: Neue Straßenleuchte gegen das Insektensterben

von Felix Franz
18.03.2023 | 09:20 Uhr
Straßenbeleuchtung richtet in der Natur großen Schaden an. Gemeinsam mit Industrie und Wissenschaft kämpft Sibylle Schroer gegen den drohenden Kollaps der Insektenwelt.
Sternenhimmel über Lochow im Sternpark Westhavelland.Quelle: ZDF/Frederik Klose-Gerlich
Im den hellen Lichtschein der Straßenlampe summt und brummt es. Keine guten Nachrichten für Sibylle Schroer. Sie ist aus Berlin nach Brandenburg gereist, um die Insektenpopulation in Gülpe, einem kleinen Ort mit roten Backsteinhäusern, zu untersuchen. Dort ziehen Straßenlaternen Libellen, Fliegen und Falter von der Havel direkt in die Kleinstadt, wo sie meist verkommen. Das Problem:
Sie werden vom Licht wie von einem Staubsauger aus ihrer natürlichen Umgebung gezogen.
Sibylle Schroer, Leibniz-Institut für Gewässerökologie
Schroer arbeitet am Leibniz-Institut für Gewässerökologie (IGB) und hat gemeinsam mit dem NABU (Naturschutzbund) das Projekt "Tatort Straßenbeleuchtung" zum Schutz von Insekten ins Leben gerufen.
Sibylle Schroer will herkömmlicher Straßenbeleuchtung den Kampf ansagen, um Insekten zu schützen.Quelle: Felix Franz

Insektensterben durch Pestizide, versiegelte Böden und Lichtverschmutzung

In den vergangenen 30 Jahren haben wir in Teilen Deutschlands drei Viertel aller Insekten verloren - durch Pestizide, versiegelte Böden und Lichtverschmutzung.

Was ist mit Lichtverschmutzung gemeint?

Lichtverschmutzung beschreibt die übermäßige und fehlgeleitete Nutzung von künstlichem Licht auf öffentlichen oder privaten Geländen. Städte leuchten heute nachts bis zu 4.000 mal heller als es das Licht von Mond und Sternen von Natur aus tun würde - Tendenz steigend. 

Deshalb ist Lichtverschmutzung ein Problem

Vor einigen Wochen veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin "Science" eine alarmierende Studie: Pro Jahr wächst die beleuchtete Fläche weltweit um rund 10 Prozent. Zu viel Licht trübt den Blick auf die Sterne, erhöht den Energieverbrauch, beeinträchtigt die astronomische Forschung, stört die Ökosysteme und beeinträchtigt die Gesundheit von Menschen.

Das sind die Auswirkungen auf den Menschen

Lichtverschmutzung kann die natürliche innere Uhr stören, die Schlaf und Wachsein regelt. Das kann zu Schlafstörungen, aber auch zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen. Einige Studien legen nahe, dass Bluthochdruck, Übergewicht und sogar einige Krebserkrankungen durch zu viel Lichtverschmutzung begünstigt werden. 
Allein an deutschen Straßenlaternen sterben Schätzungen zufolge in einer Nacht über eine Milliarde Insekten. Das ist nicht nur für die Tiere selbst problematisch. Denn Insekten sind wichtige Bestäuber und spielen eine bedeutende Rolle im Nahrungsnetz.
Die Vorstellung, keine Insekten mehr zu haben, ist apokalyptisch. Das würde bedeuten, dass die Funktionen, die wir für unser Leben benötigen, nicht mehr erfüllt werden können.
Sibylle Schroer, Projekt "Tatort Straßenbeleuchtung"
Ihr großes Ziel ist deshalb eine Revolution bei der Straßenbeleuchtung. Gemeinsam mit der TU Berlin und dem Leuchtenhersteller Selux arbeitet die promovierte Ökologin seit zwei Jahren an einer neuartigen Leuchte, die Insektenleben retten soll. Sie ist dimmbar, kann also je nach Bedarf heller oder dunkler gestellt werden und spart damit sogar Energie. Zudem sind um die Leuchtquelle Metallplatten angebracht, dadurch strahlt das Licht ausschließlich auf den Boden.

Insekten und Spinnen sind noch stärker gefährdet als bisher vermutet.

31.10.2019 | 02:11 min

Lichstrahlen herkömmlicher Beleuchtung gefährden Insekten

Bei herkömmlichen Straßenlampen streuen die Lichtstrahlen auch zur Seite und nach oben, dadurch ziehen sie auch Insekten aus weiter Entfernung an. Gemeinsam mit dem Leuchtenhersteller aus Brandenburg hat Sibylle Schroer einen Prototypen entwickelt - erst aus Papier und schließlich aus Stahl.

Was kann ich tun, um Insekten zu schützen?

Unterstützen Sie eine nachhaltige Landwirtschaft: Entscheiden Sie sich nach Möglichkeit für biologische und lokal angebaute Lebensmittel, um den Einsatz von Pestiziden zu verringern und nachhaltige Anbaumethoden zu unterstützen, die gesunde Ökosysteme fördern.

Wie kann ich selbst zum Schutz von Insekten beitragen?

Pflanzen Sie einheimische Pflanzen: Einheimische Pflanzen bieten Lebensraum und Nahrung für einheimische Insekten, was zur Erhaltung ihrer Populationen beitragen kann. Rasenflächen hingegen bieten wenig bis gar keinen Lebensraum für Insekten.

Was sollte ich vermeiden?

Vermeiden Sie nächtliche Außenbeleuchtung: Außenbeleuchtung kann den Lebenszyklus nachtaktiver Insekten wie Motten stören und Raubtiere anlocken, die sich von Insekten ernähren. Wenn eine Außenbeleuchtung erforderlich ist, greifen Sie zu bewegungsgesteuerten Lampen.
Gerade für die Firma war die Zusammenarbeit mit einem Umdenken verbunden. Über Jahre sei das Credo immer mehr Licht gewesen, erklärt Vertriebsleiter Olaf Rieling.
Die große Herausforderung war letztlich, etwas auf die Beine zu stellen, was beiden, Mensch und Natur, gerecht wird.
Olaf Rieling, Vertriebsleiter Selux

Knackpunkt: Sicherheit im Straßenverkehr

Ein möglicher Knackpunkt ist die Sicherheit im Straßenverkehr. Deshalb wird an der TU Berlin die Helligkeit der Leuchte und die Lichtstreuung untersucht. Danach muss der Praxistest zeigen, ob Fußgänger oder Katzen, die bei Dunkelheit schnell über die Straße wollen, zu spät wahrgenommen werden.

In Massen schwirren sie um künstliche Lichtquellen. Eigentlich sollten sie sich fortpflanzen, Nahrung suchen und Blüten bestäuben. Das hat Folgen für die Tiere und die Pflanzen.

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Schroer ist optimistisch: "Wir müssen jetzt noch testen, ob diese Gefahr wirklich besteht oder ob das eintritt, was ich vorhersage: Dass wir die Umgebung viel besser wahrnehmen können, weil wir nicht mehr so geblendet werden."
In den kommenden zwei Jahren werden die neuen Leuchten in mehreren Probekommunen installiert. Ist die Leuchte genauso sicher wie herkömmliche Modelle, könnte Sibylle Schroer ihrem Ziel, Insektenleben zu retten, einen großen Schritt näher kommen.

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