: Dienstjahr, Wehrpflicht: Brauchen wir das?

von Michael Kniess
05.03.2023 | 18:49 Uhr
Ein verpflichtendes Jahr für alle in Uniform oder Zivil - die Debatte darüber wird kontrovers geführt. Ein Gewinn für die Gesellschaft oder unzumutbar für junge Menschen?
Die Politik denkt über ein verpflichtendes allgemeines Dienstjahr nach.Quelle: dpa
Geht es um die Einführung eines allgemeinen Dienstjahres, findet Simon Schnetzer klare Worte. Die Debatte ist für den Jugendforscher - zumindest derzeit - nichts Geringeres als eine "Frechheit" den jungen Menschen gegenüber: "Diejenigen, die es betreffen würde, blicken zurück auf drei von der Corona-Pandemie geprägten Jahre, in denen sie nicht am sozialen Leben teilhaben durften."
Und weiter: "Nun können sie das, was sie bislang in ihrer Jugend verpasst haben, endlich nachholen, sollen aber noch auf ein weiteres Jahr verzichten, indem sie zu einem solchen Dienst verpflichtet werden."
Das ist abermals gestohlene Zeit.
Simon Schnetzer, Jugendforscher

Keine Antwort auf den Fachkräftemangel

Dennoch sieht Simon Schnetzer auch den Wert für die Gesellschaft und die Chancen, die ein solches Jahr grundsätzlich bieten kann: "Ich habe selbst Zivildienst geleistet und mir hat dieses Jahr zwischen Schule und dem nächsten Schritt, in dem man sich orientieren kann, sehr gutgetan."
Für den studierten Volkswirt gibt es trotz allem ein weiteres Problem. Er gibt zu bedenken, dass gerade der soziale Bereich mit einem massiven Personalmangel kämpfe und Sozialdienstleistende oft viel stärker eingespannt würden, als es vorgesehen und gut für sie sei.
Ulrich Lilie kritisiert darüber hinaus, dass eine solche Dienstverpflichtung keine Antworten auf die drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen, wie den Fachkräftemangel im sozialen Bereich, gebe:
Ein Ehrenamtlicher kann kein Ersatz für professionell ausgebildete Fachkräfte sein. Wer das behauptet, wertet soziale Berufe ab.
Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland
Für den Präsidenten der Diakonie Deutschland wird bei der Debatte außerdem übersehen, dass die rund 500.000 jungen Menschen, die von einer Dienstpflicht betroffen wären, von hauptamtlichen Kräften angelernt, begleitet und betreut werden müssten.

Pflicht hin oder her: Umdenken ist nötig

"Die Befürworter*innen eines Pflichtdienstes ignorieren zudem die lange Zeit bis zu seiner möglichen Umsetzung, die hohen verfassungsrechtlichen Hürden sowie die immensen Kosten, die durch ein solches Dienstjahr entstehen würden", so der evangelische Theologe weiter. Überhaupt ist für ihn ein Pflichtdienst kein überzeugender Weg, Menschen nachhaltig dafür zu begeistern, sich für das Wohl anderer einzusetzen.
Staat und Zivilgesellschaft sollten vielmehr alles dafür tun, freiwilliges, soziales Engagement attraktiver zu gestalten und zu fördern.
Auch Simon Schnetzer plädiert, Pflicht hin oder her, mit Verweis auf seine Jugendstudien für ein solches Umdenken. Für den nachhaltigen Erfolg eines allgemeinen Dienstjahres ist es aus Sicht des Jugendforschers wichtig, diesem einen echten Mehrwert zu geben, statt es bloß verpflichtend zu machen. Dasselbe gilt für den Dienst an der Waffe.
Seine jüngste Erhebung kommt zu dem Ergebnis, dass das Gros die Wiedereinführung des Wehrdienstes zwar nach wie vor ablehnt, sich vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs jedoch eine Tendenzverschiebung abzeichnet. "Das ändert auch die Einstellung gegenüber der Sinnhaftigkeit und der Relevanz vom Wehrdienst."

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Otte: Bundeswehr würde profitieren

Henning Otte, CDU-Verteidigungspolitiker und Vize-Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, plädiert für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle - statt der Wiedereinführung der Wehrpflicht nach altem Muster: "Bei einer Geburtenrate von über einer halben Million jährlich würde es wenig Sinn ergeben, wenn alle jungen Frauen und Männer zum Wehrdienst verpflichtet würden."
Im dafür nötigen Ausbau der Infrastruktur und im durch die Ausbildung gebundenen Personal sieht Henning Otte eine zu hohe Mehrbelastung für die Truppe. Aus Sicht des CDU-Bundestagsabgeordneten würde stattdessen auch die Bundeswehr von der allgemeinen Dienstpflicht und der damit verbundenen Wahlmöglichkeit zwischen Wehrdienst, Ehrenamt, Einsatz im Blaulichtbereich und Co. profitieren.
Personal könne so zielgerichteter nach Eignung und Befähigung eingesetzt und damit die Einsatzstruktur besser ausgefüllt werden. Henning Otte betont:
Die Idee von uns als CDU mit dem verpflichtenden Gesellschaftsjahr ist es, neben der Persönlichkeitsentwicklung eine stärkere Bindung zum eigenen Staat zu entwickeln und etwas für das Land zu tun, statt bloß Institutionen zu stärken.
Henning Otte, CDU

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