: Streikwelle lähmt Großbritannien

20.12.2022 | 10:49 Uhr
Frohes Fest? Nicht in Großbritannien: Keine Weihnachtspost, kein Verwandtenbesuch, keine Notaufnahme - und Reisenden drohen lange Schlangen an der Passkontrolle. Ein Land streikt.
So könnte es ab Heiligabend wieder an britischen Bahnhöfen aussehen, Züge sollen ab da bestreikt werden. (Bild: Bahnhof Euston, London)Quelle: dpa
Rund um die Festtage gibt in Großbritannien der Streik-Kalender den Takt vor. Es gibt kaum einen Tag, an dem nicht in irgendeiner Branche aus Protest gegen niedrige Löhne und schlechte Bedingungen die Arbeit ruht.

Einreise zum Jahresende mit Hürden

Das öffentliche Leben steht still, die Streiks bremsen das Land aus. Man kann den Streik-Kalender willkürlich öffnen, irgendwas findet sich bestimmt: Am heutigen Dienstag ist es erneut das Klinikpersonal, am Mittwoch streiken die Rettungswagenfahrer.
Von Freitag an gehen die Grenzbeamten in den Ausstand - bis Silvester dürfte es lange Warteschlagen bei der Einreise geben, teilweise werden wohl Flüge gestrichen.
Von Heiligabend an fahren dann tagelang mal wieder kaum Züge, auch beim Eurostar zwischen London und der EU könnte es zu Problemen kommen. Ohne Auto die Verwandten zum Festschmaus zu besuchen, dürfte so gut wie unmöglich werden.
Streiks gibt es seit Monaten immer wieder bei der Royal Mail. Ganze Straßenzüge erhalten derzeit höchstens einmal die Woche Post. Bergeweise liegen Briefe und Päckchen in den Depots. Und auch die Pflegekräfte des Gesundheitsdiensts NHS streiken, zum ersten Mal in ihrer Geschichte.

Fronten sind verhärtet

Damit wollen sie auch Bewusstsein schaffen für die katastrophale Situation, die viele Menschen trifft. Mehr als sieben Millionen Menschen warten auf Routineeingriffe, Notärzte brauchen deutlich länger als geplant, und vor den Notaufnahmen stauen sich die Krankenwagen.
Aussicht auf Besserung: Fehlanzeige. Die Fronten sind verhärtet. Miteinander geredet wird kaum, das liegt auch an den tiefen ideologischen Gräben. "Die Gewerkschaften stehlen uns Weihnachten", klagt die konservative Presse.
Ich bin wirklich enttäuscht, dass die Gewerkschaften zu diesen Streiks aufrufen, vor allem an Weihnachten, vor allem wenn es solche Folgen für den Alltag der Menschen hat.
Rishi Sunak, britischer Premier

In Großbritannien findet der Streik der Krankenschwestern des NHS statt. Gründe: schlechte Bezahlung, wenig Personal. Nicht der einzige Streik, der demnächst auf das Land zukommt.

15.12.2022 | 01:54 min

Labour-Partei im Aufwind

Die Regierung betont regelmäßig, es sei einfach kein Geld mehr da nach den Corona-Hilfen. Die Regierung wird von Tory-Hardlinern vor sich hergetrieben, die möglichst wenig staatliche Eingriffe wollen und die Vorzüge des Kapitalismus predigen.
Die Gewerkschaften wiederum stehen klar auf Seite der oppositionellen Labour-Partei, die erstmals seit vielen Jahren wieder die Chance auf einen Machtwechsel wittert.
Die Einkommen von Familien wurden durch steigende Rechnungen und mehr als ein Jahrzehnt niedriger Löhne geschreddert.
Frances O'Grady, Vorsitzende Gewerkschaftsbund TUC
So erklärt Frances O'Grady, Chefin des Gewerkschaftsbundes TUC, ihre Unterstützung für die Streiks. Verantwortlich dafür sei die verfehlte Tory-Politik.

Inflation hoch wie seit Jahrzehnten nicht

Dass der Konflikt nicht einfach zu lösen ist, liegt auch daran, dass Großbritannien in einer heftigen Wirtschaftskrise steckt. Die Inflation ist mit rund elf Prozent so hoch wie seit 40 Jahren nicht, die hohen Preise für Lebensmittel und Energie stürzen Millionen Menschen in Armut.
Laut einer TUC-Studie werden 2022 die Reallöhne um drei Prozent sinken - so viel wie seit 1977 nicht mehr. Von einer "Schande" spricht TUC-Chefin O'Grady.

Brexit verstärkt Probleme

Großbritannien steht mit diesen Problemen nicht alleine da, auch in Deutschland rechnen Volkswirte mit einer Rezession. Weltweit hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine schwere Folgen ausgelöst. Doch scheint Großbritannien noch stärker getroffen zu werden. Das liegt auch am Brexit, wie Experten betonen.
Der Warenaustausch mit dem wichtigsten Handelspartner, der EU, ist eingebrochen. Der Fachkräftemangel hat sich ohne Arbeiter aus der EU noch verstärkt. Die Realität widerspricht allen Szenarien, die die Brexit-Befürworter einst in Aussicht gestellt hatten.
Inzwischen hält mehr als die Hälfte der Bevölkerung den EU-Austritt für einen Fehler. Die Regierung um Premier Sunak, einen Brexiteer, will davon nichts wissen. Ihr Mantra: Die Probleme seien alle durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine entstanden.
Quelle: Benedikt von Imhoff, dpa

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