Interview

: Ab wann sind Streiks unverhältnismäßig?

24.01.2024 | 21:05 Uhr
Wo liegen die Grenzen beim Streikrecht? Mit Blick auf den GDL-Streik spricht Arbeitsrechtler Gregor Thüsing über Verhältnismäßigkeit und über Einflussmöglichkeiten des Bundes.

Ob ein Streik verhältnismäßig ist, entscheidet die Gewerkschaft selbst, sagt Arbeitsrechtler Prof. Thüsing.

24.01.2024 | 12:57 min
Zum sechstägigen GDL-Streik gibt es geteilte Meinungen. Arbeitsrechtler Gregor Thüsing von der Universität Bonn erklärt im Gespräch mit ZDFheute live, inwiefern die derzeitigen Arbeitsniederlegungen verhältnismäßig sind und wie der Bund reagieren könnte.
Sehen Sie oben das ganze Gespräch im Video und lesen Sie hier das Interview in Auszügen:
Das sagt Thüsing...

... zu den rechtlichen Grenzen von Streiks

Das Recht zu streiken, erklärt Thüsing, leite sich nicht aus einem Arbeitskampfgesetz oder Ähnlichem ab, "sondern allein aus der Koalitionsfreiheit, die im Grundgesetz garantiert ist". Allerdings sei diese Koalitionsfreiheit "deutungsoffen". Es gebe seit vielen Jahren eine "Entscheidungslinie der Rechtsprechung", welche aber besage, dass Streiks "verhältnismäßig" sein müssen.
Das Besondere aber ist, dass wir keinen Maßstab haben, um zu beurteilen: Was ist denn noch verhältnismäßig?
Prof. Dr. Gregor Thüsing, Arbeitsrechtler
Diese Frage würden "Bahnpendler vielleicht anders beurteilen als GDL-Mitglieder", so der Arbeitsrechtler. Rein rechtlich habe man entschieden, dass zunächst einmal die Gewerkschaft über die Verhältnismäßigkeit entscheiden dürfe und ein Einschreiten "nur in krassen Missbrauchssituationen, in offensichtlichen Fällen" angedacht sei. "Und ob das schon bei sechs Tagen gegeben ist, das ist doch zweifelhaft", sagt Thüsing.

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... zu der Gerichtsentscheidung, den Streik zu erlauben

Natürlich, erklärt der Arbeitsrechtler, liege GDL-Chef Claus Weselsky etwas daran, den Streik als möglichst verhältnismäßig darzustellen. Die gescheiterten Anträge der Deutschen Bahn gegen diesen Streik seien allerdings "Verfahren im sogenannten einstweiligen Rechtsschutz" gewesen. Das heißt: "Die Gerichte müssen sehr schnell, vielleicht am gleichen Tag, an dem der Antrag eingereicht wurden, entscheiden: Ist das noch verhältnismäßig?". Dabei komme es häufig zu einer summarischen Prüfung:
Und da muss es schon offensichtlich ins Auge springen, dass das nicht geht. Und diese Offensichtlichkeit, die haben die Gerichte verneint.
Prof. Dr. Gregor Thüsing, Arbeitsrechtler
Das sei auch richtig, "weil man kann einen Streik nicht ausknipsen und wieder anknipsen nach Belieben". Die Zurückhaltung im Hinblick auf das Grundrecht sei also richtig.
Auf der anderen Seite heißt das aber auch, dass die Frage, ob ein solcher Streik tatsächlich zulässig ist, wo die Grenzen sind, durch Rechtsprechung bislang so nicht beantwortet wurde.
Prof. Dr. Gregor Thüsing, Arbeitsrechtler

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... zu einer möglichen Einflussnahme des Bundes

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) forderte im Interview mit dem ZDF einen Kompromiss. Thüsing sagt: "Der Bundesminister hat recht, es sollte eine Verhandlung stattfinden." Aber: So wie "die Bahn nicht den Streik verbieten kann, so kann auch der Eigentümer der Bahn nicht den Streik verbieten". Wissing werde jedoch keine Verhandlungen erreichen, indem er nur "in der Öffentlichkeit dazu auffordert".
Vielmehr gefragt ist der Gesetzgeber, Verantwortung in die Hand zu nehmen und ein Streikrecht zu schaffen.
Prof. Dr. Gregor Thüsing, Arbeitsrechtler
Dieses Gesetz müsse nicht für alle gelten, aber in Bereichen, die für die Öffentlichkeit besonders wichtig sind, wie etwa bei der Bahn, in Krankenhäusern oder auch Kindertagesstätten.

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Dabei gehe es darum, "dass längere Ankündigungsfristen stattfinden, dass ein Notdienst in großzügigerem Ausmaß stattfindet als bislang, vor allem die Einigung zum Notdienst einfacher wird", so Thüsing. Zusätzlich sollte ihm zufolge geregelt werden, dass es vor dem Streik zumindest den "Versuch einer Schlichtung" gegeben hat. "Da müsste der Gesetzgeber handeln" und dafür bräuchte es mehr politischen Mut.
Quelle: ZDF

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