: Iran: Was ein Jahr nach Aminis Tod bleibt

von Jörg Brase, Teheran
16.09.2023 | 06:53 Uhr
Monatelang gingen die Menschen in Iran gegen ihre Regierung auf die Straße. Das Regime reagierte mit brutaler Gewalt. Mittlerweile ist wieder Ruhe eingekehrt. Doch die Wut bleibt.

Vor einem Jahr starb Mahsa Amini nach ihrer Festnahme in Iran. Ihr Tod löste monatelange Massenproteste aus. Zum Todestag sind Demos angekündigt.

16.09.2023 | 01:28 min
"Sie nutzen alle Hebel, um Druck auszuüben, damit am Todestag von Mahsa Amini Angst und Schrecken herrschen und die Leute nicht auf die Straße gehen," sagt der Soziologieprofessor Ahmad Bokharaei. Er gehört zu den wenigen, die es im Vorfeld des Todestages wagen, offen vor der Kamera eines Auslandsmediums zu sprechen.
Die meisten anderen winken ab, aus Angst. Zu stark ist der Druck der iranischen Regierung und der Sicherheitsbehörden. So wurden über einhundert Professoren entlassen oder in den Vorruhestand gedrängt, wegen mangelnder akademischer Leistungen, wie es offiziell hieß.
Doch tatsächlich konzentrierten sich die Behörden eher "auf das Zentrum des gesellschaftlichen Widerstands, die Studenten und Akademiker," vermutet Soziologe Dr. Bokharaei, "sie wollen damit auch andere Professoren einschüchtern."

Am 16. September 2022 wurde die junge Kurdin Mahsa Amini offiziell für tot erklärt. Es folgten heftige Proteste in Iran. Ein Jahr nach der Revolte kehren wir zurück.

13.09.2023 | 06:20 min

Viele Todesurteile gegen Demonstranten verhängt

Nach Monaten heftiger Proteste, die auf den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini am 16. September 2022 folgten, war es zuletzt wieder ruhig geworden in der Islamischen Republik Iran. Das Regime hatte Zehntausende festgenommen, es hatte zahlreiche Tote und Verletzte gegeben, und nicht zuletzt wurden viele Todesurteile gegen Demonstranten verhängt und in sieben Fällen auch vollstreckt.
Die Härte der Staatsmacht verfehlte ihre Wirkung nicht: Die Demonstrationen hörten auf. Stattdessen aber wagten sich immer mehr Frauen ohne Kopftuch auf die Straßen. Nicht nur in Teheran, auch in anderen Städten des Landes wuchs das Selbstbewusstsein, sich nicht mehr der strengen islamischen Kleiderordnung zu unterwerfen.

Immer mehr Frauen trauen sich ohne Kopftuch auf die Straße

Die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Shima Ghoosheh empfängt uns in ihrer Kanzlei im Westen Teherans. Bevor wir unser Fernsehinterview beginnen, zieht sie ihr Kopftuch wieder auf. Im Gerichtssaal und vor der Kamera sei es besser, die Kleiderordnung zu beachten, meint sie, andernfalls drohe Berufsverbot.
Wie Ghoosheh praktizieren es mittlerweile viele Frauen in Iran. Beim Betreten öffentlicher Gebäude, bei öffentlichen Auftritten oder beim Autofahren tragen sie den Hijab. Sobald aber zum Beispiel die Ticketkontrolle in der U-Bahn passiert wurde, verschwindet das Kopftuch wieder in der Handtasche.

In Van, im Südosten der Türkei verbringen viele Iraner ihren Urlaub in Freiheit. Hier legen Frauen ihre Kopftücher ab, da sie keine Verfolgung fürchten.

13.09.2023 | 05:49 min

Frauen sind sich jetzt ihrer Rechte bewusst

Mittlerweile, so sagt Ghoosheh, würden auch die Anfeindungen gegenüber Frauen ohne Kopftuch immer weniger, und das gelte auch in ländlichen Gebieten. "Die Akzeptanz ist gestiegen," meint die Juristin, und die Situation für die Frauen im Land habe sich grundsätzlich verändert. "Frauen sind sich ihrer grundlegenden Rechte bewusst geworden, vor allem ihres Rechts auf den eigenen Körper."
Die Fraktion der religiös-konservativen Hardliner, angeführt von Staatsoberhaupt Khamenei und Präsident Raisi, will die Kopftuchregeln zwar verschärfen und droht mit härteren Strafen bei Verstößen gegen die Kopftuchpflicht.

Auch der Sport wird den Frauen in Iran schwer gemacht. Der Kopftuchzwang ist nur eine von vielen Beschränkungen.

19.07.2023 | 06:09 min

Junge Iraner wenden sich vom Regime ab

Doch dieser Kurs ist selbst im von Konservativen dominierten Parlament nicht unumstritten. Für viele geht es dabei um die Gefahr, die junge Generation komplett zu verlieren. Die allermeisten haben sich längst vom Regime abgewandt.
"Wenn sie nicht auf die Forderungen der Menschen eingehen," sagt Mostafa Faghihi, Chefredakteur der kürzlich von der Medienaufsicht verbotenen Zeitung Entekhab, "dann wird der Graben zwischen Volk und Regierung noch größer als er in den vergangenen Jahren bereits geworden ist."
Auf Dauer, ist sich Faghihi sicher, wird die Politik der Unterdrückung keinen Erfolg haben können, auch wenn es am Jahrestag von Mahsa Aminis Tod auf den Straßen ruhig bleiben sollte. Ob er glaube, dass es vielleicht doch Proteste geben könnte, wollen wir wissen. "Kein Kommentar," lautet seine Antwort. Mehr will er nicht sagen. Faghihi hofft darauf, dass seine Zeitung bald wieder erscheinen darf. "25 Familien hängen davon ab," sagt er.

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