Interview

: Kann der sechste Sinn der Tiere Leben retten?

04.02.2023 | 12:45 Uhr
Naturkatastrophen nehmen weltweit zu. Zuverlässige Vorhersagen sind aber bis heute schwer zu treffen. Können Tiere mit ihrem sechsten Sinn vor drohenden Katastrophen warnen?

Pandemien, Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Erdrutsche – Katastrophen nehmen zu. Deshalb arbeiten weltweit Menschen an cleveren Frühwarnsystemen, die Leben retten können.

04.02.2023 | 29:45 min
Tsunamis, Erdbeben oder Vulkanausbrüche: Seit jeher beobachten Menschen, dass sich Tiere im Vorfeld von Naturkatastrophen außergewöhnlich unruhig verhalten. In unserer technikbasierten Welt haben die Fähigkeiten von Tieren aber an Bedeutung verloren - zumal sie bisher wissenschaftlich nicht eindeutig zu belegen sind.

Martin Wikelski...

Quelle: Fiona Wikelski
... erforscht globale Tierwanderungen mit dem Ziel, das intelligente Sensornetzwerk der Tiere in das "Internet der Tiere" zusammenzufassen und Tiere weltweit zu schützen. Wikelski studierte Zoologie und promovierte. Er gründete 2019 das Max-Planck Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz/Radolfzell. Seit 2014 ist er Mitglied der Deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. 2016 erhielt er den Max-Planck Research Award. Wikelski wurde am 18. November 1965 in München geboren.
Professor Martin Wikelski allerdings ist von ihrem Spürsinn überzeugt und untersucht, wie verlässlich tierische Verhaltensmuster in der Frühwarnung sein können. Dafür stattet der Verhaltensbiologe weltweit Tiere mit Sensoren aus, um ihr Verhalten besser zu verstehen. Wichtiger Forschungsgegenstand sind für Wikelski Ziegen am Vulkan Ätna auf Sizilien. Hier zeigt sich schon jetzt, wozu sein "tierisches Frühwarnsystem" in Zukunft in der Lage sein wird.

Der Ätna auf Sizilien ist über 3300 Meter hoch und einer der aktivsten Vulkane der Erde. Für die über fünf Millionen Menschen, die dort leben, stellt sich daher die Frage, wie gefährlich der Vulkan ist.

25.04.2019 | 10:08 min
ZDFheute: Wie verhalten sich die Tiere, bevor der Ätna ausbricht, und was macht Sie so sicher, dass das kein Einzelphänomen ist?
Professor Martin Wikelski: Die Tiere halten sich in unabhängigen Gruppen auf, werden aber alle zur selben Zeit aktiv oder nervös. Das "Schöne" am Ätna ist, dass er öfters mal ausbricht und diese Ausbrüche unterschiedlich groß sind.
Vor den wirklich großen Ausbrüchen sehen wir signifikante Veränderungen im Tierverhalten.
Martin Wikelski
Diese Veränderungen sind spezifisch und treten nur zu diesen Zeiten auf. Allerdings ist unsere Stichprobe für große Ausbrüche erst bei ca. 14 Ausbrüchen, das heißt noch nicht wirklich groß genug.

Sendehinweis

Plan b: "Clever gegen Krisen -  Frühwarnsysteme der Zukunft" am Samstag um 17.35 Uhr im TV und jederzeit in der Mediathek.
ZDFheute: Können Tiere besser oder schneller vorwarnen als "Hightech-Installationen"? Was ist ihr Vorteil?
Wikelski: Tiere sind untereinander vernetzt, und dieses Netzwerk der intelligentesten Sensoren kann Vorgänge in der Natur messen, die andere (technische) Sensorsystem nicht messen können. Wir brauchen aber in jedem Fall beides - je mehr unabhängige Sensorsysteme wir haben, desto besser wird die Vorhersage.

Gewaltige Kräfte der Erde noch immer wenig vorhersehbar

19.05.2016 | 43:55 min
ZDFheute: Sie forschen seit Jahren an Ziegen am Ätna in Sizilien. Wie wissen Sie, welche Tiere für bestimmte Vorhersagen besonders geeignet sind?
Wikelski: Ich wollte eigentlich Wildtiere mit Sensoren abfragen: Rehe, Füchse, Hasen. Aber die lokalen Experten, die Ziegen-Bauern, konnten uns überzeugen, dass ihre Tiere perfekt geeignet sind. Die Bauern wussten bereits um die Sensitivität der Ziegen vor Vulkanausbrüchen. Und nicht nur das: Nicht jede Ziege ist gleich sensitiv. Die Bauern wählten aus den ca. 200 Ziegen gezielt bestimmte Individuen aus, die ihrer Meinung nach besonders geeignet sind.
ZDFheute: Was zeichnet Ihre Forschung aus? Warum ist sie so wichtig?
Wikelski: Tiere können uns unendlich viel über das Leben auf unserem Planeten sagen - wir müssen sie nur fragen. Über miniaturisierte Hightech-Sender, "wearables for wildlife", wollen wir Tieren die Möglichkeit geben, mit uns zu "kommunizieren".
ZDFheute: Was wünschen Sie sich in Zukunft für Ihre Forschung?
Wikelski: Wir benötigen Risiko-Kapital, um diese Forschungen auszuweiten und in praktikable Echtzeit-Warnsysteme zu überführen. Die bisherigen Daten sind vielversprechend, aber bei weitem noch nicht ausreichend. Wir müssen jetzt in vielen möglichen Katastrophen-Regionen in der Welt testen, welche Tiere welches Wissen und welche Vorahnungen haben.
ZDFheute: An welchen anderen Orten untersuchen Sie schon beziehungsweise haben Sie geplant, Erdbeben und Vulkanausbrüche zu untersuchen? Welche Erkenntnisse gewinnen Sie daraus?
Wikelski: Wir haben bisher gezielt Tiere in Banda Aceh (Indonesien), in Süd-Chile, am Vulkan Ätna (Sizilien) und in den Abruzzen untersucht. In Banda Aceh und Süd-Chile gab es bisher keine weiteren Naturkatastrophen, aber in Sizilien und in den Abruzzen konnten wir wertvolle Daten für mögliche Katastrophenvorhersagen durch Tiere sammeln.
Wir beobachten jetzt dort über unsere Sensoren die Tiere in Echtzeit und machen bereits intern tägliche Vorhersagen. Bei fünf Ausbrüchen hat diese bereits geklappt.
Martin Wikelski
Wir teilen diese Daten aber im Moment nur mit den beteiligten Seismologen und Vulkanologen.
ZDFheute: Welche Naturkatastrophen untersuchen Sie in Banda Aceh und Süd-Chile mit welchen Tieren?
Wikelski: In Banda Aceh wollten wir sehen, ob Tiere ein Seebeben mit nachfolgendem Tsunami vorhersehen können. In Süd-Chile wird ein Mega-Erdbeben erwartet, aber das kann auch erst in 20-50 Jahren kommen, oder überhaupt nicht. Das ist leider das Dumme an Erdbeben ...
Das Interview führte Cordula Stadter

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