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: Mehr als 1,5 Grad: Die Angst vorm Untergang

von Christine Elsner
09.03.2023 | 17:21 Uhr
Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist nicht erreichbar. Die Furcht vor schwerwiegenden Folgen ist groß. Steht die Erde am Abgrund? Eine nüchterne Betrachtung.
Vor allem junge Menschen haben Angst vor den Auswirkungen der Klimakrise.Quelle: pa/dpa
Klimaforscher sind sich weitgehend einig: Die Erde heizt sich schneller auf als befürchtet. Dafür verantwortlich ist das menschliche Handeln. Jochem Marotzke ist Direktor am renommierten Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie und hat an Sachstandsberichten des Weltklimarates (IPCC) mitgearbeitet.
Seine Feststellung ist ernüchternd: "Die Welt befindet sich nicht auf dem richtigen Pfad. Die Treibhausgasemissionen steigen noch immer."
Zwar gibt es viel Aktivität in Richtung Klimaschutz, aber der gesellschaftliche Wandel vollzieht sich zu langsam, um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Jochem Marotzke, Max-Planck-Institut

Klimakrise: Katastrophismus greift um sich

Die Angst vor der sogenannten Klimakrise nimmt gerade bei jungen Menschen zu. Ankleben, Abseilen und andere Protestaktionen - damit machen sie auf ihre schwindende Überlebenschance aufmerksam. Wissenschaftlich belegt ist, dass mit jedem zusätzlichen Zehntel Erderwärmung das wahrnehmbarere Risiko zunimmt.
Extremwettereignisse wie Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürre können vermehrt auftreten. Dazu kommen Eisschmelze an den Polkappen und Meeresspiegelanstieg. All diese Phänomene lösen Furcht aus. Und sollten schließlich die Klima-Kipppunkte erreicht sein, gehe die Welt unter.

Was sind Kipppunkte - und welche gibt es?

Kipppunkte sind erdsystemische Ereignisse von globaler Auswirkung, die nach menschlichem Ermessen nicht rückgängig gemacht werden können und den Klimawandel deutlich vorantreiben. Gefährliche Kipppunkte sind:

  • das Auftauen der Permafrostböden in den nördlichen Breiten (Sibirien, Alaska, Kanada)
  • das Abschmelzen der Landeismassen auf Grönland
  • das Abholzen der Regenwälder Amazoniens
  • die Veränderung des Golfstroms
  • die Sättigung der Ozeane mit CO₂

Die Erde verändert sich permanent. Seit rund 200 Jahren ist auch der Mensch ein Antriebsmotor dieses Wandels – durch fossile Brennstoffe befeuert er erderwärmende Prozesse.

03.08.2020 | 01:12 min

Was passiert, wenn die Permafrostböden tauen?

In den dauerhaft gefrorenen Böden, den Permafrostböden, sind große Mengen organisches Material, also abgestorbene Pflanzen, enthalten. Tauen die Böden aufgrund der Erwärmung auf, verrottet das Pflanzenmaterial durch den Einfluss des Luftsauerstoffs, das Treibhausgas Methan wird freigesetzt. Methan hat ein rund 20-fach stärkeres Klimaerwärmungspotenzial als CO₂, hält sich aber mit rund zehn Jahren vergleichsweise kurz in der Atmosphäre.

Dennoch: Wenn eine genügend große Menge Methan nahezu zeitgleich frei wird, könnte sich die Erderwärmung drastisch beschleunigen. Tauende Permafrostböden werden bereits seit vielen Jahren beobachtet, die Methanmengen sind aber noch zu gering, um den Klimawandel merklich zu beeinflussen.

Wenn der Permafrost verschwindet, beginnen dort lebende Mikroben den Kohlenstoff umzuwandeln. Dabei entstehen die Gase Methan und Kohlendioxid. Diese verstärken die Erderwärmung.

11.10.2021 | 01:25 min

Wie steht es um Arktiseis und Grönland-Gletscher?

Grönland verliert pro Jahr rund 250 Milliarden Tonnen Landeismasse. Das Schmelzwasser lässt den globalen Meeresspiegel um rund sieben Millimeter pro Jahrzehnt ansteigen. Schreitet die Erwärmung voran, schmilzt das Eis schneller, der Meeresspiegelanstieg würde sich ebenfalls beschleunigen.

Das Landeis der Antarktis verliert derzeit rund 150 Milliarden Tonnen pro Jahr und trägt mit rund vier Millimeter zum Meeresspiegelanstieg bei.

