: Immer mehr Jugendliche greifen zu Ketamin

von Wolf-Christian Ulrich, London
03.03.2024 | 18:54 Uhr
Großbritannien erlebt eine Ketamin-Welle. Immer mehr Jugendliche greifen zur billigen Party-Droge, doch die Folgen sind dramatisch: Für viele wird die Sucht zur Lebensgefahr.

Großbritannien erlebt eine Ketamin-Welle. Immer mehr Jugendliche nehmen die Party-Droge, weil sie so billig ist.

23.02.2024 | 02:14 min
Wieder ein Frühling, den Wendy Teasdill ohne ihre Tochter verbringen muss. Ein Kirschbaum im Garten erinnert an Ellie - die vor elf Jahren an Ketamin starb, das sie auf einem Musikfestival zusammen mit Alkohol konsumiert hatte.
Ich hatte keine Ahnung, wie normal Ketamin damals schon war - und dass es bis heute immer mehr verbreitet ist.
Wendy Teasdill, Ellies Mutter
Sie habe ihrer Tochter vertraut, die nie anfällig für Drogen gewesen sei - dann plötzlich der tödliche Schock. Ellie ist eines von immer mehr Ketamin-Opfern in Großbritannien.

Billiger als andere Partydrogen

Mittlerweile ist es eine Epidemie. Überall im Land, vor allem aber in strukturschwachen Gebieten, schnupfen Jugendliche das Narkosemittel, weil es beim Dealer nur halb so viel kostet wie andere Partydrogen. Behörden und Hilfsorganisationen stellen einen starken Anstieg bei sichergestellten Drogen und bei der Zahl der Abhängigen fest.
Dan Parker ist zum Glück noch am Leben. Er beschreibt die Situation in seiner Heimat an der Küste im nördlichen Wales.
Jeder hier nimmt Drogen. Ketamin, Kokain. Cannabis. Vom achtjährigen Kind bis zum Rentner.
Dan Parker, ehemaliger Ketamin-Abhängiger

Stichwort: Ketamin

Ketamin ist ein starkes Narkose- und Schmerzmittel, eingesetzt sowohl in der Human- als auch Tiermedizin. In den vergangenen Jahren hat es sich auch als experimentelle Behandlungsmethode für eine Reihe von psychiatrischen und schwer zu behandelnden Erkrankungen wie Depressionen, Angstzustände und chronische Schmerzen etabliert. Wegen seiner halluzinogenen Nebenwirkungen wird es seit einigen Jahren zunehmend als Partydroge konsumiert, es kann aber auch Angstzustände auslösen.
Er selbst nahm Ketamin erst auf Rave-Parties. Im Corona-Lockdown wurde es dann zu Hause zur Gewohnheit:
Wenn du dich fragst, ob du es noch unter Kontrolle hast, ist es schon zu spät.
Dan Parker, ehemaliger Ketamin-Abhängiger

Letzte Rettung: Entzugsklinik

Dan magert stark ab, erleidet heftige Schmerzen im Bauch, ist seelisch am Ende. "Meine Blase ist völlig zusammengeschrumpft. Meine Abwehrkräfte waren so schlecht wie bei jemandem, der AIDS hat, und meine Nase war kaputt."
Ich sagte zu meiner Mutter: Wenn ich nicht in den Entzug komme, bin ich tot.
Dan Parker, ehemaliger Ketamin-Abhängiger
Dan hat Glück: Mit Hilfe einer Stiftung bekommt er einen Platz in einer Entzugsklinik in Wales. Danach hat er seinen Freundeskreis hinter sich gelassen, ist umgezogen, hat sich ein neues Leben aufgebaut. Alles, um bloß nicht rückfällig zu werden.

Schwere körperliche Schäden

Arbeitslosigkeit, Langeweile und Gruppendruck treibe junge Menschen in die Sucht, sagt die Leiterin der Parkland Entzugseinrichtung im walisischen Lladudno. Sie betont vor allem die körperlichen Schäden: Die meisten jungen Leute seien sich nicht bewusst, wie sehr die Blase geschädigt werde. Jugendliche würden inkontinent, urinierten Blut, manchen müsse die Blase gar entfernt werden.
Oft würden Urologen zu spät erkennen, dass die Ketamin-Sucht die Ursache für die Probleme sei. Und dann müssten vor allem gesetzlich versicherte Patienten zu lange auf Hilfe warten.
Jeder Patient hier weiß: Es geht um Leben und Tod. Wir haben gehört, dass mehrere Patienten gestorben sind, während sie auf ein Angebot gewartet haben.
Cheryl Williams, Rehab-Centre

Zusammenhang mit Wett-Sucht

Cheryl Williams weist außerdem auf den engen Zusammenhang mit Spielsucht bei jungen Leuten hin. Die mit dem Handy massenhaft online Fußballwetten abschließen würden, in der Hoffnung, ihre Ketamin-Sucht zu finanzieren. Am Ende seien viele stark verschuldet - und doppelt abhängig.

Sucht, Schulden, Depressionen, sogar Suizide – die negative Seite von Sportwetten sind bekannt.

07.02.2024 | 02:14 min
Dass die Behörden Ketamin jüngst auf der Gefahrenskala hochgesetzt hätten, reicht ihr nicht. Die öffentliche Kommunikation sei teils verwirrend. Vielen jungen Leuten sei nicht klar, dass es sich nicht um ein harmloses Narkotikum, sondern um eine gefährliche Droge handle, die falsch dosiert zu schweren Schäden führe und schnell abhängig mache.
Die britische Regierung hat das Gesundheitssystem seit Jahren in die Krise gespart, knapp acht Millionen Briten warten auf Behandlung. Seit Corona fehlt vielen Hilfsorganisationen Personal. Die Ketamin-Krise im Vereinigten Königreich ist schleichend und zerstörerisch - eine stille Katastrophe.

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