus der Zeit des NS ist Artikel 1 unseres Grundgesetzes: 'Die Würde des Menschen ist unantastbar'.
Jens-Christian Wagner
Als das verfasst wurde 1949 war das eine Antwort auf die NS-Verbrechen und die Würde des Menschen: Humanität, friedliches Zusammenleben, eine offene, liberale Gesellschaft - das sind die Lehren, die wir aus dem Nationalsozialismus gezogen haben.
Und wer nationale Abschottung fordert, wer das Ende der Migration fordert, wer autoritäre Fantasien befördert, der muss die Axt anlegen an Erinnerungskultur. Und das ist der Kontext dieses Auftritts von Höcke heute vor dem Theater in Weimar.

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ZDFheute: Am Rande des AfD-Landesparteitages am Wochenende sagte Höcke, er werde keine Rede zum 8. Mai als Gedenktag oder zu dem historischen Ereignis halten. Es gehe darum, Solidarität mit den 'Bürgerprotesten" zu zeigen.
Wagner: Dazu muss man im Grunde zwei Dinge sagen: Zum einen ist allein der Umstand, dass er an einem solchen Tag in Weimar auftritt, eine geschichtspolitische Provokation. Völlig unabhängig davon, was er konkret an diesem Tag in Weimar sagt und ob er sich überhaupt geschichtspolitisch äußert. Der Kontext ist bereits das geschichtspolitische Signal.
Und zum anderen ist der Umstand, dass er eingeladen worden ist unter anderem von den 'Freien Thüringern', einer dezidiert rechtsextremen Vereinigung, hier in Weimar zu sprechen vor den sogenannten Montagsspaziergängern.
Das zeigt, dass es eine recht starke rechtsextreme Misch-Szene gibt, die die AfD hofft, für ihre Zwecke zu nutzen. Und wenn die AfD im Augenblick nach Wählerumfragen bis zu mehr als einem Viertel, vielleicht sogar einem Drittel der Wählerinnen und Wähler in Thüringen auf sich vereinigen kann, dann muss uns das tatsächlich große Sorgen machen.

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ZDFheute: Auf dem Weimarer Theaterplatz wollen Sie heute Abend an einer Gegendemonstration teilnehmen und dort auch sprechen. Warum haben Sie sich dazu entschieden?
Wagner: Man muss sich das immer genau überlegen, wann es sinnvoll ist, tatsächlich mit Protesten gegen solche Veranstaltungen aufzutreten. Es gibt das Argument, dass dadurch überhaupt Aufmerksamkeit erzeugt wird.
Und es gibt immer wieder Menschen, die sagen: 'Lasst sie doch einfach machen. Am besten ignoriert man das, dann wird es nicht weiter wahrgenommen.' Aber: Zwischen einem Viertel und einem Drittel aller Thüringer wollen im Augenblick die AfD wählen.
Und weil es eine Partei ist, die gegen die westliche Demokratie steht, die gegen die liberale, offene Gesellschaft steht, deswegen muss die Zivilgesellschaft deutlich zeigen, dass sie so etwas nicht einfach unwidersprochen hinnimmt.
Jens-Christian Wagner
Wir müssen widersprechen. Nicht nur, wenn solche Demonstrationen der AfD wie heute hier in Weimar stattfinden, sondern auch am Arbeitsplatz, in den Familien, im Verein. Immer wenn menschenfeindliche Positionen geäußert werden, müssen wir widersprechen. Und das wird eine meiner Botschaften heute auf dem Theaterplatz sein.
Das Interview führte Florian Kortschik aus dem ZDF-Landesstudio Thüringen.

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