Die Eismassen der Arktis dagegen schwimmen im Meer. Ihr Schmelzen beeinflusst die Höhe des Meeresspiegels daher nicht. Aber: Die gewaltigen Mengen an Süßwasser verdünnen den Salzgehalt der Ozeane, die Dichte des Wassers ändert sich und damit die Meeresströmungen.

Der Eisschild der Antarktis ist die weltweit größte, permanent vereiste Fläche. Erwärmt sich das Meer um nur 0,5 Grad, schmilzt das Schelfeis von unten und bricht an den Kanten.

08.03.2021 | 00:38 min

Welche Folgen hat das Abholzen des Amazonas-Regenwaldes?

Der Amazonas-Regenwald nimmt gewaltige Mengen Wasser auf und verdunstet es wieder. In der Atmosphäre bilden sich regelrechte Feuchtigkeitsflüsse, die auch die Niederschläge in Europa beeinflussen.

Intakte Wälder sind CO₂-Senken. Die Bäume nehmen CO₂ aus der Atmosphäre auf, per Photosynthese wird es in Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) gespalten. Der Kohlenstoff dient dem Holzwachstum, der Sauerstoff wird frei. Derzeit sind bereits rund 17 Prozent der Amazonas-Regenwaldflächen abgeholzt. Sind etwa 25 Prozent erreicht, dann stirbt der Regenwald auch ohne Rodung langsam ab, weil die Feuchtigkeit fehlt. Eine wichtige CO₂-Senke wäre verloren.

Die Saison des Feuers hat wieder begonnen. Es brennt so viel Fläche wie nie zuvor. Die meisten der aktuellen Brände im Amazonas-Regenwald und im Pantanal sind menschengemacht.

18.08.2021 | 04:57 min

Wie hängt der Golfstrom mit dem Klimawandel zusammen?

Der Golfstrom transportiert warmes Oberflächenwasser aus den Subtropen bis in die Arktis. Gleichzeitig strömt kaltes Tiefenwasser von Norden nach Süden. Insgesamt sorgt diese Golfstromzirkulation in West- und Nordeuropa für ein mildes Klima.

Die Klimaerwärmung lässt nun arktische Eismassen schmelzen, das Süßwasser verändert den Salzgehalt im Meerwasser, die Dichte nimmt ab, das Wasser wird leichter und sinkt demzufolge weniger tief ab. Dadurch - so meinen Wissenschaftler - verlangsame sich die Zirkulation des Golfstroms. Geht dieser Prozess weiter, würde die Durchschnittstemperatur in Nord- und Westeuropa deutlich sinken, Niederschläge würden zunehmen und das maritime Ökosystem würde sich mit nicht absehbaren Folgen verändern.

Das riesige Wassertransportsystem Golfstrom verlangsamt sich. Der wahrscheinliche Grund: Die Erderwärmung. Klimaexperten bereitet das Sorgen.

02.03.2021 | 06:17 min

Welche Kipppunkte stecken in den Ozeanen?

Ozeane speichern bisher rund ein Drittel der menschengemachten CO₂-Emissionen. Doch irgendwann ist auch dieser gigantische Speicher voll. Ist das der Fall, würde das CO₂ in der Atmosphäre bleiben und den Klimawandel beschleunigen. Also bremsen die Meere den Klimawandel derzeit noch. 

Aber: CO₂ wird im Meerwasser gelöst, es entsteht Kohlensäure, das Wasser versauert. Ein hoher Säuregehalt schädigt die Kalkskelette der Korallen. Auch Muscheln und Krebse könnten keine stabilen Gehäuse mehr bilden. Hinzu kommt die Erwärmung der Weltmeere. Das Ökosystem rund um Korallenriffe ist ernsthaft gefährdet. Das sogenannte Korallensterben wurde bereits an mehreren Hotspots der Weltmeere nachgewiesen.

Korallenriffe sind die Schatzkammern der Meere, sie beherbergen ein Viertel aller marinen Lebens. Forscher fürchten, dass die meisten Korallen mit der fortschreitenden Erwärmung der Ozeane sterben werden. Lässt sich die Katastrophe noch aufhalten?

17.02.2019 | 10:01 min

Wie bedeutend sind diese Kipppunkte?

Treten die Kipppunkte ein, besteht nach Meinung der Klimaforscher die Gefahr, dass abrupte, drastische Klimaänderungen die Anpassungsmöglichkeiten der menschlichen Gesellschaft übersteigen. Folge könnten weitreichende Verwüstungen sein, eine Ernährungskrise oder eine ernsthafte Gefährdung der Trinkwasserversorgung. Teile der Erde würden unbewohnbar, Flüchtlingsbewegungen gigantischen Ausmaßes kämen in Gang.

