: Wie Ratten Riffbarsche entspannen

von Julia Schnetzer
26.02.2023 | 08:02 Uhr
Unsere Umwelt mit ihrer Flora und Fauna ist komplex aufeinander eingespielt. Eingriffe darin können zu Veränderungen führen, die wir nie erwartet hätten.

"Alles ist verbunden", betont der Detektiv Dirk Gently aus Douglas Adams Romanen sehr oft. Er kann Verbindungen zwischen Ereignissen deuten, die sonst keiner erkennen kann. Als Biologin nutze ich diese Satz selbst gerne, denn Ökosysteme basieren auf komplexen miteinander verbundenen Netzwerken.

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
So komplex, dass wir eigentlich sehr wenig darüber wissen. Deswegen ist auch das Wort Nahrungskette mittlerweile veraltet und Nahrungsnetz ist die bevorzugte Bezeichnung, weil es eben keinem strikten Kettenverlauf folgt, sondern komplexe Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt beschreibt. Das zu erforschen, ist nicht einfach.

Schwärme finden deutlich effizientere Lösungen für Probleme als ein einzelnes Individuum. Treffen Kollektive also die klügeren Entscheidungen?

12.03.2023 | 43:30 min

Extremer Wachschutz für Algengärten

Daher hat mich eine neue Studie sehr fasziniert, in der Forschende der Lancaster University ein komplexes Verhältnis zwischen Ratten und Rifffischen untersucht haben. Denn was haben die schon miteinander zu tun?
Dafür haben die Wissenschaftler*innen Juwelen-Riffbarsche untersucht, die umgangssprachlich auch weißgepunkteter Teufel genannt werden. Diese kleinen grau-braunen Fische sind kleine Gärtner. Sie hegen und pflegen Algenmatten wie kleine Gärten, von denen sie sich ernähren. Und sie nehmen das Ganze sehr ernst, der Algengarten wird extrem gut bewacht und jeder, der sich ihm nähert, wird angegriffen - egal wie groß er ist. Auch ich musste diese Erfahrung schon machen und habe blutend das Wasser verlassen, weil ich einem Algengarten zu nah kam.

Eine überraschende Forschung enthüllt: Die Mehrheit der Fischarten kommuniziert akustisch und macht dabei ganz unterschiedliche Geräusche: Knurren, Brummen, Grunzen, Trommeln.

23.02.2022 | 04:59 min

Ratten mitten im Ozean

Ratten sind nicht an den Algen interessiert, sie wurden aber durch die Seefahrt auf viele vorher rattenfreie Inseln eingeschleppt. Die von den Wissenschaftler*innen untersuchten Inseln liegen im Chagos-Archipel, südlich der Malediven, inmitten des Indischen Ozeans.
Doch nicht alle Inseln wurden mit Ratten kolonialisiert - einige gelten als rattenfreie Vergleichsinseln. So wird deutlich: Die Ratten haben die Tierwelt auf den Inseln stark beeinflusst.

Ratten dezimieren Vogelpopulation

Die Inseln sind wichtige Brutgebiete für Meeresvögel, die dort ihre Jungen großziehen. Die jungen Vögel dienen leider auch als Futter für die Ratten. Die Vogelpopulation um rattenfreie Inseln herum ist 760-mal höher als um Ratteninseln. Die Nagetiere leisten einen ordentlichen Beitrag in der Dezimierung der Meeresvögel. So weit, so simpel. Aber was hat das nun mit den Juwelen-Riffbarschen zu tun?

Wie sehr sich Spezies gegenseitig beeinflussen, zeigt auch die einmalige Beziehung zwischen Mensch und Rind. Seitdem der Mensch Kühe hält, hat sich bei einigen eine Genveränderung durchgesetzt, die es uns ermöglicht Milch zu trinken.

06.04.2022 | 07:15 min

Ratten machen Fische weniger aggressiv

Die Meeresvögel halten sich gerade in der Brutzeit im engen Kreis um die Inseln auf. Das bedeutet, sie jagen dort, sie fressen dort und folglich verrichten sie auch dort ihre Notdurft. Klingt vielleicht ekelig, aber diese Fäkalien sind eine wichtige Nährstoffquelle für die Lebewesen im Wasser wie den vorhin erwähnten Algen.
Das nährstoffreichere Wasser um die rattenfreien Inseln herum hatte aber nicht zur Folge, dass die Juwelen-Riffbarsche, durch gut gedüngtes Wasser größere und üppigere Algengärten haben, wie man vielleicht im ersten Moment erwarten würde. Im Gegenteil, ihre Gärten waren kleiner und die Fische waren deutlich aggressiver. Woran liegt das?

Auch in der Ostsee wird kräftig gedüngt - hier durch die angrenzende Landwirtschaft. Die Nährstoffe fördern das Blaualgenwachstum, welche der See immer mehr Sauerstoff entziehen. Die Konsequenz: Sauerstoffarme "Todeszonen" entstehen.

11.01.2023 | 05:27 min

Besseres Essen gibt mehr Energie

Die Studie zeigte, dass die Algen, im gut gedüngten Wasser, reicher an Nährstoffen waren - also eine qualitativ bessere Nahrung. Deswegen brauchen die Riffbarsche weniger davon, sind trotzdem besser genährt und haben mehr Energie, ihre Gärten zu verteidigen.
Anders herum führten also  die einschleppten Ratten auf den Inseln über ein komplexes Netzwerk zu einem veränderten Verhalten, sprich weniger Nährstoffen im Wasser und friedlicheren Juwelen-Riffbarschen. Ob diese verringerte Aggressivität weitere Auswirkungen auf andere Riffbewohner hat und so über weiter Kaskaden das Riffökosystem beeinflusst, wissen wir leider nicht.

Komplexe Veränderungen in der Umwelt

Diese Studie hat gezeigt, wie ein Dreh an den Stellschrauben der Umwelt komplexe, nicht vorhersehbare Veränderungen mit sich bringen kann, denn "alles ist verbunden". Und wir kratzen mit unserem Wissen darüber bis jetzt nur an der Oberfläche.

Julia Schnetzer ...

... ist promovierte Meeresbiologin. Egal ob als Speakerin, Autorin, Podcasterin oder Streamerin, sie liebt nichts mehr, als ihre Leidenschaft und ihr Wissen über das Meer mit den Menschen zu teilen. Außer Tauchen natürlich, das liebt sie am meisten, am besten mit Haien.

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