: Gentechnik: Die unendliche EU-Debatte

von Fritzi Paula Ensikat und Reinhard Laska
17.05.2024 | 20:39 Uhr
Wie umgehen mit Lebensmitteln, die mithilfe neuer Gentechnik verändert wurden? Über diese Frage streitet die EU. Die Suche nach einer Lösung zieht sich hin. Was sind die Gründe?

Das EU-Parlament will die Richtlinien für den Einsatz von neuer Gentechnik in der Land- und Lebensmittelwirtschaft lockern. Die geplante Liberalisierung hätte weitreichende Folgen.

30.04.2024 | 09:26 min
Große Temperaturschwankungen, zu viel Sonne, zu viel Regen - die Landwirtschaft leidet unter den Herausforderungen, die der Klimawandel für den Anbau von Getreide, Obst und Gemüse mit sich bringt. Die Folgen bekommen Landwirte wie der ostwestfälische Kartoffelzüchter Max Pahmeyer und seine Kollegen deutlich zu spüren. Ernteausfälle von mehr als 30 Prozent in den vergangenen Jahren: keine Seltenheit.
"Wir hatten drei sehr trockene Jahre, das hatte sehr große Einflüsse auf den Ertrag", erklärt er im Gespräch mit ZDF frontal.

Neue Gentechnik-Methoden für robustere Pflanzen?

Könnten seine Kartoffeln mithilfe neuer Gentechnik-Methoden, etwa der Crispr/Cas Gen-Schere, angesichts des Klimawandels robuster werden? "Wenn tatsächlich eine Sorte damit besser klarkäme, dann würde das schon die Sicherheit des Ertrags stärken", sagt Landwirt Pahmeyer.

"Hochpräzisions-Schere" der Molekularbiologie

"Crispr/Cas9" ist ein Verfahren, mit denen Wissenschaftler Teile des Erbgutes löschen und gezielt verändern können. Mit der sogenannten "Genschere" können einzelne Gene oder kleinste DNA-Bausteine mit Hilfe zelleigener Enzyme eingefügt, verändert oder ausgeschaltet werden. Vorbild für das "CRISPR/Cas"-System sind Bakterien: Sie haben eine Art Immunsystem entwickelt, mit dem sie Angriffe von Viren erkennen und abwehren können. 2012 hatten die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und die US-Biochemikerin Jennifer Doudna die Idee, daraus ein molekularbiologisches Werkzeug zu entwickeln.

Seit kurzem haben Genetiker ein völlig neues Werkzeug in der Hand. CRISPR heißt es und katapultiert die Gentechnik quasi von der Steinzeit ins Computerzeitalter.

11.09.2016 | 00:50 min

Erwartungen der Forscher

Wissenschaftler hoffen, damit in der Pflanzen- und Tierzucht zum Beispiel ertragreichere oder krankheitsresistente Sorten und Rassen zu entwickeln. Im Bereich der (Human-)Medizin erwarten Forscher, dass möglicherweise Gendefekte repariert und damit schwere Erbkrankheiten wie Mukoviszidose, Sichelzellanämie oder Muskeldystrophie verhindert werden können.

Ethische Fragen

Besonders heikel und umstritten sind Eingriffe in die menschliche Keimbahn, weil sie auch das Erbgut aller künftigen Generationen verändern. Im April 2015 berichteten chinesische Forscher erstmals, menschliche Embryonen mit "CRISPR/Cas" genetisch verändert zu haben. Anfang 2016 bekam auch eine britische Forschergruppe die Erlaubnis, künftig gezielt die Gene menschlicher Embryonen zu manipulieren. In Deutschland ist das bislang nicht erlaubt.

Probleme bei der Methode

Eine im vergangenen Sommer veröffentlichte Studie zeigte allerdings, dass die viel gepriesene Genschere nicht so gut funktioniert wie bislang behauptet. Sie verursache regelmäßig ungewollte Mutationen, erklärten britische Wissenschaftler. Das geschehe auch in Bereichen des Erbgutes, die weit entfernt von den Stellen liegen, die Mediziner eigentlich mit dem neuartigen Werkzeug behandeln wollen. (Quellen: KNA, AFP)
Großkonzerne wie Bayer, aber auch mittelständische Züchter versprechen, mit gentechnisch veränderten Pflanzen neue, virusresistentere Sorten im Labor zu schaffen. So auch Pflanzenzüchter Stefan Streng. Auf einem seiner Versuchsfelder bei Würzburg hat er eine neue Gerstensorte entwickelt. "Mit modernen Züchtungsmethoden können wir sicherlich die Züchtung exakter machen, schneller machen und dadurch letztendlich früher dem Landwirt etwas anbieten", sagt er.
Streng hofft, in Zukunft viel schneller klima- und schädlingsresistente Sorten züchten zu können, als das mit konventioneller Züchtung bisher möglich war.

