Analyse

: Russland will verbleibende Zeit nutzen

von Christian Mölling und András Rácz
28.04.2024 | 19:26 Uhr
Russland will seine noch bestehende Überlegenheit in der Ukraine wohl ausnutzen, bevor neue US-Waffen eintreffen. Es gibt militärische Vorstöße, der Druck steigt.

Charkiw liegt unweit der russischen Grenze und steht jede Nacht unter Beschuss. Für die geschwächte Luftabwehr der Ukraine ist die Verteidigung von Charkiw extrem herausfordernd.

28.04.2024 | 01:56 min
Russland beabsichtigt offenbar, das Zeitfenster, das ihm zur Verfügung steht, bevor die US-Waffen in größerem Umfang eintreffen und sich die Verteidigung der Ukraine verbessern würde, maximal auszunutzen.
Den russischen Streitkräften gelang ein taktischer Erfolg nordwestlich von Awdijiwka, im Dorf Otscheretyne, an der Straße nach Pokrowsk. Hier gelang es den russischen Truppen nach einem gescheiterten ukrainischen Rotationsmanöver etwa am 17. und 18. April, in die ukrainische Verteidigung einzubrechen und anschließend den Vorstoß zu vertiefen und zu erweitern.
Sie nahmen die Dörfer Nowobachmutiwka und Solowjow im südlichen Teil des Frontbogens ein und starteten einen weiteren Vorstoß östlich des ursprünglichen Frontbogens. Innerhalb von zwei Tagen nahmen sie sowohl Nowokalynowe als auch Teile des Dorfes Keramik ein. Die ukrainischen Truppen zwischen den beiden Keilen werden sich zurückziehen müssen.

Nach der Freigabe des Milliarden-Hilfspakets kündigt US-Präsident Biden weitere Lieferungen an, ATACMS-Raketen sind bereits im Einsatz. Doch: Die Lage an der Front ist schwierig.

25.04.2024 | 01:37 min

Gefahr eines größeren Durchbruchs

Russland verlegt alle seine verfügbaren Reserven in dieses Gebiet, darunter mehrere mechanisierte Infanteriebrigaden und mindestens ein Panzerregiment, um die erzielten Erfolge weiter auszubauen.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Sollten die russischen Truppen in der Lage sein, den derzeit noch taktischen Durchbruch weiter zu vertiefen und auszuweiten, könnten sie die gesamte ukrainische Verteidigungslinie in der Region gefährden und damit eine Wirkung im operativen Bereich erzielen.
ZDFheute Infografik
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Sollte die Verteidigung hier unhaltbar werden, müssten sich die ukrainischen Truppen nach Westen zurückziehen, möglicherweise sogar etwa zehn Kilometer bis nach Hrodiwka, wo das Gelände für den Aufbau einer neuen Verteidigungslinie besser geeignet ist. Nördlich davon würden mehrere Flüsse, Bäche und Stauseen einen schnellen russischen Vorstoß erschweren. Sollte es ihnen dennoch gelingen, weiter nach Norden vorzustoßen, könnten sie die Stadt Konstantiniwka von Süden her gefährden.

Russland erhöht Druck auf Tschasiw Jar

Der russische Druck nimmt auch auf Tschasiw Jar zu. Während hier die ukrainische Verteidigung noch standhält, erhöht Russland aktiv das Einsatztempo und verlegt immer mehr Kräfte in den Kampf.
Sollte Tschasiw Jar fallen, würde dies die gesamten ukrainischen Verteidigungslinien in der Region unhaltbar machen, möglicherweise einschließlich Konstantikiwka. In diesem Fall würde die Linie Slowjansk-Kramatorsk die letzte starke ukrainische Verteidigungslinie im Donbass werden.

Bei einem virtuellen Treffen der Ukraine-Kontakt Gruppe stellt sich die Frage, ob weitere europäische Länder die Ukraine mit Luftverteidigung unterstützen werden.

26.04.2024 | 01:35 min

US-Panzer zu anfällig für Drohnen

Unterdessen gab die Ukraine bekannt, dass sie die von den USA bereitgestellten M1A1-Abrams-Panzer vorübergehend von der Frontlinie abziehen musste, weil sie sich als zu anfällig für russische Drohnenangriffe erwiesen haben. Kürzlich wurden mindestens fünf der ursprünglich bereitgestellten 31 Abrams-Panzer zerstört.
Die USA haben zugesagt, bei der Ausarbeitung einer Lösung zur Verringerung dieser Anfälligkeit zu helfen. Es ist noch unklar, ob es sich dabei um eine stärkere elektronische Verteidigung, improvisierte "Käfige" nach russischem Vorbild oder andere Mittel handeln wird.

Der US-Senat billigt Milliarden-Hilfen für die Ukraine. Wie sehr stärkt das die Abwehr gegen Russland?

25.04.2024 | 36:47 min

Ukraine setzte ihre Langstrecken-Drohnenangriffe fort

Zwei kleinere Öldepots in der Region Smolensk sowie eine Industrieanlage in der Region Lipezk wurden getroffen. Es gibt visuelle Beweise für ein in der Ukraine hergestelltes Flugzeug des Typs Sky Ranger Nynja, das zu einer Drohne umgebaut wurde und tief in Russland, etwa 1000 Kilometer von der Frontlinie entfernt, abgestürzt ist.
Die Drohne war mit einem modernen Kamerasystem ausgestattet und trug eine ehemalige sowjetische FAB-100-Luftbombe als Munition. Diese von den ukrainischen Medien als Enterprise E-300-Drohne bezeichnete Drohne ist neben der Aeroprakt A-22 bereits der zweite bekannte Leichtflugzeugtyp, der zu Langstrecken-Schlagdrohnen umgebaut wurde.

Russland setzt die Zerstörung Charkiws fort

Am 22. April stürzte der Hauptfernsehturm von Charkiw durch einen Raketeneinschlag teilweise ein. Auch mehrere Drohnen- und Raketenangriffe trafen die Stadt. Unterdessen sprechen russische Militärblogger und staatliche Medien immer wieder von einer künftigen russischen Bodenoffensive gegen Charkiw.
Aufgrund der begrenzten Infanteriereserven Russlands scheint es sich dabei jedoch bisher eher um eine Informationsoperation zu handeln, die Chaos und Verzweiflung stiften soll, als um eine operativ realistische Bedrohung.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

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