: Experte: Russen teils "dramatisch überlegen"

15.02.2024 | 22:12 Uhr
Kann die Ukraine die umkämpfte Stadt Awdijiwka noch verteidigen? Militäranalyst Hendrik Remmel erklärt, in welcher Lage sich die ukrainischen Streitkräfte dort derzeit befinden.

Das Interview mit Militäranalyst Remmel in voller Länge

15.02.2024 | 21:50 min
Die Ukraine kämpft im russischen Angriffskrieg nach wie vor mit Munitions- und Waffenmangel sowie dem Druck von russischer Seite, vor allem im Osten des Landes. Russische Truppen haben etwa die schon lange umkämpfte Stadt Awdijiwka umstellt. Keine leichte Anfangszeit für den neuen Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, General Olexsandr Syrskyj.
Militäranalyst Hendrik Remmel vom German Institute for Defence and Strategic Studies, der Denkfabrik der Bundeswehr, schildert im Gespräch mit ZDFheute live die Lage im Ukraine-Krieg.
Sehen Sie oben das ganze Gespräch im Video und lesen Sie hier das Interview in Auszügen:
Das sagt Remmel ...

... zur Situation in der umkämpften Stadt Awdijiwka

An bestimmten Orten, erklärt Militärexperte Remmel, sei Russland derzeit "dramatisch überlegen". In der Region Kupjansk würden russische Truppen zum Beispiel erheblichen Druck aufbauen und stünden vermutlich kurz vor einem Angriff.

Die Lage an der Front in der Ostukraine wird schwieriger, vielerorts gehen Munition und Waffen aus. Die 44. Brigade soll bald in die umkämpfte Region bei Kupjansk verlegt werden.

15.02.2024 | 01:32 min
"Besonders prekär" sei die Lage allerdings weiter südlich in der umkämpften Stadt Awdijiwka.
Dort ist es den russischen Streitkräften gelungen, nördlich und südlich der Stadt die ukrainischen Stellungen zu umfassen und Awdijiwka steht kurz davor, operativ eingekreist zu werden.
Militäranalyst Hendrik Remmel
Diese Einkreisung versuche die Ukraine noch zu verhindern, mit der dritten Brigade, erklärt Remmel. "Das ist eine der besseren Brigaden der ukrainischen Streitkräfte, die im Grunde genommen aus dem ehemaligen Asow-Regiment ihre Wurzeln gefunden hat", sagt der Militärexperte. Sie habe auch schon in Bachmut und Awdijiwka gekämpft.

Die ukrainische Armee sei an der Front in einer "verzweifelten Verteidigungshaltung". Den Krieg weiterzuführen sei trotz dieser Lage "alternativlos", so ZDF-Reporterin Eigendorf.

15.02.2024 | 04:12 min
Das könne ein Vorteil sein, "weil sie das Gelände kennen". Allerdings sei die Brigade in den vergangenen Wochen und Monaten "zunehmend abgekämpft" worden. Sie "sind aus der Frontlinie rausgelöst worden, haben jetzt neue Soldaten bekommen, haben ein Training erhalten und wurden unter anderem auch mit neuen westlichen Waffensystemen ausgestattet", sagt Remmel.
Unter anderem sei unter diesen neuen Waffen wohl auch der Bradley-Schützenpanzer, der für die ukrainischen Streitkräfte nun von entscheidender Bedeutung sein könnte.
Es gibt mehrere Optionen, wofür diese Brigade jetzt eingesetzt wird.
Militäranalyst Hendrik Remmel
Sie könne etwa versuchen, die Stellungen in der Stadt zu verstärken oder an den Flanken Gegenangriffe zu starten, um "den Druck von den Kräften, die sich in Awdijiwka befinden, rauszunehmen".

Der Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland wird immer brenzliger. Eine Panzereinheit bereitet sich auf Kämpfe vor, um ein weiteres Vordringen der Russen zu verhindern.

15.02.2024 | 02:08 min

... zu Herausforderungen der ukrainischen Streitkräfte

Generell hat die ukrainische Armee Remmel zufolge mit zwei großen Herausforderungen zu kämpfen: mit der Unterlegenheit bei der Feuerrate und mit der nachhaltigen Versorgung der Streitkräfte.
Versorgungswege nach Awdijiwka, "die noch von der Ukraine kontrolliert werden", gebe es kaum noch. Der Militäranalyst spricht von einer leistungsfähigen Straße, "wenn diese überhaupt noch genutzt werden kann", sagt Remmel.
Über schlechtere Geländeabschnitte könne die Ukraine weiter versuchen, Versorgung und Truppen in die Stadt zu bringen.
Aber eine nachhaltige Versorgung von mehreren Brigaden ist aus meiner Sicht nahezu ausgeschlossen.
Militäranalyst Hendrik Remmel
Die Unterstützung des Westens wie das angekündigte Drohnenpaket aus Großbritannien könne im Kampf um Awdijiwka zwar nicht mehr helfen, aber sei mittelfristig nach wie vor sehr wichtig, betont der Experte. Die Militärhilfe mit "Drohnen, aber vor allem auch mit Munition für Artilleriesysteme und Flugabwehrsysteme" sei "überlebenswichtig für die Ukraine auf der strategischen und operativen Ebene", sagt Remmel.

Dem von Russland angegriffenen Land fehlen zunehmend Waffen und Munition zur Verteidigung. Auch für die deutschen Leopard II Panzer droht die Munition auszugehen.

15.02.2024 | 01:31 min
Momentan verschieße die Ukraine pro Tag ungefähr 2.000, maximal 3.000 Schuss. Russland hingegen verschieße "an die 10.000 Schuss pro Tag".
Diese Unterlegenheit der Feuerrate ist ein wirkliches Problem für die ukrainischen Streitkräfte.
Militäranalyst Hendrik Remmel
Drohnen könnten den Munitionsmangel kurzfristig kompensieren. "Aber auf langfristige Sicht, vor allem wenn die Ukraine nächstes Jahr wieder in die Offensive gehen möchte", brauche sie mehr Munition.
Die USA und Deutschland hätten ihre Produktionskapazitäten für Munition bereits hochgefahren. "Man muss aber fairerweise dazu sagen, dass die Amerikaner dort bedeutend schneller reagiert haben", sagt Remmel. "Ohne diese Munitionslieferungen und die Munitionskapazitäten von den Amerikanern hätten die Ukrainer noch erheblich größere Probleme."

Er sei Realist, sagt der Armeechef der Ukraine. Ein Realist mit einer großen Aufgabe. Die Siegeschancen der Ukraine liegen nun auch in den Händen von Oleksandr Syrskyj.

09.02.2024 | 15:03 min

... zum neuen Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte

In den derzeitigen Hotspots wie Awdijiwka habe der neue Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte Syrskyj "keine wirklichen Handlungsmöglichkeiten", sagt Militärexperte Remmel. Dort sei es eher eine taktische, "bestenfalls eine operative Frage", wie der Kampf ausgehe.
Es ist in in allererster Linie eine Aufgabe der taktischen militärischen Führer vor Ort, also der Brigade, der Bataillonskommandeure, der Kompaniechefs, dort noch einen taktischen Vorteil zu generieren.
Militäranalyst Hendrik Remmel
Mit einem strategischen Wandel werde der Oberbefehlshaber selbst an diesen Orten "auf jeden Fall nicht mehr eingreifen können".
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Quelle: ZDF

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