Einen exakten Grenzwert, ab welchem globalen Temperaturniveau Kipppunkte überschritten werden, können Klimawissenschaftler nicht angeben. Daher werden statistische Temperaturkorridore festgelegt, in dem das Risiko für das Erdsystem wächst.

von Volker Angres und Christine Elsner, ZDF-Umweltredaktion

Ingenieurskunst gegen Extremwettereignisse?

Unter Klima-Kipppunkten versteht man das Erreichen kritischer Grenzen, jenseits derer ein System sich abrupt verändert und unumkehrbar ist.
Wir können nicht ausschließen, dass einige der diskutierten Kipppunkte tatsächlich kippen werden, und die Auswirkungen könnten durchaus gravierend sein, vor allem regional.
Jochem Marotzke, Max-Planck-Institut
"Aber die Furcht, das gesamte globale Klima könnte dadurch aus den Fugen geraten, ist unbegründet. Die globale Oberflächenerwärmung wird durch die diskutierten Kipppunkte nur mäßig verstärkt", so Marotzkes Einordnung. Er verweist vielmehr darauf, dass sich die Gesellschaft auf die Extremwettereignisse einstellen muss. Die Ingenieurskunst sei jetzt gefordert.

Der Ukraine-Krieg, die Klimakrise - die deutsche Gesellschaft erlebt Kontrollverlust und Unsicherheit. Was lässt sich der Angst entgegensetzen?

03.11.2022 | 05:28 min
Um die Folgen des Klimawandels abzufedern, müssen Energieversorgung, Wirtschaftsweise sowie gebaute Umwelt angepasst werden.
Das bedeutet:
  • von fossilen hin zu erneuerbaren Energien
  • von Ressourcenverbrauch zur Kreislaufwirtschaft
  • vom Verkehrsaufkommen zur Stadt der kurzen Wege
  • von funktionaler zur angepassten Infrastruktur

Messari-Becker: Infrastruktur anpassen

Bauingenieurin Lamia Messari-Becker ergänzt die Betrachtung von Klimaforscher Marotzke. Für Messari-Becker sind Klimaschutz und Anpassung kein "entweder oder", sondern "sowohl als auch". Besonders im Bauwesen müsse mehr getan werden:
Ein Dreiklang ist nötig: Schutz der kritischen Infrastruktur, Korrekturen im Hoch- und Städtebau sowie besserer Katastrophenschutz und Warnsysteme.
Lamia Messari-Becker
"Dazu gehören: leistungsfähigere Infrastruktur, hitze- und wassersensible Stadt- und Raumplanung, Flächenmanagement, mehr Grün und Wasser im öffentlichen Raum und digitale sowie analoge Warnsysteme", meint Messari-Becker.

Im aktuellen Politbarometer zeichnet sich eine klare Unzufriedenheit mit der Klimapolitik der Bundesregierung ab. Fast die Hälfte der Befragten findet, es wird zu wenig für das Klima getan.

03.03.2023 | 01:59 min
Mit Blick auf die Zukunftsangst der jungen Menschen fordert sie von der Politik: "Die Klimaanpassungsstrategie der Bundesregierung muss deutlich langfristiger und ausgeweitet werden. Sonst wird sie der Aufgabe Menschenschutz und Schadensminimierung im Katastrophenfall nicht gerecht".
Zudem sei eine bundesweite Infrastruktur-Offensive nötig, die Anpassung mitdenkt.
In die Praxis umgesetzt heißt das:
  • Anpassung des Straßennetzes
  • Rückhaltebecken bei Starkregen
  • Deichbau

Nüchternes Fazit

Jochem Marotzke vergleicht den Klimawandel mit einem Marathonlauf. Zum inflationär verwendeten Begriff "Klimakrise" sagt er: "Natürlich wird durch den Gebrauch des Worts Krise die Dringlichkeit des Handels unterstrichen. Aber ich fürchte auch, dass das Wort Krise die Illusion hervorruft, das Problem sei durch kurzfristige Entschlossenheit ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen."
Dabei sei klar: "Der Klimawandel wird die Menschheit bis zum Ende dieses Jahrhunderts und darüber hinaus herausfordern."
Christine Elsner ist Redakteurin der ZDF-Umweltredaktion.

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