: Vulkangefahr auf Island: Leben mit der Angst
von Henner Hebestreit, Reykjavik, Island
18.11.2023 | 23:32 UhrSeit über einer Woche leben die gut 3.500 Einwohner von Grindavik jetzt schon über ganz Island verteilt. Wegen des drohenden Vulkanausbruchs in unmittelbarer Nähe hatten die Behörden die Stadt räumen lassen.
Angesichts von gerade einmal rund 350.000 Menschen auf der Insel ist von der Evakuierung ein Prozent der Gesamtbevölkerung betroffen. Auf Deutschland übertragen wären es etwa alle Menschen, die in Frankfurt am Main leben. Das erklärt die große Betroffenheit der Isländer und die große Solidarität.
Bewohnerin von Grindavik: Haben unser Zuhause verloren
Diese spürt auch Daria Kania. Die gebürtige Polin leitet das Qualitätsmanagement einer großen Fischfabrik in Grindavik. Sie und ihr Mann haben dort gerade erst alle Ersparnisse in ein kleines Haus gesteckt - letzten Freitag haben sie es Hals über Kopf verlassen. "Tagelang haben wir starke und vor allem lang anhaltende Erdbeben gespürt", erzählt sie dem ZDF.
Man traute sich abends nicht mehr ins Bett zu gehen, wir wussten ja nicht, was die Nacht bringen wird.
Grindavik liegt in der von einem Ausbruch bedrohten Sperrzone.
15.11.2023 | 02:05 minVom Roten Kreuz hatte die kleine Familie ein leerstehendes Ferienhaus als Unterkunft bekommen, jetzt wohnen sie zusammen mit einer anderen Familie. Daria erzählt:
Es ist ein stetes Auf und Ab. Wir bemühen uns, vor unserer kleinen Tochter stark zu sein.
"Aber dann überkommt es mich doch immer wieder und es wird mir klar, dass wir unser Zuhause verloren haben, vielleicht auch unsere Jobs, wenn die Fischfabrik auch untergeht. Ist das jetzt unser Leben?", fragt sie mit tränenerstickter Stimme und deutet auf die beiden Koffer, in denen alles verstaut ist, was sie aus dem Haus haben retten können.
Grindavik: Tiefe Spalten klaffen in den Straßen
In Grindavik sieht es schlimm aus: Viele Gebäude sind schwer von den Erdstößen gezeichnet, in den Straßen klaffen tiefe Spalten. Der Zivilschutz begleitet täglich Menschen, die aus ihren Häusern noch wichtige persönliche Habseligkeiten, Haustiere oder Papiere holen wollen.
Jeder, den sie bis zum Haus begleiten, darf nur wenige Minuten bleiben, dann drängen die Katastrophenschützer zum Aufbruch. "Man muss wirklich vorsichtig sein. In der Stadt ist es wie auf einem Gletscher, überall lauern unterirdische Spalten", beschreibt Kristin Jonsdottir die Situation.
Ein Ort mit 3.700 Einwohnern ist vollständig evakuiert. Magma fließt unter dem Ort Richtung Meer. Viele Bewohner sind tief besorgt.
13.11.2023 | 02:41 minBeim isländischen Wetterdienst ist sie zuständig für den Umgang mit solchen Katastrophen. Tritt man auf ein Stück Straße, dessen Untergrund durch die vielen Tausend Erdbeben der letzten Tage gerissen ist, stürzt man in eine viele Meter tiefe Spalte.
Grindavik für viele ein Vorhof zur Hölle
Aus gerissenen Leitungen tritt kochendheißer Wasserdampf - Grindavik ist für viele in diesen Tagen ein Vorhof zur Hölle, am schlimmsten ist: Ohne Vorwarnung können jederzeit giftige Schwefeldämpfe austreten oder Magma aus dem Untergrund hervorschießen. Jonsdottir warnt:
Das flüssige Gestein steht schon ganz dicht unter der Erdoberfläche.
Selbst wenn der Vulkan, dessen Eruption nach Überzeugung von Geologen auf Island nur noch eine Frage von Tagen ist, Grindavik genauso verschont, wie ein nahegelegenen Geothermiekraftwerk und die bei Touristen beliebte "Blaue Lagune", wird es Monate dauern, bis die Menschen zurück in die wirtschaftlich wichtige Hafenstadt dürfen. Zuviele Schäden sind bereits entstanden.
Die Behörden haben wegen der anhaltenden schweren Erdbeben im Südwesten des Landes eine Gefahrenlage ausgerufen.
11.11.2023 | 00:16 minViele können sich ein Leben in Grindavik nicht mehr vorstellen
Mehrere Einwohner erzählen aber auch, dass sie sich ein Leben in Grindavik nicht mehr vorstellen können, zu traumatisch sind ihre Erfahrungen mit den Erdstößen, sie haben das Vertrauen verloren, dass ihr Ort auf festem Boden steht. Trotzdem hoffen sie, dass der Vulkan die Stadt nicht völlig in Schutt und Asche legt. Hier fühlen sie sich plötzlich hilflos den Naturgewalten ausgeliefert.