: Das Anti-Twitter nimmt Fahrt auf

von Torsten Kleinz
29.12.2022 | 20:40 Uhr
Seit der Milliardär Elon Musk Twitter übernommen hat, suchen viele Nutzer nach Alternativen. Das dezentrale Netzwerk Mastodon kämpft mit der ungewohnten Popularität.
Mastodon wird immer beliebter - doch wie unterscheidet sich das Netzwerk eigentlich von Twitter?Quelle: dpa
Über Jahre führte die Twitter-Alternative Mastodon eine unscheinbare Existenz. Das 2016 von dem Jenaer Studenten Eugen Rochko gegründete Netzwerk war eher eine Zuflucht für Leute, die vor der Reizüberflutung kommerzieller Netzwerke fliehen wollten.
Das hat sich nun geändert. Als der Milliardär Elon Musk im April die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter ankündigte, gab es eine erste Welle von Twitter-Nutzern, die sich bei dem unkommerziellen Netzwerk Accounts einrichteten. Eine zweite, noch größere Welle folgte im Oktober, als der Kauf vollzogen wurde und Musk sofort mit dem radikalen Umbau von Twitter begann.
Mehr als 500.000 neue Nutzer strömten in wenigen Tagen auf die Plattform, die Aktivität explodierte. Das ist zwar nur ein Bruchteil der über 300 Millionen Nutzer von Twitter, aber es reicht aus, dass sich immer mehr Institutionen und Medien für das Netzwerk interessieren. Zahlreiche deutsche und europäische Behörden haben inzwischen Mastodon-Konten, immer mehr Firmen und Medien kommen hinzu.

Twitter und Mastodon: Gleich und doch verschieden

Einerseits ähnelt Mastodon seinem Vorbild sehr. Hier wie da können Nutzer anderen Accounts folgen, auf Nachrichten antworten oder sie mit den eigenen Nutzern teilen. Die Unterschiede sind jedoch auch enorm: Zum Beispiel blendet Mastodon keine Werbung ein, und zeigt in der Voreinstellung seinen Nutzern alle Beiträge chronologisch an, ohne Eingriffe von Algorithmen.
Damit hat Rochko eine Kritik aufgegriffen, die seit Jahren von Politik und Medienforschern geäußert wird. "Die Algorithmen von kommerziellen Plattformen wie Tiktok oder Twitter sind für Engagement und Unterhaltung optimiert", erklärt der Medienforscher Matthias Kettemann vom Hans‐Bredow‐Institut im Gespräch mit dem ZDF. "Das verzerrt die öffentliche Kommunikation."
Rochko hat sich bemüht, diese verzerrenden Effekte sozialer Netzwerke zu reduzieren. Die Nutzer sollen ihr Netzwerk mehr als ihr Wohnzimmer empfinden und weniger als Kampfplatz widerstreitender Weltanschauungen.

Mastodon ist unkommerziell und dezentral

Der wesentliche Unterschied zu Twitter und anderen sozialen Netzwerken: Mastodon ist durchweg dezentral. Die Struktur ist ähnlich wie bei E-Mails. Jede Organisation und sogar Einzelpersonen können ihre eigenen Mastodon-Server betreiben. Diese Server tauschen nach einem bestimmten technischen Protokoll Nachrichten aus und stellen so die Timeline der Nutzer zusammen.
Auch wenn der Diskussionston auf Mastodon derzeit deutlich gesitteter erscheint als auf Twitter, macht sich der neue Ansturm bemerkbar. Administratoren, die sich bisher als Hobby um die Server gekümmert hatten, mussten die Kapazitäten für den Benutzeransturm aufrüsten. Viele bitten inzwischen um Spenden, um die Betriebskosten zu decken. Sie müssen auch immer mehr Streitigkeiten schlichten.

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Auch Mastodon muss sich um Moderation der Inhalte kümmern

"Die gleichen Fragestellungen, die sich nun bei Twitter stellen, sind auch für die die Betreiber von Mastodon-Instanzen relevant", sagt Kettemann. Auch sie müssen sich um strafbare Inhalte kümmern und Streitigkeiten um die Ausrichtung der Plattform moderieren. Es gab auch schon erste Attacken von Botnetzen, die Tausende falscher Accounts anlegten - mutmaßlich, um Spam zu verbreiten.
Um das demokratische Potenzial von Mastodon als Raum für die demokratische Debatte zu erfüllen, ist Koordination erforderlich.
Matthias Kettemann, Medienforscher vom Hans‐Bredow‐Institut
So müssten sich soziale Normen und vergleichbare Standards für die Moderation entwickeln. Dies sei etwa über eine Art Parlament der Mastodon-Instanzen denkbar. Wie Mastodon mit der ungewohnten Popularität umgeht, wird über die Zukunft des Netzwerkes entscheiden.

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