Exklusiv

: Wie ein AfD-Gremium zum Kreml-Helfer wird

von Katja Belousova, Marcus Bensmann (Correctiv), David Gebhard, Ulrich Stoll
17.05.2023 | 13:00 Uhr
Ein AfD-Arbeitskreis verfasst russlandfreundliche Anträge, über die kremlnahe Medien gerne berichten. In der Partei regt sich Kritik an "Landesverrätern" in den eigenen Reihen.
Tino Chrupalla, AfD-Parteichef und stellvertretendes Mitglied im Arbeitskreis Außen, mit dem russischen Botschafter Sergej Netschajew am 9. Mai in Berlin.Quelle: Berliner Zeitung
Die AfD und ihr Verhältnis zu Russland - seit Monaten schwelt hier ein Konflikt. Das offenbarten zuletzt wütende AfD-interne Reaktionen auf den Besuch des Parteichefs Tino Chrupalla beim russischen Botschafter, die ZDF frontal auswerten konnte:
Wie aktuelle Recherchen von ZDF frontal und Correctiv zeigen, steht ein Gremium in besonderem Maße im Fokus des Streits: der Arbeitskreis Außen der AfD-Bundestagsfraktion. Er soll die außenpolitische Position der AfD im Bundestag vorbereiten, produziert aber regelmäßig geopolitische Thesen und Anträge, die die Sichtweise des Kremls wiedergeben und in russischsprachigen Medien dankbar ausgeschlachtet werden.

Der Arbeitskreis Außen der AfD

Der Arbeitskreis für Auswärtiges der AfD-Bundestagsfraktion - auch AK Außen genannt - ist laut eigener Darstellung das innerparteiliche Pendant zum Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags. Auf der Website der AfD im Bundestag heißt es: "Der Arbeitskreis für Auswärtiges arbeitet eng mit dem Bundesfachausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik (BFA 1) der Alternative für Deutschland zusammen. Da die Außenpolitik auch andere Ressorts berührt, stimmt sich der Arbeitskreis für Auswärtiges eng mit den Arbeitskreisen der AfD-Bundestagsfraktion für Verteidigung, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe, für Wirtschaft und für Menschrechte [sic] ab. Er ist innerhalb der AfD-Bundestagsfraktion bei außenpolitischen Themen federführend."

Die Mitglieder des AK Außen

Fünf AfD-Bundestagsabgeordnete sind Mitglieder des Arbeitskreises, fünf weitere werden als Stellvertreter genannt, darunter auch Parteichef Tino Chrupalla. Leiter des Arbeitskreises ist Petr Bystron.

Mitglieder des Arbeitskreises: Petr Bystron, Alexander Gauland, Stefan Keuter, Matthias Moosdorf, Joachim Wundrak

Stellvertretende Mitglieder: Tino Chrupalla, Markus Frohnmaier, Steffen Kotré, Eugen Schmidt und René Springer

Der Arbeitskreis Außenpolitik und die russischen Medien

Im Februar dieses Jahres etwa, umrahmt von Celloklängen und einer Lesung, stellte der von Petr Bystron geleitete Arbeitskreis sein Konzept für "Frieden in Europa" vor - das wohl ganz im Sinne Russlands ist. Man wolle die russisch besetzten ukrainischen Oblasten Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson unter Aufsicht der Vereinten Nationen stellen - und dort Volksabstimmungen über die Staatszugehörigkeit durchführen, erklärt AfD-Chef Tino Chrupalla an diesem Abend dem ZDF. Eine Forderung wohl ganz im Sinne Russlands.

Zu viel Nähe zum Kreml?

10.05.2022 | 05:43 min
Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete schon im Vorfeld der Veranstaltung breit. Am 8. Februar zitierte Putins Propagandaorgan einen entsprechenden Antrag der AfD-Bundestagsfraktion vom Vortag - und warb für das vom Arbeitskreis Außen veranstaltete Event:
Die AfD-Fraktion wird im weiteren Verlauf des Mittwochs auch ein Konzert unter dem Motto "Freiheit für den Frieden" veranstalten. Auf dem Programm stehen Werke von Pjotr Tschaikowsky und Sergej Rachmaninow.
Tass am 8. Februar 2023

"Populistische Anträge des AK Außen"

Ein AfD-Bundestagsabgeordneter beschreibt das Wirken seiner Fraktionskollegen so: "Diese Legislaturperiode findet fast keine Fraktionssitzung statt, in der man die Dinge nicht wieder einfangen müsste, die der AK Außen produziert hat und das ist dann irgendwann nicht mehr erklärbar."
Bis weit über die Schmerzgrenze hinaus wird versucht, alles, was die russische Regierung macht, zu entschuldigen.
AfD-Bundestagsabgeordneter
Dahinter könnte ein Konzept stehen, vermuten parteiinterne Kritiker. "Dass die populistischen Anträge des AK Außen immer gezielt schon in den entsprechenden Nationen oder Ländern auftauchen, die als Zielgruppe herhalten, das lässt darauf schließen, dass irgendwelche Leute dann diese Papiere sofort an die richtigen Stellen hinschicken", sagt ein AfD-Abgeordneter, der ungenannt bleiben möchte.
Die ungewöhnliche Medienkarriere eines Antrags zum Kosovo stützt den Verdacht. Correctiv und ZDF frontal liegen dazu interne Unterlagen der AfD-Bundestagsfraktion vor.
Im Januar gab AK-Außen-Leiter Bystron auf der Webseite der AfD-Bundesfraktion eine Pressemeldung heraus, in der es hieß:
Die AfD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, [...] die Anerkennung des Kosovo zu annullieren.
Pressemeldung der AfD-Bundestagsfraktion

