: Wenn eine Umarmung wie Würgen aussieht

von Sandra Susanka
04.08.2023 | 17:23 Uhr
In Mannheim will eine intelligente Kameraüberwachung Sicherheit versprechen: Gefahren sollen schneller erkannt und beseitigt werden. Doch es gibt Probleme.
Ein Polizist sitzt im Polizeipräsidium an einem Arbeitsplatz der sogenannten intelligenten Videoüberwachung. Quelle: dpa
70 Kameras sind in Mannheim an 30 strategischen Plätzen aufgestellt. Eine intelligente, algorithmenbasierte Videoüberwachung soll die Straßenkriminalität in der Stadt bekämpfen - erstmal testweise. Ursprünglich sollte der Versuch bis Ende 2023 abgeschlossen sein.
Doch dann kam die Corona-Pandemie - und verzögerte den Zeitplan. Das System habe noch Probleme, erklärt Markus Müller vom Fraunhofer-Institut Karlsruhe:
Vor allem Umarmungen kann das System momentan noch nicht so gut von Würgen unterscheiden.
Markus Müller, Leiter der Abteilung "Videoauswertesysteme" des Fraunhofer-Instituts Karlsruhe
Durch Corona konnten noch nicht genug Daten strafrechtlich relevanter Bewegungen gefunden und gespeichert werden. Und nur so kann das System basierend auf Künstlicher Intelligenz (KI) lernen, wann wirklich eine Straftat geschehen ist - und künftig Alarm schlagen.
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Künstliche Intelligenz wird weiter trainiert

Da dies in Mannheim noch nicht ausreichend funktioniert, hat das Polizeipräsidium Mannheim beim Innenministerium eine Verlängerung des Modellvorhabens beantragt. Gleichzeitig wird die Künstliche Intelligenz weiterhin mit Übungsmaterial versorgt. Markus Müller erläutert: "Wir behelfen uns mit Mitarbeitern, Studenten oder öffentlich zugänglichem Bildmaterial, um die KI mit den nötigen Bildern zu trainieren".
Im Endausbau sollen die installierten Kameras relevante Daten über Glasfaserkabel direkt an das Polizeipräsidium Mannheim schicken. Innerhalb von zwei Minuten sei dann eine Streife vor Ort, meint Müller. "Wir können nicht den ersten Schlag verhindern, aber die Eskalation".

Kritik am Mannheimer Pilotprojekt

58 Prozent der Mannheimerinnen und Mannheimer fühlen sich durch den Videoschutz sicherer, so das Ergebnis einer Sicherheitsbefragung der Stadt Mannheim in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg von 2022.
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Die Grünen-Fraktion im Mannheimer Gemeinderat sah das Pilotprojekt dagegen von Anfang an kritisch. "Videoüberwachung bedeutet auch immer einen Eingriff in Grundrechte, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung", sagt Christina Eberle, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen in Mannheim.
Deshalb muss hinterfragt werden, ob der Ausbau der Videoüberwachung tatsächlich messbar positive Effekte auf die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsempfinden hat.
Christina Eberle, Bündnis 90/Die Grünen
Es sei fraglich, ob die Videoüberwachung tatsächlich zu einem Rückgang der Kriminalität führe, oder ob es zu einer Verlagerung in nicht überwachte Bereiche komme. Auch in puncto subjektives Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger und könne eine Kamera niemals Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte vor Ort ersetzen, findet Christina Eberle.
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Mannheim: Datenschutz bei Videoüberwachung

Der Anspruch an den Datenschutz ist hoch. Die Beamtinnen und Beamten sehen erst einmal nur Strichfiguren auf den Bildschirmen, die keine Identität haben - aus Schutz vor Diskriminierung.
Ein echtes Bild (Klarbild) erscheint nur, wenn die Künstliche Intelligenz eine polizeirelevante Aktivität erkennt. Zum Beispiel, wenn das System Schläge wahrnimmt oder Haltungen, die auf Waffengebrauch hinweisen. Doch auch dann ist eine Einschätzung der Lage nicht immer einfach, weil auf dem Bild auch kein Ton ist. Markus Müller betont:
Am Ende entscheidet letztlich immer der Mensch, ob eine Polizeistreife rausgeschickt wird oder eben nicht.
Markus Müller, Leiter der Abteilung "Videoauswertesysteme" des Fraunhofer-Instituts Karlsruhe

Weitere Städte wollen auf intelligente Videoüberwachung setzen

Die deutsche Polizeigewerkschaft will sich für die Verlängerung des "Erfolgskonzeptes" einsetzen - auch wenn das System in Mannheim noch nicht ausgereift ist. Der baden-württembergische Landeschef Ralf Kusterer plädiert sogar für einen schnelleren Ausbau. Dadurch werde verhindert, dass Kriminelle sich neue Orte suchen würden, die nicht videoüberwacht seien. Dank der neuen Technik müssten die Monitore außerdem nicht durchgehend beobachtet werden und dadurch könne Personal eingespart werden, so Kusterer.
Bei den Olympischen Spielen 2024 soll in Frankreich eine umstrittene KI-Überwachung zum Einsatz kommen:
Mittlerweile zeigen auch andere Kommunen Interesse an dem Instrument der Verbrechensbekämpfung - darunter die Stadt Heidelberg. In Hamburg läuft derzeit eine dreimonatige Testphase. Damit die Projekte erfolgreich sind, wird die KI aber noch dazulernen müssen - zum Beispiel den Unterschied zwischen Umarmung und Würgen.
Quelle: Mit Material von dpa

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