: FPÖ-Wahlsieg: Erst Europa, dann Österreich?

von Britta Hilpert, Wien
10.06.2024 | 20:05 Uhr
Österreichs Rechtspopulisten sind Wahlsieger, doch es ist für sie nur ein Etappensieg: Im Herbst will die FPÖ das Kanzleramt erobern, Herbert Kickl will "Volkskanzler" werden.

In einigen Ländern Europas haben rechtspopulistische Parteien deutlich zugelegt oder sind sogar stärkste Kraft geworden – wie etwa in Italien und Österreich.

10.06.2024 | 03:17 min
Bei der Wahlparty der FPÖ prangt das Bildnis von Herbert Kickl auf den Plastik-Bierbechern und die werden reichlich gehoben. Die FPÖ feiert, sie ist mit 25,3 Prozent erstmals stärkste Kraft in Österreich bei einer landesweiten Wahl.
Vor wenigen Jahren hätte niemand gedacht, dass Kickl, der seine Laufbahn als Steigbügelhalter der einstigen rechtspopulistischen Stars Jörg Haider und HC Strache begann, einmal zum Posterboy der österreichischen Rechten mutieren würde. Aber mit der Europawahl hat er es nun schwarz auf weiß: Kickl hat tatsächlich die Chance, bei den Nationalratswahlen in wenigen Monaten, den Auftrag für die Regierungsbildung zu bekommen.

In Frankreich haben die Rechtspopulisten doppelt so viele Stimmen gewonnen wie die Liste Renaissance von Präsident Macron. Der kündigte als Konsequenz Neuwahlen an.

10.06.2024 | 01:24 min

Kickl will "Volkskanzler" werden

"Ich bin unglaublich froh", sagt Herbert Kickl am Wahlabend. "Ein ganz, ganz großes Geschenk ist es, einen solchen historischen Erfolg als Parteiobmann erleben zu dürfen." Aber er hatte gehofft, mehr zu erringen mit seinen Provokationen, mit Fremdenfeindlichkeit und russlandfreundlicher Politik: Manche Umfragen hatten die FPÖ bei 30 Prozent gesehen. Deshalb sagt er auch: "Da braucht's noch einen Denkzettel von den Wählern im Herbst."
Der Herbst, die Nationalratswahlen, die künftige Regierung - auf allen Wahlpartys ist das das Thema Nummer eins. Die Europawahl, so sehen es die meisten, ist eine Art Testlauf. So denkt wohl auch Bundeskanzler Karl Nehammer, der an dem Abend, an dem seine Partei ÖVP knapp 10 Prozent an Zustimmung verliert, eine Botschaft in den Mittelpunkt stellt:
Ich kann den Wählern versprechen, dass ich die Botschaft verstanden habe.
Karl Nehammer, österreichischer Bundeskanzler

Die europäischen Christdemokraten sind zwar die Wahlgewinner, müssen aber zittern, ob sie mit den anderen demokratischen Parteien eine Mehrheit bilden können.

10.06.2024 | 04:56 min

ÖVP ruft zum Duell mit der FPÖ aus

Doch am Morgen danach stellt sich heraus, dass der Abstand zur FPÖ gar nicht so groß ist: noch nicht mal einen Prozentpunkt. Bei rund 24,5 Prozent liegt die ÖVP hinter der FPÖ. Und so ruft der Generalsekretär der ÖVP, Christian Stocker, am Morgen nach der Wahl das Duell mit der FPÖ aus: "Die Aufholjagd ist eröffnet, der Abstand alles andere als groß. Wir gehen davon aus, dass im Herbst der Bundeskanzler wieder Karl Nehammer heißt", so Stocker.
Eine Koalition mit Kickls FPÖ schließt die ÖVP seit Monaten aus. Doch in Österreich halten viele Beobachter das nicht für gesetzt.

SPÖ-Chef Babler profiliert sich gegen rechts

Unter den drei großen Parteien FPÖ, ÖVP und SPÖ ist der Abstand eigentlich relativ gering: Die Sozialdemokraten errangen 23,2 Prozent, nach leichten Verlusten. Die Partei hat noch einen relativ frischen Vorsitzenden: Andreas Babler versuchte die Partei im Wahlkampf zu einen, nach einer langen Strecke interner Machtkämpfe. Babler meint, sie habe sich nun "stabilisiert" und er profiliert sie gegen rechts. Babler ruft am Wahlabend:
"Wir werden die FPÖ stoppen!"
Andreas Babler, SPÖ-Vorsitzender
Auf das Ziel zumindest können sich die Sozialdemokraten einigen.

"Es ist natürlich ein Signal, dass jetzt so viel mehr Anti-Europäer im Europaparlament sitzen und dort Politik für Europa machen", erklärt Isabelle Schaefers, ZDF-Korrespondentin in Brüssel.

10.06.2024 | 02:50 min
Aber "nicht berauschend", nennt der parteiinterne Konkurrent Doskozil heute das Ergebnis. Ob Babler der richtige Parteichef ist? Jetzt wolle er das nicht diskutieren, sagt Doskozil und legt nach: "Diese Diskussion werden wir aber sicher nach der Nationalratswahl führen." Demontage durch die Hintertür - das hilft nicht im Wahlkampf, der nun Fahrt aufnimmt.

Erleichterung bei Österreichs Grünen

Die Europawahl hat Österreichs Parteienlandschaft durchgerüttelt - auch die Grünen mussten nach Skandalen um ihre junge Spitzenkandidatin Lena Schilling ein Abstrafen der Wähler befürchten. Am Ende wurden es nach Verlusten 11,1 Prozent, immerhin 4. Platz für die kleine Partei, die in einer ungeliebten Regierungskoalition mit der ÖVP steckt. Gestern Erleichterung beim Parteichef Kogler: "Wir sind Gegenwind gewöhnt, und wir lassen uns nicht umblasen." Doch einer nüchternen Analyse wich die Partei vor Mikrofonen heute aus. Keine Pressekonferenz - vielsagendes Schweigen.

"Die Ampelparteien haben kein Interesse an Neuwahlen", sagt Politikwissenschaftler Thorsten Faas im heute journal update. Das sei derzeit für keine der Parteien vielversprechend.

11.06.2024 | 03:57 min
Es gab neben der FPÖ noch einen weiteren Wahlgewinner: Die kleine liberale Partei "Neos" konnte die Zahl ihrer Mandate verdoppeln: von einem auf zwei mit 10,1 Prozent. Sie war wohl Fluchtpunkt vieler Unzufriedener, die nicht die FPÖ wählen wollten.
Und das zeigt eines: Unzufriedenheit prägt den Wählerwillen. Die Europawahl war eine Denkzettelwahl. Es bleibt aber wenig Zeit zum Nachdenken: gleich nach den Sommerferien müssen die Österreicher ihre wichtigste politische Entscheidung treffen. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Alpenrepublik dann einem sogenannten "Volkskanzler" entgegensieht.
Britta Hilpert ist Leiterin des ZDF-Auslandsstudios Wien.

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