AfD-Papier in serbischen Medien

Als die Pressemeldung zum Kosovo erschien, gab es die Beschlusslage der AfD-Fraktion zur Annullierung der Anerkennung des Kosovo jedoch gar nicht. Bystron und der AK Außen schlugen den Antrag wiederholt erfolglos der AfD-Fraktion vor.
Obwohl das Kosovo-Papier bis dato nicht verabschiedet war und die Fraktionsebene offiziell nicht verlassen hatte, wurde der Antrag am 4. März auf der serbischen Nachrichten-Webseite Neuer Standard veröffentlicht. Darin hieß es unter anderem, der "Scheinstaat Kosovo" sei gescheitert. Die Formulierung des Antrags entspricht der Position serbischer Nationalisten - und der Position Russlands.
Ein Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten behauptete danach in einem Interview mit dem Medium:
Dieses Dokument wurde einstimmig angenommen, niemand in der Partei war dagegen.
Aus dem Interview mit dem Neuen Standard
Es bestehe "kein Zweifel" daran, dass es dem Bundestag vorgelegt werde. Diese Behauptung war nachweislich falsch. Ende April scheiterte der Antrag in der Fraktion erneut: Die Abgeordneten der AfD verweigerten Bystrons Papier laut Sitzungsprotokoll in einer geheimen Abstimmung die Zustimmung.

Die EU versucht, eine pragmatische Zusammenarbeit zwischen Serbien und dem Kosovo zu etablieren, doch die serbischen Gemeinden im Kosovo bleiben weiter Streitthema.

02.05.2023 | 02:15 min

Kritik aus der AfD

"Würde eine solche Politik tatsächlich umgesetzt werden, hätte das einen Flächenbrand auf dem Balkan zur Folge, der ganz Europa destabilisieren würde", kritisiert Rüdiger Lucassen, verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion im Gespräch mit ZDF frontal und Correctiv.
Nach der Veröffentlichung durch den Neuen Standard griffen weitere serbische, aber auch russische Medien den Antrag auf. Auch der AfD-Abgeordnete Petr Bystron verweist in einem Antwortschreiben auf eine Anfrage von Correctiv und ZDF frontal auf die Berichterstattung in serbischen Medien und das Interview des AfD-Mitarbeiters. Der Vorgang rund um den Kosovo-Antrag ist für ihn kein Grund zur Aufregung. Vielmehr gäbe es eine "Diffamierung von AfD-Positionen als 'prorussisch' ohne jegliche Grundlage“.
Ganz anders sein Fraktionskollege Lucassen: "Der Zeitpunkt für einen so unklugen Vorschlag erschließt sich mir nicht".
Insofern stellt sich schon die Frage, in welchem Interesse solche Ideen formuliert werden. Im Interesse der AfD ist es in jedem Fall nicht.
Rüdiger Lucassen, verteidigungspolitischer Sprecher AfD-Bundestagsfraktion

Der Krieg in der Ukraine wird nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten geführt. Propagandisten versuchen auch in Deutschland, die öffentliche Meinung zu manipulieren.

10.03.2023 | 29:02 min

Kritik an Auftritten im russischen Propagandafernsehen

Dieses Beispiel lässt die Frage aufkommen, wie solche internen AfD-Papiere in prorussische Medien gelangen - und sorgt für interne Kritik. "Als Abgeordnete der AfD haben wir die Aufgabe, möglichst viele Wähler von der Programmatik unserer Partei zu überzeugen", meint der AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen.
Die russischen Propaganda-Kanäle sind hierfür der falsche Weg.
Rüdiger Lucassen, verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion
Auftritte wie die der stellvertretenden AK-Außen-Mitglieder Eugen Schmid und Steffen Kotré in der Propagandasendung des berüchtigten Moderators Wladimir Solowjow bezeichnet Lucassen als "Landesverrat".
Auch andere AfD-Abgeordnete sehen das ähnlich, darunter etwa Rainer Kraft: "Dass man Leuten, die die Vernichtung unserer Hauptstadt planen, mit Auslöschung unserer Regierung, Besetzung unseres Landes mit den implizierten Folgen wie das bei einer russischen Besetzung abläuft - Raubmord, Vergewaltigung und Plünderung - auch noch mit Fernsehauftritten hofiert, kann als Landesverrat bezeichnet werden."

Werden Interna an ausländische Dienste durchgestochen?

Dass die selbsternannte Partei der Patrioten, "Landesverräter" in den wichtigen Arbeitskreis Außen schickt, sorgt für weiteren Zündstoff. Ein Abgeordneter, der anonym bleiben möchte, erklärt:
Ich sehe mit Schrecken, wie der AK Außen agiert, ich glaube, dass von außen Mächte Einfluss nehmen [...] Das ist tragisch und schändlich.
AfD-Abgeordneter
Der Verdacht der äußeren Einflussnahme wird in Reihen der AfD immer häufiger geäußert.
Es ist quasi ein offenes Geheimnis in der Fraktionsführung, dass Informationen aus dem AK Außen an ausländische Dienste durchgestochen werden.
AfD-Bundestagsmitarbeiter
Die Fraktionsführung wollte auf Anfrage nichts zu dem Vorwurf ihres Mitarbeiters und den Aktivitäten des AK Außen sagen.

Für AfD-Chef Chrupalla ist Wladimir Putin "kein Kriegsverbrecher". Ob dies doch der Fall sei, müssten unabhängige Gerichte klären.

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