: Mit Schnellverfahren gegen junge Straftäter

von Samuel Kirsch
07.01.2023 | 06:16 Uhr
Um junge Straftäter abzuschrecken, sollte der Staat sie schnell vor Gericht stellen. Doch häufig dauern die Verfahren. Dabei gibt es Möglichkeiten zur Beschleunigung.
Nach Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht hat die Diskussion um Konsequenzen begonnen.Quelle: Peter Steffen/dpa
Es ist eine kriminologische Binsenweisheit: Je schneller die Strafe auf die Tat folgt, desto stärker ist der Erziehungseffekt, speziell bei jungen Tätern. Die oft beschworene "volle Härte des Rechtsstaats", sie hat auch eine zeitliche Komponente.
Das wusste auch Kirsten Heisig, ehemals Jugendrichterin in Berlin-Neukölln, die 2010 verstarb. Geprägt von den Erfahrungen aus ihrem Gerichtsbezirk entwickelte sie mit Kollegen das "Neuköllner Modell". Es ist ein Konzept, wie jugendliche Straftäter schneller vor Gericht gebracht werden können.

Fälle mit Vermerk "Neuköllner Modell" werden priorisiert

Nach den Ereignissen der Silvesternacht scheint das aktueller denn je. Im Kriterienkatalog zum "Neuköllner Modell" heißt es, unter anderem "Täter mit besonderer Ignoranz gegenüber polizeilichen Maßnahmen" seien für ein Schnellverfahren besonders geeignet.
Das Konzept sieht vor, dass geeignete Fälle von allen beteiligten Stellen, also Polizei, Jugendgerichtshilfe, Staatsanwaltschaft und Gericht, möglichst koordiniert und priorisiert bearbeitet werden.

Mündliche Verhandlung auch ohne schriftlichen Antrag

Hinzu kommen Verfahrensvereinfachungen, die das Jugendgerichtsgesetz ermöglicht. So muss etwa die Staatsanwaltschaft keine förmliche Anklage erheben, es genügt ein mündlicher Antrag. Landet ein Fall mit dem Vermerk "Neuköllner Modell" bei Gericht, wird er dort ähnlich wie eine Haftsache beschleunigt behandelt.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung des Falls soll möglichst kurzfristig anberaumt werden. Verhandelt werden kann auch im Büro des Richters und sogar ohne die Staatsanwaltschaft.

"Neuköllner Modell" nur für leichte Fälle von Jugendkriminalität

Allerdings darf das Gericht in vereinfachten Jugendverfahren im Urteil keine Jugendstrafe verhängen und den Täter auch nicht in eine Erziehungsanstalt einweisen. Möglich ist allenfalls Jugendarrest von maximal vier Wochen Dauer.
Deswegen eignen sich für das vereinfachte Verfahren nur Fälle leichter bis mittlerer Jugendkriminalität, etwa Ladendiebstahl oder einfache Körperverletzungen.
Außerdem muss die Beweislage einigermaßen klar sein: entweder weil ein Geständnis vorliegt oder weil maximal drei Zeugen ausreichen, um den Fall zu bewerten. Schwerere Gewalttaten gegen Personen oder Fälle, die schwieriger aufzuklären sind, müssen hingegen im Normalverfahren behandelt werden.

Verfahrensbeschleunigung auch bei Erwachsenen machbar

Auch im Bereich der Erwachsenenkriminalität sieht die Strafprozessordnung Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung vor, wenn es um einfache Sachverhalte geht. Stellt die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag, muss das Gericht den Fall innerhalb von sechs Wochen verhandeln.
Auf maximal ein Jahr Freiheitsstrafe darf ein Gericht im beschleunigten Verfahren erkennen. Angewendet wurden solche beschleunigte Verfahren in der Vergangenheit unter anderem bei Straftaten auf Corona-Demonstrationen.
Ob Fälle aus der Silvesternacht in Berlin nach dem "Neuköllner Modell" beschleunigt bearbeitet werden sollen, dazu konnte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Freitag keine Angaben machen.

Bei schwerer Gewalt greifen die Regelverfahren

Die Fälle lägen derzeit noch bei der Polizei, teilte ein Sprecher auf Anfrage von ZDFheute mit. Auch wann die ersten Anklagen erhoben werden könnten, sei noch nicht absehbar.
Während für nachweisbare Beleidigungen oder Schubser in der Silvesternacht Schnellverfahren infrage kommen, dürften die schweren Fälle von Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter sich dafür nicht eignen, denn hier sind härtere Strafen zu erwarten.
Für diese Fälle bleibt, durch organisatorische Maßnahmen und genügend Personal bei Polizei und Justiz für eine schnelle Reaktion des Rechtsstaates zu sorgen.
Samuel Kirsch ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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