: Missbrauch: Kirche zu Schadenersatz bereit

von Michael Haselrieder, Jutta Sonnewald
25.01.2023 | 17:17 Uhr
Die Katholische Kirche ist bereit, einem ehemaligen Messdiener Schmerzensgeld wegen sexuellen Missbrauchs zu zahlen. Den Fall in Bayern hatten das ZDF und Correctiv aufgedeckt.
Das Kreuz eines Grabsteins ragt vor der katholische Kirche St. Nikolaus in Garching in den Himmel.Quelle: dpa
Andreas Perr kann sich an diesen Sommertag noch genau erinnern, obwohl es fast 30 Jahre her ist. Er war damals Messdiener im bayerischen Garching an der Alz. Ein Freund hatte ihm erzählt, dass sie sich bei Pfarrer Peter H. Geld verdienen könnten, erinnert sich Andreas Perr im Interview mit dem ZDF.
In der Pfarrwohnung bekamen die beiden Jungen erst Limo. Dann habe der katholische Pfarrer einen Pornofilm gestartet:
Er hat uns animiert, zu onanieren. Er hat das dann auch bei meinem Freund und bei mir gemacht. Ich habe gesagt, dass ich das nicht will.
Andreas Perr, Missbrauchsopfer
Der Missbrauch habe sein Leben ruiniert, sagt Andreas Perr. Nach der Erfahrung in der Pfarrwohnung ist er von zu Hause ausgerissen, rutschte ab ins Drogenmilieu.
Andreas Perr klagt wegen Missbrauch gegen die Katholische KircheQuelle: ZDF
Doch Andreas Perr will sich nicht länger verstecken und offen über alles reden. Im vergangenen Jahr hat der 38-Jährige Klage beim Landgericht Traunstein eingereicht - gegen seinen damaligen Pfarrer, gegen die Erzdiözese München und Freising und auch gegen den nun verstorbenen, ehemaligen Papst Benedikt XVI.
Ich finde, dass die Kirche endlich Verantwortung übernehmen muss und dass die Täter nicht länger von den Kirchenoberhäuptern gedeckt werden.
Andreas Perr, Missbrauchsopfer

Erdiözese München und Freising verzichtet auf Verjährung

In dem Verfahren ist Andreas Perr jetzt einen großen Schritt weitergekommen: Die Erzdiözese München und Freising hat in ihrer Klageerwiderung darauf verzichtet, sich auf Verjährung zu berufen.
Sie sei bereit, "zur Anerkennung des Leids des Klägers ein angemessenes Schmerzensgeld zu leisten und für darüber hinausgehende Schadensersatzbegehren eine angemessene Lösung zu finden", heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung. Das Leid, das der Kläger und andere Missbrauchsbetroffene erlitten hätten, bedaure die Erzdiözese "zutiefst".

Hoffnung auf Gerechtigkeit für alle Opfer von Missbrauch

Andreas Perrs Anwalt sieht in der Entscheidung einen Erfolg: "Die katholische Kirche hat jetzt die Chance, durch eine Schmerzensgeldzahlung in der richtigen Höhe allen Opfern des sexuellen Missbrauchs Gerechtigkeit und eine echte Anerkennung zukommen zu lassen" sagt Rechtsanwalt Andreas Schulz dem ZDF.
Die Initiative "Sauerteig" aus Garching an der Alz, die den Kläger auch finanziell unterstützt, ist "froh und erleichtert": "Wir möchten diese Entscheidung als Signal verstehen, dass sich die Kirche für eine großherzige und umfassende Entschädigung entscheidet", sagt Rosi Mittermeier, eine der Gründerinnen der Initiative.

Mitverantwortung der Geistlichen wird nun vor Gericht geklärt

Die katholische Kirche muss sich nun dem Zivilverfahren am Landgericht Traunstein stellen. Darin soll auch geklärt werden, welche Mitverantwortung die Kirchenoberen für die Missbrauchsfälle haben.
Pfarrer Peter H. war Anfang der 1980er Jahre aus Nordrhein-Westfalen in die Erzdiözese München und Freising versetzt worden, obwohl es zuvor Missbrauchsvorwürfe gegeben hatte. Münchner Erzbischof war damals Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI.

Die Kirche und der Missbrauch

18.02.2020 | 11:28 min
Selbst als Pfarrer H. nach weiteren Taten rechtskräftig wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden war, wurde er ein weiteres Mal versetzt: nach Garching an der Alz. Das ZDF-Magazin frontal und das Recherchezentrum Correctiv hatten Anfang 2020 aufgedeckt, dass Pfarrer Peter H. auch in Garching wieder Jungen missbrauchte. Einer von ihnen war Andreas Perr.
Nach dem Tod des emeritierten Papstes ruht derzeit das Verfahren gegen diesen, bis ein Rechtsnachfolger bestimmt ist. Das Verfahren gegen die anderen Beklagten läuft weiter. Als Termin für eine mündliche Verhandlung hat das Traunsteiner Landgericht den 28. März vorgeschlagen.
Jutta Sonnewald ist Redakteurin im ZDF-Landesstudio Bayern in München. Michael Haselrieder arbeitet in der Redaktion des ZDF-Magazins frontal in Berlin.

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