Interview

: Mode aus Meeresplastik "kompletter Unsinn"

29.03.2023 | 13:42 Uhr
Schuhe aus Meeresplastik, T-Shirts aus PET-Flaschen: Was bringt diese Art von Recycling? Experte Kai Nebel erklärt im Interview, warum er sie für eine ökologische Katastrophe hält.

Aus fünf Plastikflaschen wird ein T-Shirt. Das klingt gut - ist aber alles andere als sinnvolles Recycling, wie unsere Erklärgrafik zeigt.

24.03.2023 | 00:51 min
ZDFheute: Immer mehr Mode-Labels werben mit Slogans wie "Made from Ocean Plastic". Welches Plastik aus dem Meer wird denn konkret für Kleidung genutzt?
Nebel: Also grob würde ich mal sagen: gar keins. Das sogenannte Meeresplastik, das für Kleidung benutzt wird, besteht in erster Linie aus PET-Flaschen. Diese Getränkeflaschen stammen äußerst selten aus dem Meer, sondern sind vielleicht in Strandnähe mal aufgesammelt worden. Oft werden auch noch Flaschen dazu gemischt, die gar nicht aus dem Meer kommen.
Außerdem halte ich es für eine ökologische Katastrophe und vor allem kompletten Unsinn, da wir genug Kleidungsstücke haben.
Kai Nebel, Ingenieur für textile Verfahrenstechnik
Milliarden Kleidungsstücke werden produziert, ohne dass sie verkauft werden. Da brauchen wir ganz gewiss nicht noch Kleidung aus sogenanntem Meeresplastik.
Außerdem ist es ökologisch sehr fragwürdig, da eine Unmenge Energie und Ressourcen eingesetzt werden muss, um das Plastik überhaupt aus dem Meer zu bekommen, zu sortieren, zu reinigen. Das ist ein exorbitanter Aufwand.
[Plastikmüll in der Umwelt - Das bringt kompostierbares Plastik].

Kai Nebel ...

... ist Ingenieur für textile Verfahrenstechnik. Er leitet an der Hochschule Reutlingen den Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit & Recycling.  

(Quelle: Universität Reutlingen)

ZDFheute: Was ist mit Kleidung aus PET-Flaschen, die am Automaten zurückgegeben wurden?
Nebel: Grundsätzlich haben wir in Deutschland und in Europa einen sehr guten Kreislauf für alte PET-Flaschen. Das hat man einigermaßen im Griff. Die werden wieder zu neuen Flaschen gemacht. Wenn man Kleidung daraus machen würde, dann nähme man sie aus dem Kreislauf raus. Die Getränkeindustrie müsste viel mehr Plastikflaschen herstellen, damit die Textilindustrie diesen sogenannten nachhaltigen Rohstoff hat.  
ZDFheute: Wie transparent sind die großen Hersteller, wenn es darum geht zu zeigen, wie viel Prozent des Produkts aus recyceltem Material besteht?
Nebel: Wenn man sich bestimmte Produkte anschaut, ob Schuhe oder Kleidung, die vermeintlich aus Recycling-Materialien hergestellt sind, ist das eigentlich ein ziemlich schwarzes Loch, was die Transparenz angeht. Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, welcher Rohstoff oder wie viel davon im Produkt ist. Meist sind es bloß wenige Prozent und dieser Anteil stammt dann zu 99 Prozent aus Plastikflaschen, teilweise aus neuen, extra dafür hergestellten. Nur so können die Hersteller die Produkte als Recycling-Material verkaufen.
Da kann man wirklich von 100 Prozent Greenwashing im klassischen Sinne sprechen, wenn große Bekleidungshersteller behaupten, ihre Kleidung sei aus Meeresplastik und gut für die Umwelt.
Kai Nebel, Ingenieur für textile Verfahrenstechnik
ZDFheute: Was müsste sich ändern, damit Kleidung aus recyceltem Plastik ökologisch sinnvoll wird?
Nebel: Würde man eine seriöse Ökobilanz machen, dann wäre diese bei Kleidung aus 100 Prozent Recycling-Material verheerend. Das wäre eine ökologische Katastrophe, weil man Unmengen an Energie und Ressourcen vor allem für chemisches Recycling aufwenden muss. Und man muss sich auch mal die Infrastruktur anschauen.
Die meisten Produzenten von Fasern und deren Fabriken, die sind ja nicht irgendwo am Strand oder am Meer. Die sind meistens irgendwo in Industriezentren in Asien. Und da muss das Plastik irgendwie hinkommen, sortiert werden, ausgereinigt und so weiter.
Meiner Meinung nach wäre ein Turnschuh oder ein Kleidungsstück aus 100 Prozent Meeresplastik überhaupt nicht bezahlbar.
Kai Nebel, Ingenieur für textile Verfahrenstechnik
[Ungeahntes Potential: Wie Abfall als Energieressource eingesetzt werden kann.]
ZDFheute: Was passiert üblicherweise mit dem Plastik aus dem Meer?
Nebel: Wenn Plastik aus dem Meer oder von Stränden gesammelt wird, dann wird ein Großteil verbrannt. Man sieht auch sehr häufig wie Menschen - meistens sind es Kinder -, diese Plastikflaschen oder die Plastikteile sortieren. Und das, was nicht verkäuflich ist, landet sehr häufig auch wieder im Meer. Denn nur sortenreines Plastik kann für die Herstellung von Fasern genutzt werden. Das Meeresplastik besteht aus allen Arten von Plastik - und das können Hunderte verschiedene sein.
Natürlich ist jedes Kilo Plastik, das aus dem Meer verschwindet gut - aber man sollte doch bitte nicht wieder mit enormem Aufwand Plastikkleidung daraus herstellen, die kein Mensch braucht. Plastikrecycling kann im Sinne einer Ressourceneffizienz durchaus sinnvoll sein, sofern in einer möglichst regionalen Infrastruktur entsprechende Mengen mechanisch-thermisch recycelt werden.
Das Interview führte Jan Hofer. 
Redaktion: Petra Riffel.  

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