EU regelt Kennzeichnung von Gentechnik

Dabei sind gentechnisch veränderte Pflanzen in der Europäischen Union bislang strengster Regulierung und Kontrolle unterworfen und dürfen in der EU faktisch nicht angebaut werden.
Das wollte die EU-Kommission mit Blick auf neue Gentechnologien ändern. Im Sommer vergangenen Jahres legte sie eine neue Gentechnik-Verordnung vor - mit umfassender Deregulierung. Bislang vorgeschriebene Risikoprüfungen sollten weitgehend aufgegeben, die Kennzeichnungspflicht für neue Gentechnologien verworfen und die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel vereinfacht werden.

EU-Staaten bei Gentechnik gefragt

Anfang des Jahres sprach sich auch das EU-Parlament für die Lockerung der strengen Regeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel aus. Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission will das Parlament aber, dass die Kennzeichnungspflicht für neue Technologien nicht verfällt. Künftig soll bei der neuen Gentechnik mit zwei Kategorien gearbeitet werden:
  • In der ersten Kategorie sollen neue Sorten mit bis zu 20 genetischen Veränderungen weitgehend wie herkömmliche Pflanzen behandelt werden.
  • Für Pflanzen mit mehr genetischen Eingriffen sollen dagegen weiter strengere Vorschriften gelten.
Nun sind die einzelnen EU-Staaten gefragt - und hier regt sich Widerstand, unter anderem in Österreich.

Nach EU-Vorgaben kennzeichnungspflichtige Lebensmittel:

  • Gentechnisch veränderte Organismen (GVO), die als oder in Lebensmitteln verwendet werden
  • Lebensmittel, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen
  • Lebensmittel, die aus GVO hergestellt werden oder Zutaten enthalten, die aus GVO hergestellt werden

Die Ausnahmen der Kennzeichnungspflicht:

  • Lebensmittel, die nur mit Hilfe von GVO hergestellt werden. Das trifft zum Beispiel auf Lebensmittel aus oder von Tieren zu, die gentechnisch verändertes Futter erhielten, wie etwa Milch.
  • Technische Hilfsstoffe aus GVO, die nur während der Herstellung verwendet werden und nicht im Lebensmittel verbleiben; beispielsweise Bier, für dessen Herstellung gentechnisch veränderte Hefe verwendet und dann wieder entfernt wird.
  • Lebensmittelzutaten, die bis zu 0,9% Material aus GVO enthalten. Der Schwellenwert trägt der Tatsache Rechnung, dass im Herstellungsprozess Verunreinigungen auftreten können.

Skepsis in Deutschland

Auch in Deutschland sind viele Verbraucherinnen und Verbraucher skeptisch, wenn es um das Thema Gentechnik geht. Laut einer von der Verbraucherorganisation Foodwatch in Auftrag gegebenen, repräsentativen Umfrage gaben im vergangenen Jahr 92 Prozent der Deutschen an, wissen zu wollen, ob ein Produkt mithilfe von Gentechnik gezüchtet wurde.
Bedenken gibt es zudem bei der Frage, ob die genetisch veränderten Laborzüchtungen Risiken bergen.
Ralf Wilhelm vom staatlichen Julius-Kühne-Institut ist zuständig für die Risikobewertung. Er weist im Gespräch mit ZDF frontal darauf hin, dass die genetische Veränderung einer Pflanze ungewollte Nebenwirkungen haben kann. Gene würden zerstört, die man gar nicht zerstören wollte, der Stoffwechsel einer Pflanze gerate aus dem Gleichgewicht.

"Es gibt nicht das Klima-Gen"

Besonders skeptisch blickt er auf das Versprechen einer klimaresistenten Pflanze. "Es gibt nicht das Klima-Gen, was die Pflanze an jedes Klima anpassen würde. Das gesamte Potpourri von Genen, was wir zur Verfügung haben, kennen wir eigentlich noch gar nicht".
Die Debatte um die neue Gentechnik und ihre Kennzeichnung ist längst nicht beendet. Sie wird weitergehen - voraussichtlich in einem neu zusammengesetzten EU-Parlament. Denn eine Einigung zwischen den EU-Staaten vor der Europawahl im Sommer, gilt als unwahrscheinlich.
Mit Material von dpa und epd

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