: Krim: Wie realistisch ist eine Rückeroberung?

von Katja Belousova
17.03.2023 | 10:04 Uhr
Russlands Invasion in der Ukraine begann schon vor 2022 - und zwar auf der Krim. Kiew will die Halbinsel zurückerobern. Doch ist das realistisch? Was Experten sagen.
Putins Rede zur Lage der Nation wurde im Februar auch im russisch besetzten Sewastopol auf der Krim übertragen.Quelle: dpa
Wer die Hintergründe des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verstehen will, kommt an einem Ereignis nicht vorbei: der russischen Annexion der Krim im März 2014. Dieser Schritt war ein Vorbote dafür, was erst dem Donbass - und dann weiten Teilen der Ukraine bevorstehen sollte.

Die Krim

Quelle: ZDF
Die Krim, mit 26.000 Quadratkilometern knapp so groß wie das Bundesland Brandenburg, hat eine wechselhafte Geschichte. Jahrhundertelang von Griechen, Türken oder Tataren beherrscht, gehörte die strategisch bedeutsame Halbinsel im Schwarzen Meer nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst zu Russland. Zuvor galt die Krim im Zuge der Oktoberrevolution noch als autonome Republik innerhalb Sowjetrusslands.

1954 erklärte der aus der Ukraine stammende damalige Kremlchef Nikita Chruschtschow die mehrheitlich von Russen bewohnte Halbinsel zu einem Teil der Ukrainischen Sowjetrepublik.

Nach dem Zerfall der UdSSR erklärte sich die Ukraine 1991 für unabhängig. Ein Jahr darauf verhinderte die Zentralregierung in Kiew ein von pro-russischen Kräften angestrebtes Referendum über die Unabhängigkeit der Krim. Als Zugeständnis wurde sie zur Autonomen Republik mit weitreichenden Rechten erklärt.

2010 schlossen Russland und die Ukraine einen Vertrag über russische Gaslieferungen - im Gegenzug wurde der Pachtvertrag mit der russischen Marine auf der Krim verlängert. Das auf der Halbinsel gelegene Sewastopol ist seit dem 19. Jahrhundert Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte.

Im März 2014 annektierte Russland die Halbinsel.

Seit Russlands völkerrechtswidrigem Vorgehen strebt die Ukraine die Rückeroberung der strategisch wichtigen Halbinsel im Schwarzen Meer an. An diesem Ziel hält auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weiterhin fest. Er will alle ukrainischen Gebiete, die von Russland annektiert wurden, befreien, einschließlich der Krim. Erst dann könne in der Ukraine Frieden einkehren, bekräftigte Selenskyj Ende Februar.
Das ist unser Land. Das sind unsere Menschen. Das ist unsere Geschichte.
Wolodymyr Selenskyj über die Krim

Wie realistisch ist die Rückeroberung der Krim?

In den vergangenen Monaten hat es immer wieder gezielte Angriffe auf die Krim gegeben. Doch wie realistisch ist es, dass die Ukraine die Halbinsel in absehbarer Zeit komplett zurückerobert? Und ist ein Ende des Krieges ohne eine von Kiew regierte Krim überhaupt denkbar?
"Die militärische Rückeroberung ist in absehbarer Zeit nicht realistisch", erklärt Ukraine-Experte André Härtel von der Stiftung Wissenschaft und Politik ZDFheute. Denn: Für die ukrainische Militärführung gehe es zunächst vor allem um die Öffnung des Korridors, den die Russen in den ersten Wochen nach der Invasion zwischen der Krim und den schon nach 2014 besetzten Gebieten erobert hatten. 
Schon dieses Ziel ist sehr ambitioniert, da vom derzeitigen nördlichen Abschnitt der Front im Oblast Saporischschja bis zur See etwa 200 Kilometer und mehrere russische Verteidigungslinien zu überwinden wären.
André Härtel, Stiftung Wissenschaft und Politik
Sollte die Ukraine diesen Korridor aber öffnen können, wäre die Krim wieder von Russland isoliert - und eine Rückeroberung etwas realistischer.

