Analyse

: Sommeroffensive: Schoigu bremst Erwartungen

von Christian Mölling und András Rácz
05.05.2024 | 20:28 Uhr
Russland könnte Eliteeinheiten in den Donbass verlegen, um die Ukraine dort zurückzudrängen. Der russische Verteidungsminister aber dämpft die Erwartungen an eine Sommeroffensive.
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu bremst offenbar die Erwartungen an eine Sommerofensive.Quelle: dpa
Der russische Vormarsch nordwestlich von Awdijiwka hat sich zwar etwas verlangsamt. Aber Moskau wird möglicherweise Elemente seiner hoch qualifizierten 7. und 76. Luftlandedivisionen aus der Region Saporischschja in den Donbass verlegen, um die Offensive fortzusetzen und die ukrainischen Streitkräfte zurückzudrängen, noch bevor die US-Militärhilfe in größerem Umfang eintrifft.

Ukraine intensiviert Fernangriffe

Die ersten Waffenlieferungen aus dem neuen US-Militärhilfepaket haben die Ukraine derweil erreicht. Es wird jedoch noch einige Wochen dauern, bis solche Mengen geliefert werden können, die die Lage an der Front deutlich zu Gunsten der Ukraine verbessern würden.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
In der Zwischenzeit hat die Ukraine bereits die ATACMS-Langstreckenraketen sowie "normale" Himars-Schläge erfolgreich gegen mehrere russische Ziele eingesetzt, darunter sowohl Luftstützpunkte als auch Luftabwehrsysteme.

In ihrem Verteidigungskampf gegen Russland fehlt es der Ukraine an Waffen, Munition – und Soldaten. Neue Rekruten sollen die dringend benötigte Verstärkung an der Front bilden.

03.05.2024 | 02:52 min

Detaillierte Schätzung: Russische Tote, Verletzte, Desertierte

Am 28. April gab der britische Streitkräfteminister Leo Docherty eine ungewöhnlich detaillierte Schätzung der Verluste Russlands in der Ukraine seit Beginn der umfassenden Invasion ab. Ihm zufolge sind etwa 450.000 Soldaten getötet oder verwundet worden, während Zehntausende desertiert sind. Die Zahl der getöteten Söldner ist unbekannt.
Was die militärische Ausrüstung betrifft, so hat Russland bisher fast 3.000 Kampfpanzer, 109 Flugzeuge, 136 Hubschrauber und mehr als 1.500 Artilleriesysteme sowie 23 Marineschiffe verloren.
Dochertys Schätzung ist nicht nur deutlich höher als alle bisherigen westlichen Einschätzungen, sondern stimmt auch mit den offiziellen ukrainischen Schätzungen überein, wonach Russland etwa 470.000 Soldaten verloren hat, einschließlich getöteter, verwundeter, gefangener oder vermisster Soldaten.

Man müsse alles dafür tun, die Luftverteidigung der Ukraine zu verbessern, sagt Militärexperte Nico Lange. Die nächste Zeit werde für die ukrainischen Streitkräfte sehr schwierig.

03.05.2024 | 06:45 min
Die britischen Schätzungen der Hardware-Verluste liegen indessen weit unter den von der Ukraine angegebenen Werten; bei den Panzern besteht beispielsweise ein Unterschied um das 2,5-fache, während die Ukraine bei den Artilleriesystemen von mehr als 12.100 zerstörten Systemen spricht, was fast zehnmal mehr ist als die von Großbritannien angegebene Zahl.

Schoigu bremst Erwartungen an russische Sommeroffensive

Nach einer jüngsten Äußerung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu haben die russischen Streitkräfte seit dem 1. Januar 2024 etwa 547 Quadratkilometer Territorium erobert, während er sich mit weitreichenden optimistischen Erwartungen hinsichtlich der kommenden russischen Sommeroffensive zurückhielt.
Die nüchterne Einschätzung des Ministers zielt wahrscheinlich darauf ab, die Erwartungen im Inland vor der Sommeroffensive abzukühlen, da er weiß, dass die ukrainischen Streitkräfte bis dahin wesentlich besser ausgerüstet und versorgt sein werden als zu Beginn des Jahres.

Improvisieren, sich irgendwie behelfen: Das ist bei dem Reparaturbataillon im Osten der Ukraine oberstes Gebot. Denn es fehlt an allem: Ersatzteile, Material, Mechaniker.

03.05.2024 | 01:53 min
Russland hat offiziell den Eisenbahnverkehr auf einer Bahnstrecke aufgenommen, die durch die besetzten Regionen Donezk, Saporischschja und Cherson als alternative Versorgungslinie gebaut wurde. Diese Strecke liegt weiter südlich der bestehenden Bahnlinie und ist daher weniger anfällig für ukrainische Artillerie- und Drohnenangriffe.

Großbritannien: Ukraine darf russische Gebiete angreifen

Die britische Regierung erklärte derweil, dass die Ukraine die von Großbritannien gelieferten Waffen auch gegen Ziele innerhalb der international anerkannten Grenzen Russlands einsetzen darf.
Damit wird eine wichtige rote Linie überschritten, die bisher die Fähigkeit der Ukraine einschränkte, Waffen aus westlicher Produktion mit maximaler Effizienz einzusetzen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine Reihe anderer Staaten der Erklärung des Vereinigten Königreichs folgen und sich damit die Handlungsfreiheit der Ukraine weiter erhöhen wird.

Der ukrainische Präsident Selenskyj hat vor einer Ausweitung der russischen Angriffe gewarnt. Vor Soldaten sprach er von einer "neuen Phase des Krieges".

04.05.2024 | 00:21 min

Möglicher Einsatz von Chemiewaffen

Die US-Regierung beschuldigte Russland, durch den Einsatz von Chlorpikrin und verschiedenen Arten von konzentriertem Tränengas gegen ukrainische Stellungen gegen das Chemiewaffenübereinkommen verstoßen zu haben.
Zwar gab es bereits früher in diesem Krieg sporadische Informationen über den Einsatz chemischer Kampfstoffe durch russische Truppen (zum Beispiel in Mariupol), doch ist dies der erste Fall, in dem der Vorwurf auf offizieller Ebene erhoben wird.

Weitere Angriffe auf russische Ölanlagen

Die Ukraine setzte ihre Angriffe auf russische Ölraffinerien und Öldepots im russischen Hinterland mit Hilfe von Langstreckendrohnen fort. Die Raffinerie in Rjasan wurde bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Monats angegriffen. Russland ist offenbar immer noch nicht in der Lage, seine Öleinrichtungen angemessen vor Drohnenangriffen zu schützen.
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