: Autofahren Ü70: Selbsteinschätzung oder Test?

von Torben Heine
18.06.2023 | 18:37 Uhr
Der Europäische Rat verhandelt über eine geplante Führerscheinreform. Die Kommission empfiehlt den Staaten Selbsteinschätzungen oder regelmäßige Tests für Ü70-Jährige.
Ältere Autofahrer sollen regelmäßig Fahrfähigkeitstests ablegen.Quelle: dpa
Einmal geprüft, lebenslang fahren. Anders als in anderen EU-Ländern kann sich in Deutschland jeder, der einen Führerschein hat, ohne weiteres auch im höheren Alter hinter das Steuer setzen.
Das will die EU-Kommission ändern. Ihr Vorschlag: Menschen - egal welchen Alters - sollen alle 15 Jahre ihre Führerscheine erneuern müssen, sofern sie nach dem 19. Januar 2013 ausgestellt wurden. Dafür sollen sie eine Selbtsteinschätzung abgeben oder zum Fahrtauglichkeits-Check. Die Entscheidung darüber liegt allerdings bei den Mitgliedsstaaten. Menschen die über 70 Jahre alt sind, sollen alle fünf Jahre eine Erneuerung machen bzw. das jeweilige Verfahren durchlaufen.

Sind Senioren eine Gefahr im Straßenverkehr?

Die Reformbefürworter argumentieren, dass im Alter die Reaktionszeit länger und die Sehfähigkeit schlechter wird. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen jedoch: Ältere Menschen sind, gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, sogar seltener in Verkehrsunfälle verstrickt als jüngere.

Anmerkung der Redaktion

Die EU-Kommission überlässt laut den Plänen den Mitgliedsstaaten die Entscheidung über die Umsetzung, auch ob Tests verpflichtend oder freiwillig sind. Der Beitrag wurde diesbezüglich präzisiert und ergänzt.
Im zuletzt untersuchten Zeitraum 2021 waren 14,5 Prozent der Unfallbeteiligten 65 Jahre oder älter; diese Altersgruppe macht 22,1 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die verhältnismäßig geringen Unfallzahlen können zumindest teilweise damit begründet werden, dass viele Ältere nicht mehr regelmäßig am Verkehr teilnehmen oder, dass sie freiwillig auf ein Auto verzichten.
Anders sieht es aus bei der Zahl der Verkehrstoten: Ihre Zahl ging insgesamt stark zurück. Bei den Senioren sank sie in den vergangenen Jahren aber nur langsam:
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Und: Ältere PKW-Fahrer tragen bei Verkehrsunfällen in mehr als zwei Drittel der Fälle die Hauptschuld.

Verkehrspolitiker: EU-Pläne sind Altersdiskriminierung

Bereits im Frühjahr hatte sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in der "Bild am Sonntag" gegen Führerscheinreformpläne dieser Art positioniert:
Von der Idee, dass sich Senioren ab einem bestimmten Alter ohne weiteren Anlass regelmäßig einem Tauglichkeitstest unterziehen müssen, halte ich gar nichts.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP)
Die Unfallstatistik lasse nicht darauf schließen, dass ein höheres Risiko von Senioren ausgehe, so Wissing.
Ähnlich äußert sich Thomas Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Pläne der EU-Kommission gingen "meilenweit" an der Lebenswirklichkeit der Senioren vorbei. Denn ältere Menschen führen umsichtiger und brächten Erfahrung mit.
Zudem seien sie durch regelmäßige Arztbesuche gut über ihre Beeinträchtigungen informiert und kämen gegebenenfalls selbst zu der Erkenntnis, den Führerschein freiwillig abzugeben.
Eine anlasslose Überprüfung alle fünf Jahre wäre in keinster Weise verhältnismäßig und führt nur zu staatlich verordneter Altersdiskriminierung.
Thomaß Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

ADAC und TÜV-Verband werben für freiwillige Tests

Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) lehnt verpflichtende Tests für bestimmte Altersgruppen ebenfalls ab. "Auch wenn individuelle Leistungseinbußen möglich sind, kann allein vom Alter her nicht pauschal auf die Fahreignung geschlossen werden", heißt es.
Der ADAC unterstütze, wie auch der TÜV-Verband, stattdessen einen freiwilligen Fahrtauglichkeitstest, der eine Rückmeldung zur Fahrkompetenz im eigenen PKW ermögliche, ohne den Verlust der Fahrerlaubnis fürchten zu müssen. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) fordert ein ähnliches Angebot für Ü75-Jährige, will es aber verpflichtend eingeführt sehen.
Mit freiwilligen Tests ist für die Verkehrssicherheit gar nichts getan.
Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) wiederum hatte 2019 empfohlen, freiwillige Verkehrssicherheitsmaßnahmen "aus Akzeptanzgründen" zu bevorzugen. Nun heißt es jedoch, das Thema werde im Verband seit dem EU-Reform-Vorschlag "sehr kontrovers diskutiert" - Ausgang noch offen.

Ratspräsidentschaft unterbreitet Kompromissvorschlag

Über den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission verhandelt aktuell der Europäische Rat. Laut Verkehrsministerium tritt Deutschland hierbei für Gesundheitstests nur bei Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für körperliche oder geistige Fahreignungsmängel ein, festgestellt durch ausreichend qualifiziertes Personal.
Möglicherweise kommt aber auch der von der EU-Kommission eingebrachte Vorschlag, dass bei Neubeantragung eines Führerscheins eine Selbsteinschätzung der körperlichen und geistigen Tauglichkeit abgegeben werden müsse.
Dass der "Führerschein-TÜV" für Senioren tatsächlich verpflichtend wird, ist - aufgrund der überwiegenden Kritik hierzulande - derzeit unwahrscheinlich.

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