: Pay what you can - Mehr Kultur für alle

von Christhard Läpple
10.12.2022 | 16:15 Uhr
Im dritten Krisenwinter testet der deutsche Kulturbetrieb neue Bezahlmodelle. Das Ziel: die Menschen zurück in die Theater- und Konzertsäle zu locken.
In der Pandemie blieben Theater und Konzertsäle zu. Der Kulturbetrieb läuft zwar wieder, aber noch immer bleiben viele Plätze leer. Quelle: imago/photothek
David Bowie, Amy Winehouse und Jimi Hendrix für neun Euro. Seit Oktober zeigt das Theater Hagen sein Rock-Pop-Grunge-Theater-Musical Heroes zum günstigen Einheitspreis. Die Rechnung geht offenbar auf: Seit Einführung des Billigtickets hat sich der Zuschauerzuspruch nahezu verdreifacht. Das Haus ist voll. Darsteller, Publikum und Leitung des Stadttheaters in Nordrhein-Westfalen sind glücklich.

Hagen: Neun-Euro-Ticket kommt beim Publikum an

Intendant Francis Hüsers zeigt sich zufrieden: "Wenn wir im September ungefähr 30 bis 35 Prozent ausgelastet waren, dann waren wir plötzlich im Oktober bis zu 90 Prozent ausgelastet."
Jetzt sind viele Vorstellungen ausverkauft.
Francis Hüsers, Intendant des Theaters Hagen
Das Publikum hat sich stark verjüngt, neue Kreise wurden erschlossen - ein Erfolg auf der ganzen Linie. Nicht einmal die Abonnenten hätten sich über den Preisnachlass beschwert, sagt Intendant Hüsers. Ein volles Haus sei einfach ein schöneres Konzerterlebnis.

Thüringer Bachwochen: Pay what you can

Offenbar schätzt das Publikum neue Bezahlmodelle. Egal, ob es das Neun-Euro-Ticket ist oder ob des andere, neue Experimente sind. Christoph Drescher, Intendant der Thüringer Bachwochen, war bundesweit einer der Ersten, der dem Publikum anbietet, nur so viel zu zahlen, wie es kann oder will.
An einem kalten Winterabend gastiert in einem Erfurter Techno-Club die renommierte Gesangsgruppe Graindelavoix aus Belgien. Das Spitzenensemble aus Antwerpen wandelt auf den Spuren von Josquin Desprez, einem der größten Komponisten der Renaissance. Es ist alte, spektakuläre Musik zum Eintauchen und Meditieren.
Die Überraschung ist perfekt. Bezahlt wird nach dem Motto: Pay what you can. Der Richtpreis liegt an diesem Abend zwar bei 25 Euro. Die Besucher haben aber die Möglichkeit, den Eintrittspreis bei der Buchung nach oben oder unten anzupassen. So können sie entscheiden, was ihnen das Konzert wert ist. Ein Erfurter zahlt an der Kasse zehn Euro, weil "er die Band nicht kennt".
Die meisten halten sich an den empfohlenen Richtpreis, eine Besucherin zahlt freiwillig 30 Euro, weil sie "die Idee gut findet, auch anderen, die weniger Geld haben, den Zutritt zur Kultur zu ermöglichen". Der Mindestpreis ist ein Euro. Intendant Christoph Drescher stellt klar:
Es geht nicht um einen Ausverkauf der Kultur. Es geht darum, dass wir sagen, bezahlt, was Ihr könnt. So dass jeder, der gerade mit den Heizkosten ein Problem bekommt, trotzdem offene Türen vorfindet.
Christoph Drescher, Leiter der Thüringer Bachwochen
Das Modell hat sich bewährt. Das Haus war voll. Es wird nun überlegt, ob es weitergeführt werden kann.

Konzerthaus Berlin: Erst erleben, dann zahlen

Das Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt ist gleichfalls experimentierfreudig. Dort heißt das neue Bezahlmodell Erlebnisticket. "Erst erleben, später bezahlen". Intendant Sebastian Nordmann will mit diesem Modellversuch neue Wege gehen:
Ich glaube, dass dieses Erlebnisticket die Hemmschwelle weiter senkt. So haben wir die Chance, nachhaltig ein Publikum zu gewinnen.
Sebastian Nordmann, Intendant des Konzerthauses Berlin
Im Rahmen der Konzertreihe "Aus den Fugen" präsentiert der Pianist Jean Rondeau mit einem Schlagzeuger seine Version der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach. Auch im Berliner Konzerthaus ist das Erlebnisticket ein Erfolg. Die acht Konzerte erreichen mit 95 Prozent Auslastung einen Zuspruch wie vor der Corona-Krise. Nahezu die Hälfte der Besucher zahlte beim ersten Testlauf den empfohlenen Richtpreis von 35 Euro, manche sogar deutlich mehr. Über Anschlussprojekte wird in Berlin nachgedacht.

Modell für die Zukunft?

Pay what you can - das ist Kultur für alle. Kann dieser Test ein Modell für die Zukunft sein? Gut möglich. Noch sind es bundesweit bislang einzelne Experimente, aber die Kulturbranche schaut ganz genau hin. Im Theater Hagen ist man überzeugt: Das Haus ist wieder eine erste Adresse für Jung und Alt. Doch das Neun-Euro-Ticket gilt nur noch bis Silvester.