: Ägypten im Ramadan: Von Freude und Sorgen

von Golineh Atai, Kairo
13.04.2023 | 16:39 Uhr
Gemeinschaft, Gesellschaft, Großzügigkeit: Der Fastenmonat bringt die Menschen zusammen. Feiern, üppig essen und Kleider kaufen: Mitten in einer Krise in Ägypten.
"Matareya! Matareya!", rufen sie im Sprechchor. Dutzende junge Männer, alle mit bunten T-Shirts, auf denen das Logo "Der 15. Tag des Ramadan" prangt, bejubeln ihr Viertel, in dem sie Ägyptens größtes Fastenbrechen vorbereiten.
In den engen Gassen von Matareya, einem einfachen, rauen Arbeiterviertel im Norden von Kairo, bricht einmal im Fastenmonat der Ausnahmezustand aus. Die Freiwilligen des Viertels, die eigentlich hier als Sozialhelfer arbeiten, schmücken die Häuser mit Ramadan-Graffiti, hängen bunte Gedenkbilder von den Verstorbenen des vergangenen Jahres auf, schmücken die langen Tische mit bunten Tischdecken und verwandeln die Nachbarschaft in eine Gemeinschaftsküche.

Fastenbrechen wird zum Volksfest

Das finale Ziel: sich näherkommen beim gemeinsamen Fastenbrechen. Das Spektakel ähnelt einem Volksfest, wenn ägyptische Schlager ertönen, Köche mit ihren riesigen Kochlöffeln in den Gassen zu tanzen beginnen und schließlich hunderte bunte Luftballons auf die Einwohner regnen, um das Ende des 14-stündigen Fastens verkünden.
Youtuber und Influencer aus der ganzen arabischen Welt lassen Matareya einmal im Jahr trenden in den sozialen Medien.

Ramadan-Vibes und Gebete

Ramadan ist nichts für Einzelgänger: In keinem Monat treffen Muslime sich öfter und verbringen mehr Zeit miteinander als im Fastenmonat. Entweder beim Fastenbrechen. Oder beim Suhour: dem letzten Mahl vor dem Sonnenaufgang. Entweder in luxuriösen Ramadan-Zelten. Oder im beliebtesten Ausgehviertel dieser Wochen: die mittelalterliche Altstadt in Kairo rund um die Al-Moezz-Straße - so etwas wie ein großes Freilichtmuseum für islamische Kunst. Selbst an Werktagen sind die Gassen noch um Mitternacht voller Besucher.
Hier gibt dir alles diese Ramadan-Vibes, du hörst die Gebete, du siehst all diese Menschen, sie sammeln sich - das ist ein toller Ort!
Daria Abu Al-Kheir, Besucherin in Matareya
Im nahe gelegenen Kunstzentrum Wekalat al Ghouri wirbeln Derwische - auf einem Klangteppich aus Beethovens neunter Symphonie, koptischem Chorgesang und Poesie aus dem mystischen Islam. In den Cafés und Restaurants feiern Freunde und Familien, bei Shisha, Livemusik und spontanem Tanz. Die Nacht wird zum Tag.
Menschen tanzen auf den Straßen von KairoQuelle: ZDF

Im Ramadan geht es um mehr als ums Fasten

Wohltätigkeit - einer der zentralen Glaubensgrundsätze im Islam - ist im Fastenmonat Ramadan noch wichtiger als sonst. Die Bedürftigen - allein in Ägypten leben nach Angaben der Weltbank ein Drittel der Bevölkerung von fast 105 Millionen Menschen in Armut, ein weiteres Drittel ist von Armut bedroht - erhalten im Fastenmonat Spenden, die oft ein ganzes Jahr reichen müssen.
Vor einem Haus in Neu-Kairo, einem der aus dem Boden gestampften schicken Vororte der Hauptstadt, in denen wohlhabende Ägypter leben, sammeln sich jeden Nachmittag etliche Freiwillige.
In Kairo wird für Bedürftige gekochtQuelle: ZDF

Spenden für Bedürftige kommen schnell zusammen

Sie stehen vor Kochtöpfen und Platten, und füllen über Stunden weiße Styroporpackungen mit Salat, Nudeln und panierter Hähnchenbrust, bringen sie in ihre Autos und fahren sie aus. Die Liste der Hilfsbedürftigen ist jeden Tag passgenau abgesteckt, die zu erreichenden Gebiete oft zwei oder drei Autostunden entfernt.
Unternehmer Ahmad Mansour hat mit einem Kollegen das Hilfsprojekt gestartet und Köche angestellt, die jeden Tag für 6.000 Bedürftige kochen. Vor einigen Tagen hatte er fast nichts mehr auf dem Spendenkonto, erzählt er. Nach einem kurzen Aufruf auf Facebook seien dann wieder die Spenden geflossen.
Nichts auf der Welt ist so wertvoll, wie den Armen zu helfen. Diese Hilfe macht auch für mich einen Unterschied. Sie hilft meiner Psyche, ich habe wirklich das Gefühl, dass dadurch mein Geschäft besser läuft und mein Leben sich verbessert.
Ahmad Mansour, Unternehmer
"Man spürt deutlich, dass dieses Jahr die Menschen noch mehr brauchen als in den Jahren zuvor", fügt Mansour noch hinzu. Es gibt mehr Bedürftige - und zugleich sind die Spenden für die sogenannten "Barmherzigkeitstische" - so werden die Ramadan-Tafeln für die Armen genannt - in diesem Jahr zurückgegangen.
Geschäftsmann Ahmad Mansour organisiert Spenden für Bedürftige.Quelle: ZDF

Lebensmittelpreise in Ägypten deutlich gestiegen

Ägypten steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise - und die Aussichten sind düster. Die Währung hat in einem Jahr die Hälfte ihres Werts verloren, die Inflation erreicht Rekordwerte, für Grundnahrungsmittel müssen Ägypter doppelt, oft fast dreimal mehr bezahlen als im Jahr zuvor.

Die GIZ unterrichtet ägyptische Bauern in neuen Techniken zu Bewirtschaftung der Felder, damit sie auch in Zeiten des Klimawandels Landwirtschaft am Nil betreiben können.

05.01.2023 | 07:00 min
Viele Wirtschaftswissenschaftler führen die Ursachen nicht nur auf den russischen Angriffskrieg und dessen Folgen zurück, sondern auf eine falsche Politik, die das Land in eine Schuldenfalle führte.
In einem seiner jüngsten Auftritte sprach Präsident Abdel-Fattah Al-Sisi die Lage an: Er sehe das Leid der Menschen, die Umstände seien hart. Die Menschen sollten für die Regierung beten, diese würde nie etwas "Böses" tun. Wieder ermahnte er jene, die über die Krise und deren Opfer berichten. Die Medien, vor allem Fernsehjournalisten, sollten ein gutes Verhalten an den Tag legen und "sich selbst stets beaufsichtigen".
Golineh Atai leitet das ZDF-Studio in Kairo.

Mehr zu Ägypten