: Warum Cell Broadcast noch immer nicht warnt

von Kai Remen
18.08.2022 | 07:16 Uhr
Im Katastrophenfall soll Cell Broadcast die Menschen warnen. In anderen Ländern ist das seit Jahren Standard, doch in Deutschland gab es immer wieder Verzögerungen.
Warn-SMS über Mobilfunk sollen künftig die Bevölkerung gezielt vor Katastrophen warnen.Quelle: dpa
Nach der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr wurde massive Kritik laut. Warum wurde die Bevölkerung nicht rechtzeitig gewarnt? Wie hätte sie gewarnt werden können?
Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte daraufhin an, auch in Deutschland die Cell Broadcast Technologie - oftmals auch "Warn-SMS" genannt - einzuführen.
In anderen Ländern wie den Niederlanden, den USA oder Japan gibt es das bereits seit Jahren. Dort werden die Menschen im Fall einer Katastrophe durch eine Mitteilung auf das Mobiltelefon gewarnt.

Wie funktioniert Cell Broadcast?

Bei Cell Broadcast - frei übersetzt: "Funkzellen Übertragung" - werden Nachrichten bis zu einer Länge von knapp 1.400 Zeichen für eine festgelegte Dauer in einem bestimmten Funkbereich ausgesendet. Alle kompatiblen Mobiltelefone in dieser Region greifen diese Warnung dann auf und zeigen sie den Menschen vor Ort an. So kann eine Meldung mehrere Millionen Empfänger gleichzeitig erreichen.

Wie unterscheidet sich die Technologie von klassischen SMS?

Bei der neuen Technologie werden keine einzelnen Nachrichten von Sender zu Empfänger geschickt und auch keine Daten des Empfängers übermittelt. Das schont die Netzkapazitäten, wodurch im Katastrophenfall trotz überlasteter Mobilfunknetze oder abreißender Stromversorgung Menschen eher erreicht werden können.

Wie gezielt können Menschen mit Cell Broadcast informiert werden?

Der Sender - zum Beispiel lokale Feuerwehr oder auch Landeskatastrophenschutz - kann im Vorfeld der Warnung genau aussuchen, welche Menschen von einer Katastrophe bedroht sind und welche Mobilfunktürme dementsprechend die Nachricht ausstrahlen. Dadurch können beispielsweise auch Touristen in der betroffenen Region gewarnt werden.

Wie kann die Dringlichkeit einer Warnung übermittelt werden?

Der Sender kann bei Cell Broadcast einstellen, mit welcher Dringlichkeit die Menschen gewarnt werden soll. So könnte sogar entschieden werden, dass die Mobiltelefone ein Tonsignal abgeben, selbst wenn sie im lautlosen Modus sind. Eine solche "CB-Meldung" würde selbst bei Handys ohne SIM-Karte ankommen.

Warn-SMS datenschutzrechtlich unbedenklich

Der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte noch Bedenken bezüglich des Datenschutzes. Die seien nicht nötig, meint Manuel Atug, Sprecher der AG KRITIS, die sich als unabhängige Arbeitsgruppe mit kritischer Infrastruktur auseinandersetzt:
Das ist die datenschutzfreundlichste Art und Weise. Es ist vollständig anonym, weil es gar keine Daten über die Nutzer gibt.
Manuel Atug, AG KRITIS

Neue Technologie soll Katastrophenschutz ergänzen

Mitte Juli teilte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit, dass aktuell mit Hochdruck an Cell Broadcast gearbeitet werde. Ein erster Test soll am nationalen Warntag, dem 08. Dezember 2022 erfolgen.
Wir brauchen für eine effektive und verlässliche Warninfrastruktur verschiedene Warnsysteme.
Nancy Faeser, Bundesinnenministerin (SPD)
Hierzulande spricht man von einem modularen Warnsystem (MoWaS), da die Bevölkerung auf verschiedenen Wegen gewarnt werden kann. Dieser Warnmittelmix besteht unter anderem aus der Warn-App NINA, Sirenen und Werbetafeln.
Durch Cell Broadcast soll das MoWaS ergänzt werden. Im vergangenen Februar veröffentlichte die Bundesnetzagentur deshalb die technische Richtlinie für das neue deutsche Warnsystem (DE-Alert).

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Probleme mit Cell Broadcast bei älteren Mobiltelefonen

Doch es gab Kritik. Die angestrebte Technik werde nur neue Mobiltelefone erreichen. Die Bundesnetzagentur reagierte. Der aktuelle Entwurf werde es nun möglich machen, dass auch ältere Mobiltelefone erreicht werden können - allerdings nur bei Warnungen der höchsten Stufe.
Ob das nach erfolgreicher Einführung nochmal angepasst wird und ältere Mobiltelefone dann auch andere Warnstufen erhalten können, ist jedoch fraglich. Auf Anfrage erklärte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), dass aktuell keine weiteren Anpassungen geplant seien.
Bis zum 09. September haben nun verschiedene Behörden und Branchenverbände Zeit, sich zu dem neuen Entwurf zu äußern. Am geplanten Warntag wird das aber wohl nichts ändern. Das BBK geht davon aus, dass "alle Komponenten auf Seite des Warnsystems […] für die Testaussendung bereit sein werden". Manuel Atug von der AG KRITIS ist vorsichtig:
Wirklich fehlerfrei wird das mit Sicherheit nicht sein, aber man kann auch nicht erwarten, dass, nachdem jahrelang nichts getan wurde, plötzlich alles funktioniert.
Manuel Atug, AG KRITIS

Klare Kommunikation Grundlage für Katastrophenschutz

Er plädiert zudem für eine transparentere Fehlerkultur bei den Behörden: "Die Kommunikation kann durch Technologie unterstützt werden, aber sie muss richtig formuliert sein."
Das weiß auch das BBK: "Warnung ist keine Aufgabe, die gerade bei komplexen Einsatzlagen ‚nebenbei‘ erledigt werden kann.", erklärt eine Sprecherin. Deshalb werde derzeit ein eigenes Trainerteam aufgebaut. Das soll die Behörden, die das MoWaS nutzen, ab Oktober 2022 besser ausbilden.
Wie effektiv das sein wird und ob Cell Broadcast die Lücken im Katastrophenschutz schließen kann, muss sich aber erst noch zeigen. Rein rechtlich muss das System bis zum Februar 2023 funktionieren.

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