: Ewiger Liebesrausch wäre nicht gesund

von Leon Windscheid
09.07.2023 | 06:10 Uhr
Jeder sehnt sich nach Liebe und Verliebtsein. Mit Schmetterlingen im Bauch befindet sich der Körper im Rauschzustand. Machen sich Paare etwas vor, die seit Jahren zusammen sind?

"Liebe wechselt nicht mit Stunde oder Woche, weit reicht ihre Kraft bis zum letzten Tag", schrieb Shakespeare. So eine romantische Vorstellung. Man verliebt sich und bleibt es bis ans Ende aller Tage.
In Wahrheit sieht es anders aus. Rund jede zweite Ehe in Europa wird heute geschieden. Sollten die Paare sich zum Beginn ihrer Ehe geliebt haben, scheint die Kraft also nicht selten nachzulassen, bevor der Tod sie scheidet.
Egal ob mit oder ohne Eheversprechen, weichen Lust, Verlangen und der Zauber, die dem Beginn einer romantischen Liebesbeziehung innenwohnen nicht zwingend mit der Zeit der Routine? Vielleicht sogar der Langeweile. Dann ist das Knistern weg, die Beziehung scheitert. Immer wieder beobachtet, stellt sich doch die Frage: Muss das so sein? Können wir Menschen nicht irgendwie doch für immer verliebt bleiben? Mit Schmetterlingen im Bauch natürlich?

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Rausch der Hormone beim Verliebtsein

Herzklopfen und Kribbeln im Bauch, ständig an den anderen denken, kaum schlafen oder essen - wer so richtig verknallt ist, fühlt sich wie auf Droge. Denn wenn wir uns verlieben, ist in unserem Hirn ein Cocktail aus Hormonen aktiv. Wir schütten mehr Dopamin aus, das lässt uns euphorisch fühlen und steigert das Verlangen nach unserem Partner. Dieser Rausch ist ähnlich zu dem, was Kokain oder Alkohol in uns auslösen.
In den Liebescocktail gehört außerdem Oxytocin. Das wird populär oft "Kuschelhormon" genannt und sorgt vor allem für Gefühle der tiefen Verbundenheit und Nähe. Neben Dopamin und Oxytocin schüttet unser Hirn auch Cortisol aus, wenn wir uns verlieben. Das lässt uns aufgeregt und rastlos fühlen. Wir können unser neues Glück kaum fassen und wollen es um keinen Preis verlieren. Man könnte sagen: Wer verliebt ist, ist high und gestresst.

Materielle Dinge aktivieren das Belohnungszentrum im Gehirn, sorgen aber nur für ein kurzes Glücksgefühl. Länger wirken soziale Belohnungen. Sie aktivieren Areale der Hirnrinde.

15.05.2023 | 00:35 min

Du liebst mich, du liebst mich nicht, …

Für den Körper ist das ein absoluter Ausnahmezustand, der nicht lange aufrechterhalten werden kann. In der Forschung ist die Rede von wenigen Monaten bis zu einem Jahr. Einen fixen Zeitrahmen zu bestimmen, ist kaum möglich, weil die Liebe sich schwer messen lässt. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass der Rausch relativ bald nachlässt und damit das Stresslevel wieder sinkt. Wir werden nüchtern.
Und alles andere wäre auch ungesund. Wer will schon high und gestresst sein, bis dass der Tod einen scheidet. Trotzdem gibt es immer wieder Paare, die behaupten, auch nach 30 Jahren noch Hals über Kopf verliebt zu sein. Ist das tatsächlich möglich? Oder machen diese Menschen sich etwas vor?

Die Schmetterlinge im Bauch weichen tiefem Vertrauen

Das hat sich auch die amerikanische Anthropologin Helen Fisher gefragt - und Menschen in den Hirnscanner geschoben, die schon seit Jahrzehnten zusammen waren. Im Scanner zeigte man den Versuchspersonen ein Foto ihrer Liebsten. Wie auf Kommando sprang bei ihnen die Dopaminproduktion an! Das Foto genügte, um im Hirn der Langzeitverliebten dieselben Bereiche zu aktivieren wie bei frisch Verliebten.
Mit einem Unterschied: Bei frisch Verliebten ist zusätzlich eine Hirnregion aktiv, die mit Angst in Verbindung gebracht wird. Bei den Langzeitverliebten herrschte dort Ruhe. Dafür arbeiteten bei ihnen Bereiche im Hirn, die für Entspannung und die Unterdrückung von Schmerzen sorgen. Das Kribbeln, die Schmetterlinge weichen mit der Zeit also einem tiefen Vertrauen.

Liebe kann auch digital sein

Fast jede zweite Beziehung bahnt sich inzwischen online an, das zeigen Studien. Und auch die Künstliche Intelligenz verändert, wie wir Liebe erleben.
Einige Menschen berichten etwa, in einen Chatbot verliebt zu sein. Aber kann das wahre Liebe sein? Johanna Degen, von ihren Studierenden an der Europa Uni Flensburg auch Dr. Love genannt, hat dazu eine klare Meinung. Für sie macht es keinen Unterschied. Wir binden uns automatisch an Personen, die wir häufig sehen - zwischen digital und analog unterscheidet unser Hirn dabei nicht. Aus philosophisch-theoretischer Sicht ist Liebe außerdem eine Frage der Entscheidung. Und die kann man genauso für einen Chatbot wie für einen echten Menschen treffen.

Kann man mit Künstlicher Intelligenz Liebe erleben? Was echte Liebe ist und welchen Einfluss KI auf Beziehungen hat - das erlebt Leon Windscheid mit Harald und seinem Chatbot.

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Für immer verliebt?

Liebe wird vielfältiger, selbstbestimmter. Trotzdem ist die klassische, exklusive Paarbeziehung kein Auslaufmodell. Denn Studien zeigen, dass die meisten Menschen sich diese weiterhin wünschen. Und so auch am glücklichsten sind.
Ob Mensch oder Chatbot, zum Schluss bleibt eine Frage: Kann man die Liebe auf der Langstrecke bewahren? Aus der psychologischen Forschung gibt es in der Folge "Für immer verliebt" der Wissenschaftsreihe Terra Xplore darauf Antworten. Ja, das geht, aber nicht einfach so nebenbei.

Kribbeln im Bauch, rosarote Brille, große Liebe: Ist es möglich, für immer verliebt zu sein? Leon Windscheid findet erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen Liebe und verliebt sein.

09.07.2023 | 26:57 min

Leon Windscheid ...

... ist Diplom-Psychologe, Moderator, Bestseller-Autor und Podcaster. Seine große Leidenschaft ist die Psychologie. Windscheid hat Wirtschaftspsychologie in Münster, Istanbul und Witten studiert und das Studium Ende 2014 abgeschlossen. 2015 gewann er eine Million Euro bei "Wer wird Millionär?" mit Günther Jauch. Von 2015 bis 2017 promovierte er im Bereich Wirtschaftswissenschaften.

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