: Henry Kissinger wird 100 Jahre alt

27.05.2023 | 07:01 Uhr
Von den einen verehrt, von den anderen verachtet: Ex-US-Außenminister Henry Kissinger gehört zu den prägendsten Personen des 20. Jahrhunderts. Heute wird er 100 - ein Rückblick.

Der frühere US-Außenminister und Diplomat Henry Kissinger feiert heute seinen 100. Geburtstag. Er ist Friedensnobelpreisträger, gilt als Realpolitiker und ist nicht unumstritten.

27.05.2023 | 02:12 min
Henry Kissinger ist vielleicht der berühmteste Diplomat in der Geschichte der USA. Lange, nachdem sich der Deutschamerikaner aus der Politik zurückgezogen hat, suchten Spitzenpolitiker noch seinen Rat. Und noch heute teilt Kissinger gern seine Meinung zu unterschiedlichen internationalen Themen mit der Welt.
Doch der ehemalige US-Außenminister ist eine kontroverse Figur. Loben ihnen die einen als brillanten Realpolitiker mit Verhandlungsgeschick, sehen ihn andere als skrupellosen Machtmenschen - ja gar als Kriegsverbrecher.
Kissinger ist mittlerweile schwerhörig und auf einem Auge blind. Er hat mehrere Herzoperationen hinter sich. Doch geistig ist er immer noch topfit - auch wenn er seine Gedanken langsam und manchmal schwer verständlich formuliert.

Henry Kissinger ...

Quelle: epa
... wurde am 27. Mai 1923 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in Fürth geboren. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wanderte die Familie 1938 in die USA aus und lebte in New York. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte Kissinger zunächst in den Ardennen und kam 1945 als Angehöriger des Counter Intelligence Corps nach Deutschland. Dort leitete er eine Spionageabwehr-Einheit in Bensheim und war Lektor an der US-Agentenschule in Oberammergau.

Nach seiner Promotion ...

... unterrichtete er bis 1969 in Harvard und erwarb sich einen Ruf als Spezialist für internationale, besonders europäische Politik. 1969 holte ihn der republikanische Präsident Richard Nixon als Sicherheitsberater ins Weiße Haus. Später wurde er gleichzeitig Außenminister - und blieb zumindest letzteres auch unter Nixons Nachfolger Gerald Ford.

Die sogenannte Pendeldiplomatie ...

... wurde von Kissinger geprägt. Er reiste zwischen Hauptstädten hin und her und verhandelte zwischen Konfliktparteien. Als Außenminister war er eine Art Berühmtheit, bekannt für sein Machtbewusstsein und seine Frauengeschichten.

Kissingers Außenpolitik: Rüstungsbegrenzung und Friedensstifter

Kissinger hat viele Erfolge vorzuweisen. Er suchte Entspannung mit China und der Sowjetunion, stiftete Frieden in Nahost, bemühte sich um Abrüstung. So fädelte er in Geheimgesprächen in der damaligen UdSSR das erste Abkommen zur strategischen Rüstungsbegrenzung (SALT I) ein.
Zudem handelte er 1973/74 das Ende des Jom-Kippur-Krieges im Nahen Osten aus. Es sind beeindruckende Errungenschaften. Für viele gilt Kissinger bis heute als außenpolitisches Genie.

Kritiker werfen ihm Unterstützung von Diktatoren vor

Das ist die eine Seite der Geschichte. Kritiker sehen in ihm allerdings einen Machtpolitiker ohne Moral, der auch Diktaturen unterstützte - solange es nur seinen Interessen nützte. Dabei, so der Vorwurf, habe der Zweck die Mittel geheiligt.
Er galt damals als zunehmend selbstherrlich und verschlossen. In einem Interview aus dem Jahr 1972 verglich er sich mit einem Cowboy, der allein voran reitet und die Kolonne anführt. Später bereute er diese Worte.

Umstrittener Friedensnobelpreisträger Kissinger

Neben den außenpolitischen Erfolgen gibt es eine ganze Liste an Kriegen und Krisen, in denen Kissinger eine mindestens zweifelhafte Rolle spielte. Da ist zum einen der Vietnamkrieg: Kissinger soll 1968 einen nahen Friedensschluss verhindert haben, um Nixon zum Wahlsieg zu verhelfen.
1973 mündeten seine jahrelangen Geheimverhandlungen mit dem nordvietnamesischen Unterhändler Le Duc Tho schließlich in einen Friedensvertrag. Beiden wurde der Friedensnobelpreis zugesprochen - obwohl der Krieg noch bis 1975 weiterging. Kissinger nahm den Preis an, Le Duc Tho nicht.
Umstritten ist, welche Rolle Kissinger konkret bei der geheimen Bombardierung Kambodschas während des Vietnamkriegs spielte. Kritiker werfen ihm vor, dass die Folgen seines Vorgehens der Roten Khmer in dem Land in Südostasien zur Macht verholfen haben.

Keine Reaktion Kissingers auf Vorwürfe zu seiner Person

Auch die Unterstützung der blutigen Invasion Indonesiens in Osttimor 1975 ist ein dunkler Fleck in Kissingers außenpolitischer Karriere. Zusammen mit dem US-Geheimdienst CIA soll Kissinger 1973 außerdem in den blutigen Putsch von General Augusto Pinochet gegen Chiles gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende verstrickt gewesen sein. Kissinger erhielt Vorladungen von Gerichten in verschiedenen Ländern, erschien aber nie.
Von den Vorwürfen gegen ihn will er bis heute nichts wissen. Auf die Kritik - und speziell Kambodscha - angesprochen, reagierte er in einem Interview für das US-Fernsehen ungehalten. Das Thema der Sendung sei doch, dass er 100 Jahre alt werde, schimpfte er. Und nun komme man mit einer 60 Jahre alten Sache um die Ecke. Die jüngere Generation, die ihn verurteilt, stellte er als ignorant dar.

Ex-Außenminister noch heute ein gefragter Redner

Nach Nixons Rücktritt blieb Kissinger Außenminister - die politische Bühne verließ er dann nach dem Amtsantritt des demokratischen Präsidenten Jimmy Carter 1977. Doch der Rückzug aus der aktiven Politik bedeutete für Kissinger nicht, sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen.
Er gründete eine Beraterfirma, schrieb mehrere Bücher und ist trotz seines hohen Alters bis heute ein gefragter Redner, wenn es um außenpolitische Einschätzungen geht.
Quelle: Von Julia Naue, dpa

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