: Lässt der Iran Kopftuch-Verstöße ohne Strafe?

von Jörg Brase, Teheran
21.10.2022 | 19:28 Uhr
Die iranische Staatsmacht steht unter Druck und macht Zugeständnisse. Um die Lage zu beruhigen, werden Verstöße gegen den Kopftuchzwang aktuell nicht bestraft.
Seit dem Tod der Iranerin Mahsa Amini demonstrieren Menschen im Iran für mehr FreiheitQuelle: epa
Sepideh ist Studentin, Mitte 20, und sitzt in einem Café im Norden der iranischen Hauptstadt Teheran. Sepideh hat ihr Kopftuch abgelegt und liest entspannt ein Buch. Von Tag zu Tag sieht man immer mehr Frauen, die sich wie Sepideh offen auf den Straßen ohne Hijab zeigen, und die das in voller Absicht und sehr selbstbewusst tun.
Ich fände es schön, wenn wir von nun an selbst entscheiden könnten, ob wir den Hijab tragen wollen oder nicht.
Sepideh, Studentin
Ja, auch sie sei unzufrieden mit dem Regime und wolle einen Wechsel, wie die große Mehrheit im Land. "Aber ich sehe keinen Sinn darin, auf die Straße zu gehen und das Regime zu provozieren," meint Sepideh, "wir müssen andere Wege finden, damit es Verbesserungen gibt."
Vor der Kamera äußern will sie sich nicht. Das sei zu gefährlich, sagt sie. Auch sie hat Angst vor Repressionen, wenn sie mit ausländischer Presse redet.

Jörg Brase...

ist seit fünf Jahren als Leiter der ZDF-Korrespondentenstelle Istanbul auch für die Berichterstattung aus dem Iran zuständig. In Teheran unterhält das ZDF ein Büro mit vier iranischen Mitarbeitern. Jörg Brase und das Team vor Ort sind beim Ministerium für Kultur und islamische Führung (Ershad) akkreditiert, wie viele andere ausländische Medienteams auch. Mit dieser Akkreditierung reist Jörg Brase regelmäßig in den Iran, zuletzt Mitte Oktober, um über die Proteste zu berichten.

Warum ist die Arbeit für Journalisten in Iran so schwierig?

Die Arbeit wird von iranischen Behörden überwacht - auch die des ZDF-Teams. In der Vergangenheit wurde ZDF-Mitarbeitern aufgrund der kritischen Berichterstattung bereits die Pressekarte entzogen. Jörg Brases ZDF-Bericht über Frauen, die ohne Kopftuch auf der Straße unterwegs sind, war der erste Bildbericht eines deutschsprachigen Mediums aus dem Land selbst über die Proteste in Iran. Die iranischen Behörden drohen nun mit Konsequenzen für das ZDF-Büro in Teheran.

Iranisches Regime verbreitet weiter Angst und Schrecken

Das Regime im Iran versteht es, auch weiterhin Angst und Schrecken zu verbreiten. Jüngstes Beispiel ist der Fall der Klettersportlerin Elnaz Rekabi. Bei der Asienmeisterschaft in Seoul trat sie ohne den Sport-Hijab an, wurde dafür von den Protestierenden als Heldin gefeiert, um kurz darauf zu erklären, es sei alles ein Missverständnis und sie habe nie vorgehabt, ohne Kopftuch zu klettern.

Strenge Kleidungsvorschriften im Iran

Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten im Iran strenge Kleidungsvorschriften. Insbesondere in den Metropolen sehen viele Frauen die Regeln inzwischen aber eher locker und tragen beispielsweise ihr Kopftuch nur auf dem Hinterkopf - zum Ärger erzkonservativer Politiker. Religiöse Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger anwenden zu lassen.
Die meisten sind überzeugt, dass dieses Dementi nur unter Druck zustande gekommen sein kann.

Immer mehr Frauen sind ohne Hijab unterwegs

Auf der anderen Seite versucht die Regierung, dem Druck der Straße durch vermeintliche Lockerungen zu begegnen. So scheint es, dass die Sittenpolizei angewiesen wurde, im Moment Verstöße gegen den Kopftuchzwang nicht zu ahnden. So bleiben Frauen wie Sepideh unbehelligt, wenn sie sich auf der Straße oder in Cafés ohne Kopftuch zeigen. Auch in den Autos sitzen immer mehr Frauen ohne Hijab.
Früher bekamen sie dafür später eine Warnung der Sittenpolizei per SMS auf ihre Handys und im Wiederholungsfall eine Vorladung der Sittenpolizei zu einer Unterweisung in der islamischen Kleiderordnung. Solche Nachrichten bleiben in diesen Tagen aus.

Iranischer Journalist glaubt an dauerhafte Lockerung

Der Chef der Zeitung "Haber Online", Mohammad Mohajeri, glaubt, dass es sich um eine dauerhafte Lockerung handeln könnte. "Die Regierung will nicht, dass die Hijab-Frage zu einer großen Herausforderung wird", meint der Journalist, der dem konservativen Lager angehört.
Selbst ohne die Proteste hätte die Regierung zukünftig wohl einen weniger strikten Kurs in der Hijab-Frage gefahren.
Mohammad Mohajeri, Chef der Zeitung "Haber Online"

Die iranische Regierung stehe nach all den Wochen des Protests unter Druck und scheine jetzt Dialogbereitschaft anzubieten, berichtet ZDF-Korrespondent Jörg Brase aus Teheran.

16.10.2022

Wie die Regierung die Protestbewegung kontrollieren will

Dazu passt eine Ankündigung des Generalgouverneurs der Provinz Teheran, Mohsen Mansouri, dass beabsichtigt sei, in der Hauptstadt drei Zonen auszuweisen, in denen genehmigte Demonstrationen stattfinden dürften. Dass jene, die in diesen Tagen gegen das Regime auf die Straßen gehen, dieses Angebot annehmen werden, darf bezweifelt werden.
Sie werden den Plan als Versuch werten, die Protestbewegung besser kontrollieren zu können und weiter zu Demonstrationen an selbstgewählten Orten aufrufen.

Führender Geistlicher unterstützt Lehrergewerkschaft

Die Zahl der Teilnehmer an diesen Veranstaltungen nimmt allerdings seit rund zwei Wochen immer weiter ab. Stattdessen sieht man kleinere Aktionen des zivilen Ungehorsams, Frauengruppen ohne Kopftuch, die Parolen skandieren, Hupkonzerte auf den Straßen, Mietshäuser, aus denen "Tod dem Diktator"-Rufe zu hören sind, junge Männer, die Klerikern den Turban vom Kopf schlagen.
Nun hat auch eine Lehrergewerkschaft zum Streik aufgerufen, um gegen die Tötung Minderjähriger durch die Sicherheitskräfte zu demonstrieren. Unterstützung erfahren sie jetzt auch von einem der führenden Geistlichen des Landes. "Das Volk hat das Recht, das Oberhaupt der muslimischen Gesellschaft zu kritisieren," meinte Ayatollah Alawi-Borujerdi und fordert Gnade für die Festgenommenen. Es ist ein Wort mit Gewicht.

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