Kommentar

: Machterhalt vor Aufklärung

von Stefan Leifert, München
03.09.2023 | 15:15 Uhr
Bayerns Ministerpräsident hat sich nicht für ein Ende mit Schrecken, sondern für einen Schrecken ohne Ende entschieden: Hubert Aiwanger soll bleiben.
Markus Söder (rechts) und Hubert Aiwanger (links) bleiben vorerst bis zur Landtagswahl in einer Schicksalsgemeinschaft.Quelle: picture alliance / SvenSimon
Markus Söder (CSU) hält an Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fest. Es ist eine taktische Entscheidung für den Machterhalt. Die Koalition ist damit vorerst gerettet, aber Söder kettet sein Schicksal damit an die Glaubwürdigkeit von Aiwanger. Ein riskanter Zug.

Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende

Markus Söder hatte nur die Wahl zwischen zwei unkalkulierbaren Risiken: Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende. Die Wahl ist auf letzteres gefallen. Mit der Entscheidung, an Hubert Aiwanger als Vize-Ministerpräsident festzuhalten, riskiert Söder die Fortsetzung der Causa Aiwanger.

Bayerns Regierungs-Chef Söder hat eine Entscheidung in der Causa Aiwanger getroffen. Der stellvertretende Ministerpräsident bleibt im Amt. Söders Statement ín voller Länge.

03.09.2023 | 08:24 min
Söder hatte tiefe Reue und "zweifelsfreie Aufklärung" in der Flugblatt-Affäre von seinem Wirtschaftsminister eingefordert. Bekommen hat er eine späte, von lauten Kampagnen-Vorwürfen übertönte Entschuldigung und Antworten auf seinen Fragenkatalog, die voller Erinnerungslücken und Ungenauigkeiten sind.

Unbefriedigende Anworten

Die Antworten seien nicht alle befriedigend, sagt Söder selbst - es sei viel Bekanntes und wenig Neues dabei gewesen. Es ist eine Entscheidung für den Machterhalt mit den Freien Wählern und gegen die selbst eingeforderte zweifelsfreie Aufklärung. Jeder Zweifel, der an Hubert Aiwangers bleibt, haftet ab nun auch an Markus Söder, der die Angelegenheit heute für abgeschlossen erklärt hat. Jeder neue Vorwurf gegen Aiwanger ist nun auch ein Problem für Söder.

Um die Aiwanger-Affäre, die Rolle der Medien darin und eine weitere mögliche Koalition mit den Freien Wählern: Darum geht es im ZDF-Sommerinterview mit CSU-Chef Markus Söder.

03.09.2023 | 02:20 min
Kaum hatte Markus Söder sein langes, abwägendes, um die richtige Entscheidung ringendes Statement abgeschlossen, ging Hubert Aiwanger gleich in den Kampfmodus über.

Vereinbarungen offenbar schnell vergessen

"Es gibt keinen Grund, mich zu entlassen, die Kampagne gegen mich ist gescheitert", postete der, der kurz zuvor mit Söder vereinbart hatte, nun Reue und Nachdenklichkeit zu zeigen, verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen und Gesten gegenüber Zentralrat der Juden und den Institutionen der Erinnerungskultur zu zeigen.
Post von Hubert Aiwanger
Schon Minuten nach der Entscheidung wollen Söders und Aiwangers Worte nicht mehr zueinander passen. Die Opfer-Inszenierung Aiwangers empört nicht nur viele in der CSU, auch bei den Freien Wählern empfindet das mancher als unappetitlich.

Empörung in Opposition groß

Bayerns Opposition witterte für ein paar Tage Morgenluft und die Aussicht auf Regierungsbeteiligung - wäre das Bündnis aus CSU und Freien Wählern geplatzt. Sollte die Bayern-Koalition bis zur Wahl halten, hat Söder Grünen, SPD und FDP nun dennoch eine große Angriffsfläche geliefert. So löchrig wie die Antworten Aiwangers auf die vielen Fragen zu seiner Schul-Vergangenheit, so groß nun die Empörung in der Opposition über Söders Entscheidung, an seinem Vize festzuhalten.

Trotz seiner Entschuldigung zu möglichen antisemitischen Verfehlungen fordert die Opposition weiter den Rücktritt Hubert Aiwangers. So kurz vor der Landtagswahl kommt die Affäre ungünstig für die Koalitionspartner.

02.09.2023 | 04:22 min
Als Wahlkampfthema ist die Flugblatt-Affäre nun gesetzt, fünf Wochen vor der Wahl in Bayern. Wem sie am Ende Stimmen bringt oder kostet, ist völlig unvorhersehbar. Erste Umfragen ergeben ein sehr gemischtes Bild, in der CSU wurden sie überrascht von vielen Stimmen, die in der Causa Aiwanger keinen Grund für dessen Entlassung sehen.

Themenarmut im Wahlkampf rächt sich

Für Söder rächt sich nun, sich so kategorisch auf die Freien Wähler als Koalitionspartner festgelegt zu haben und die Parteien der Ampel über Monate zur Wurzel allen Übels zu erklären. Seinen Handlungsspielraum in der Koalitionskrise schränkt das ein.
Auch die Themenarmut des bisherigen Wahlkampf rächt sich: die Aiwanger-Affäre füllt nun das große Vakuum aus, ausgerechnet in der entscheidenden Phase fünf Wochen vor der Landtagswahl. Söders und Aiwangers Koalition geht auf ganz dünnem Eis in die Landtagswahl am 8. Oktober.
Stefan Leifert leitet das ZDF-Studio in München

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