: Marburger Bund klagt gegen Triage-Regelung

von Britta Spiekermann
02.11.2023 | 10:44 Uhr
Der Marburger Bund bereitet nach ZDF-Informationen eine Verfassungsbeschwerde gegen die aktuelle Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz vor. Es gehe um die "Therapiefreiheit".
Wer bekommt noch ein Beatmungsgerät, wenn nicht mehr genug für alle da sind? Das definiert das Triage-Gesetz. Quelle: dpa
Die jetzige Triage-Regelung in Extremsituationen wie einer Pandemie war unter Ärztinnen und Ärzten von Anfang an umstritten. Jetzt will der Marburger Bund vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Es geht um die Frage, ob eine intensivmedizinische Behandlung in einem aussichtslosen Fall zugunsten eines anderen Patienten mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit abgebrochen werden darf. Der Gesetzgeber sagt nein. Der Marburger Bund will das jetzt höchstrichterlich prüfen lassen.

Beschwerde gegen Änderung des Infektionsschutzgesetzes

Im November 2022 hatte der Deutsche Bundestag das Infektionsschutzgesetz (IfSG) geändert. In der damals durch die Pandemie angespannten Kliniksituation ging es darum, wie in extremer Lage Ärztinnen und Ärzte entscheiden können, wenn es keine freien Intensivbetten mehr gibt. Darf eine Behandlung abgebrochen werden, wenn ein aus ärztlicher Sicht sterbender Mensch intensivmedizinisch betreut wird und ein anderer Patient mit größeren Chancen auf Behandlung wartet?

Die neue Triage-Regelung

Die neue Triage-Regelung steht im Infektionsschutzgesetz und gilt immer dann, wenn der Grund für die Engpässe bei den intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit ist, also etwa in einer Pandemie. Dann findet sie aber für alle Patienten Anwendung, gleich ob sie wegen der Infektionskrankheit eingeliefert werden oder aber mit einem Herzinfarkt. Pandemieunabhängige Engpässe, die zu einer Triage führen, beispielsweise bei einer Katastrophe mit zahlreichen Schwerverletzten, sind von der Regelung hingegen nicht erfasst.
Der Bundestag entschied im Herbst 2022, dass es eine sogenannte Ex-Post-Triage nicht geben darf, also den Abbruch einer laufenden intensivmedizinischen Behandlung zugunsten anderer Patienten. Dies war wiederum eine Reaktion auf das Bundesverfassungsgericht, das angemahnt hatte, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen etwa in einer Pandemie nicht zu benachteiligen.

Gesundheitsministerium: Regelung ist für "absoluten Ausnahmefall"

Das Bundesgesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) erklärt in einer ersten Reaktion, es sei das gute Recht des Marburger Bundes gegen das Triage-Gesetz zu klagen. Die jetzige Regelung beschreibe einen "absoluten Ausnahmefall" - wenn im Fall einer übertragbaren Krankheit keine ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten zur Verfügung stünden.
In der Pandemie, so das Bundesgesundheitsministerium, habe es aber immer genug Intensivbetten gegeben. Klargestellt sei, "dass es keine Ex-Post-Triage geben darf", also eine intensivmedizinische Behandlung bei entsprechender Indikation nicht zugunsten eines anderen Patienten abgebrochen werden dürfe.

Triage ist...

…wenn Ärzte wegen des Mangels an Intensivbetten gezwungen sind, Corona-Infizierte nach Überlebenschancen einzuteilen. Das Wort stammt vom französischen Verb "trier", was "sortieren" oder "aussuchen" bedeutet. 

Das System kommt aus der Militärmedizin. Ende des 18. Jahrhunderts fanden sich im "Königlich-Preußischen Feldlazareth-Reglement" erste Angaben, wie Verwundete nach Schweregraden eingeteilt werden sollten. Unter Napoleon I. entwickelte der Militärchirurg Dominique Jean Larrey "fliegende Lazarette": Die Verwundeten wurden auf dem Schlachtfeld nach der Schwere ihrer Verletzungen sortiert und, wenn nötig, vor Ort behandelt. Der Begriff "Triage" wurde noch nicht verwendet, er setzte sich erst später durch. In Deutschland werden Triage-Instrumente heute in Notaufnahmen angewandt.

Marburger Bund beruft sich auf Therapie-Freiheit

Der Marburger Bund sieht das anders. Das Verbot der Ex-Post-Triage könne dazu führen, "dass Menschen mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit sterben, weil sie keine intensivmedizinischen Ressourcen bekommen". Susanne Johna sagt:
Das widerspricht unserem ärztlichen Ethos und dem Grundrecht der Berufsfreiheit.
Susanne Johna, 1. Vorsitzende Marburger Bund
In einer Mangelsituation aufgrund übertragbarer Krankheiten mit unzureichenden Behandlungskapazitäten "ist die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit das entscheidende Kriterium für die Zuteilung medizinischer Ressourcen".
Der Marburger Bund sieht eine Kollision zwischen dem Verbot der Ex-Post-Triage und der grundrechtlich geschützten ärztlichen Therapiefreiheit, "die das Überleben möglichst vieler intensivpflichtiger Patienten zu erreichen versucht".

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