Verteidigungsstellung der russischen Armee "sehr stark"

"Wenn die ukrainische Armee weit nach Süden vorstößt, dann sind militärische Attacken auf russische Stellungen auf der Krim leichter möglich", erklärt auch Gerhard Mangott, Experte für Sicherheitsforschung im postsowjetischen Raum von der Universität Innsbruck.
Ziele auf der Krim zu zerstören, ist das eine. Aber das andere ist, Krim-Territorium zurückzuerobern. Und die militärische Verteidigungsstellung der russischen Armee auf der Krim ist sehr stark.
Gerhard Mangott, Uni Innsbruck
Der ukrainischen Führung dürfte das bewusst sein - was sich auch auf ihre Prioritätensetzung auswirkt. "Die Donbass-Frage dürfte für die Ukraine in absehbarer Zeit eher die Priorität darstellen", erklärt Huseyn Aliyev, der in Glasgow zum russisch-ukrainischen Konflikt forscht, ZDFheute.
Die Experten sind sich weitgehend einig: Am aktuellen Status der völkerrechtswidrig annektierten Krim dürfte sich so schnell nichts ändern. Allenfalls ein Regime-Wechsel im Kreml könnte Bewegung in die Sache bringen, sagt Aliyev. Eine Entwicklung, mit der aktuell allerdings nicht zu rechnen ist.

Es sei nicht die Frage ob, sondern wann die Krim zurückerobert würde, "wir verstehen, dass wir nach wie vor unterlegen sind", so Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland.

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Was, wenn die Krim-Frage ungelöst bleibt?

Ist dann aber - ohne Lösung in der Krim-Frage - überhaupt ein Ende des Krieges absehbar?
Gerhard Mangott hält das für möglich. "Es könnte eine Friedensregelung geben, wo die Klärung der Frage der staatlichen Zugehörigkeit der Krim für einen gewissen Zeitraum ausgesetzt wird", sagt er.
Und André Härtel merkt an:
Kurz nach Kriegsbeginn hatte Selenskyj in der Krim-Frage ja Flexibilität angedeutet und Übergangsszenarien in Aussicht gestellt. Dies wurde zurückgenommen, als deutlich wurde, dass die Ukraine militärisch dagegenhalten und verlorenes Territorium zurückerobern kann.
André Härtel, Stiftung Wissenschaft und Politik
Aktuell zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Die Ukraine hat in den vergangenen Monaten viele Kräfte verloren - innerhalb der Truppe zeigen sich zunehmend Erschöpfungserscheinungen.

Wie steht der Westen zur Krim-Frage?

Daher sei die Kernfrage mit Blick auf die Krim, "wie schwierig es für die Ukraine sein wird, die Besatzer aus dem Donbass zu vertreiben und wie viele Ressourcen - auch Menschenleben - hierfür aufgewendet werden", erklärt Huseyn Aliyev.
Hier offenbart sich das nächste Problem: Ohne weitere, massive westliche Unterstützung wird die Rückeroberung der Krim noch unwahrscheinlicher. Es bräuchte weiterreichende Artillerie - etwa das US-amerikanische ATACMS System - und Kampfflugzeuge sowie eine substantielle Zahl westlicher Kampfpanzer.
Doch mit Blick auf die Krim gibt es im Westen bislang keinen Konsens: Denn dieser Schritt wäre mit einem "erheblichen Eskalationsrisiko verbunden", macht Gerhard Mangott klar.
"Vielleicht könnte der Westen die Ukraine mit denselben Waffentypen beliefern, die er bereits liefert, sowie zusätzlich mit Kampfjets und Langstreckenraketen. Allerdings wird er wahrscheinlich nicht bereit sein, seine Hilfe speziell auf die Räumung der Krim bereitzustellen", fügt Huseyn Aliyev hinzu.

"Rote Linie für Moskau"

Selbst führende US-Vertreter würden eine Rückeroberung der Krim als "rote Linie für Moskau" einschätzen, bei deren Überschreiten eine nukleare Eskalation nicht auszuschließen ist, erklärt André Härtel.
Deshalb glaube ich, dass die USA und auch die europäischen Verbündeten den Ukrainern zumindest stark von einem Angriff abraten.
Andre Härtel, Stiftung Wissenschaft und Politik

Immer wieder droht der russische Präsident Wladimir Putin im Konflikt mit der Ukraine mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die atomare Abschreckung scheint nicht mehr zu funktionieren.

24.05.2024 | 29:05 min
Die Krim war Startpunkt der russischen Invasion auf ukrainischem Territorium - dass sie auch ihr Endpunkt sein wird, ist unter den aktuellen Bedingungen unwahrscheinlich.
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